Hasenjagd
Von Max v. Mallinckrodt.


Droben in den Eifler Bergen gibt es seit altersher manch guten Bock und manches Stück Schwarzwild, und mancher Hase hoppelt dort auch abends aus dem Walde. Es findet sich aber auch manch ein Fuchs dort oben, und die schlimmsten Füchse, die haben nur zwei Beine, dafür aber die Flinte im Arm, und sie sehen sich scheu um, ob der Förster nicht auf den Wegen ist.

Es gab droben am Rande der Heide ein Dorf, da war das Wilderen wie eine Krankheit geworden, das ist nun schon lange her. Jeder Junge, der über fünfzehn Jahre alt war, wurde von der Krankheit befallen und blieb befallen, bis er so alt war, dass er kein Gewehr mehr tragen konnte oder bis es ihm seine Frau verbot. Und es war eine Ehrensache, dass ein jeder wildern musste. Da ging's dem armen Wild denn übel in der Flur. Der Förster raufte sich die Haare, aber es half nicht. Passte er hier auf, knallte es dort und dort und dort, und machte er lange Beine, um dahin zu kommen, dann knallte es da, wo er gerade gewesen war. Dabei schossen die Bauern oft aus bloßem Übermut ihre Flinten ab, wenn auch gar nichts zu schießen war, nur um den Förster zu ärgern. Und der ließ sich ärgern, denn - unter uns gesagt - es war schon ein bisschen alt, so dass die Bauern gut schießen hatten. Später, als ein junger Förster dorthin kam, da ging's einem halben Dutzend Wilderer ans Leder, sie mussten sitzen, und nach einem Jahre fiel dort oben kein heimlicher Schuss mehr.

Aber zu der Zeit, wo die Geschichte sich zutrug, von der erzählt wird, war der alte Förster noch im Amt. Alle Dorfburschen gingen zum Wildern, nur einer nicht, das war das Sebastiänchen und seines Zeichen war er der Dorfschneider. Dass aber das Sebastiänchen nicht wildern ging, das lag daran, dass es eine Himmelangst davor hatte. Als es noch ein kleines Bübchen war, war einmal eine grausliche Geschichte da droben passiert. Da waren drei Burschen, und unter ihnen sein Vater, bei tiefem Schnee nächtlicherweile jagen gegangen. Und der Vater von Sebastiänchen hatte seine Donnerbüchse, die mit gehacktem Blei und Nägeln geladen war, auf ein Hauptschwein abgefeuert, das gerade bei ihm aus der Dickung herauskam.

Der grimmig Keiler nahm aber diesen unfreundlichen Gruß sehr unfreundlich auf, denn er machte kurz kehrt und fasste sich seinen Mann und, hast du nicht gesehen, flog der unglückliche Schütze mit aufgeschlitztem Schenkel in den Graben.

Da war denn viel Heulen und Zähneklappern damals gewesen, und die Mutter von Sebastiänchen, die eine resolute Frau war, sagte ihrem Einzigen, dass sie ihn prügeln würde, dass die Lappen flögen, wenn er sich je einfallen lasse, jagen zu gehen.

Nun, dass Sebastiänchen dachte an den Vater und sein Abenteuer, auch als der schon lange tot war, und ging nicht zum Wildern. Aber er hatte viel Spott und Gerede darum mit anzuhören, dass er oft in Versuchung kam, es doch einmal zu probieren. Aber die Angst, die Angst!
Dabei war das Sebastiänchen nicht zum Helden geboren. Da, wo andere Menschen ihren starken Rücken haben, hatte ihm die Natur einen richtigen Buckel wachsen lassen, und das eine Bein war auch so windschief geraten wie die Birken an der Strasse. die durch die Heide ging. Und einen Kopf kleiner als alle anderen war das Sebastiänchen auch. Um so mehr aber wurde er mit seiner Angst geneckt und gehänselt, und es ärgerte ihn mehr, als er jemals sagen konnte.

Eines Tages war das so arg geworden, dass er seiner alten Mutter erklärte, jetzt wäre es genug, jetzt ginge er auch. Es war damals kein Schwarzwild im Revier; dass machte ihm Mut. Die Mutter keifte und zeterte und rief alle Heiligen an - egal, das Sebastiänchen blieb bei seinem Entschluss.

„Nun so wollt ich, dass der Düwel dir jagen hilft“, rief die Mutter endlich und schlug die Türe zu.

Das Sebastiänchen kratzte sich hinter den Ohren. „Der Düwel? Ach wat, der wird schon nicht kommen." Wie eine Flinte geladen wurde, hatte er früher oft gesehen. So nahm er die alte verrostete Flinte seines Vaters selig vom Nagel, nahm Pulverhorn und Schrotbeutel, die ein Bekannter ihm gefüllt hatte, und hing sich die gewaltige lederne Jagdtasche des Vaters um. Und eines schönen Herbstabends zog das Sebastiänchen aus. Der alte Förster lag krank zu Bett, also war die Luft rein. Passieren konnte dem Sebastiänchen nichts.

Wohlgemut schritt er dem Walde zu und freute sich, wenn ihn Bekannte sahen und ihrer Bewunderung Ausdruck gaben: dass sie hinter ihm über das dahinhinkende Häufchen Elend sich kranklachten, das merkte er nicht.

Der Weg ging ein bisschen bergan, denn der Wald bedeckte einen Hügelzug, der sich aus der Heide erhob. Angekommen, sah sich das Sebastiänchen nach einer geeigneten Stelle am Waldrande um, wo er sich ganz still hinsetzen und warten wollte, bis etwas käme. Zwischen zwei Schlehensträuchern schien ihm ein nettes Plätzchen zu sein. Gedacht, getan, das Sebastiänchen saß zwischen den Schlehen auf der Lauer. Geladen war die Flinte, auch der Feuerstein war in Ordnung, nur Pulver musste noch auf die Pfanne geschüttet werden. Das tat er denn auch mit großer Vorsicht, legte Pulverhorn und Schrotbeutel neben sich und wartet der Dinge, die da kommen würden.

Es kam aber nichts. Auf einer Brombeerranke lief nur ein Mäuschen zierlich und eifrig auf und ab, bis es dem Sebastiänchen zuviel wurde. „Scht!" machte er, da war das Mäuschen verschwunden. Nun aber kam eine Kohlmeise und zwitscherte und wisperte, als ob sie dem Sebastiänchen was erzählen wollte. Er aber wollte nichts hören, er wollte ja etwas schießen, also machte er wieder: „Scht!", da war auch die Meise weg.

Inzwischen wurde es später und später. So ganz langsam, ganz sachte fing die Dämmerung an. Die Sonne hing wie ein rotglühender Ball am Himmel und schimmerte durch die Zweige des Waldes und tauchte das Land in rote Glut. Dem Sebastiänchen war der schönste Sonnenuntergang ganz und gar egal, er wollte doch etwas schießen.

Die Sache fing an, ihm langweilig zu werden. Er wurde müde vom Sitzen auf der Erde und fand ganz still bei sich, dass das Jagen ein dummes Vergnügen sei. Endlich musste er sogar gähnen, und er gähnte so laut, wie er es daheim gewohnt war. Die Augen fielen ihm beinahe zu vor Langeweile. Es wurde stiller und stiller ringsum. Die Feierzeit der Gottesnatur begann. Das war aber dem Sebastiänchen gleich, er wollte doch etwas schießen.


Auf einmal hörte er ein Geräusch. Eine fürchterliche Angst überkam ihn. Was mochte es sein? Es raschelte und regte sich neben ihm keine zwanzig Schritte entfernt. Das Sebastiänchen hielt den Atem an und lauschte, aber es hörte nichts mehr, nur sein eigenes Herz klopfte laut wie ein Schmiedehammer. Mit den Blicken durchbohrte das Sebastiänchen fast das Gebüsch neben sich. Vergebens. Da blickte er genauer vor sich hin und - beinahe wäre ihm die Flinte von den Knien gefallen. Gerade vor ihm hoppelte etwas mit krummen Rücken langsam aus dem Wald heraus. Ein Hase! Ein gewaltiger Waldhase. Jetzt hieß es handeln. Dem Sebastiänchen zitterten die Hände so, dass er die schwere Flinte kaum halten konnte. Der Hase merkte nichts. Bald mummelte er an der Erde und hoppelte ein paar Schritte, dann setzte er sich aufrecht und machte ein Männchen. Das war der Augenblick. Leise, leise schob das Sebastiänchen sein gefährliches Feuerrohr zwischen den Schlehdornzweigen durch. Hin und her wankte die Mündung. Beide Augen zu und dann - Bautz!

Die Flinte flog rechts, das Sebastiänchen flog links. 0 weh, o weh, o weh, das Feuerrohr hatte ihm eins ausgewischt, dass ihm
alle Zähne im Mund wehtaten. Im ganzen Leben nicht mehr, das war der einzige Gedanke von Sebastiänchen, als es sich auf der Erde wiederfand. Langsam, mit dummem Kopf, stand er auf. Da lag die Flinte. Losgegangen war sie, aber wie. Mühselig packte Sebastiänchen das Schießgewehr auf und packte die riesige Jagdtasche auf, das Pulverhorn und den Schrotbeutel, und dann noch die Kappe, die ihm vom Kopf geflogen war. Aber was war das? Was lag denn da? Der Hase, der Hase! Er war getroffen und mausetot geschossen. Der Meisterschuss hatte ihn nicht verfehlt. So schnell es bei seinem schiefen Beine ging, war das Sebastiänchen bei dem Erlegten. Er konnte es noch nicht glauben, und doch war es so. Der Hase lag da, und was für einer, ein echter Pastorenhase. Triumphierend hob das Sebastiänchen ihn an den Hinterläufen in die Höhe. Jetzt sollte noch mal einer über ihn lachen. Er war ein Jäger. Gleich mit dem ersten Schuss einen prächtigen Hasen! Hochbefriedigt über dieses Ereignis schleppte das Sebastiänchen den Hasen zu seinem Platz und verstaute ihn in der gewaltigen Jagdtasche, nur der Kopf guckte an der Seite betrüblich heraus. Dann hing er die Jagdtasche über die linke, Pulverhorn und Schrotbeutel über die rechte Achsel, schulterte seine mörderische Waffe und ging freudestrahlend heim.

Der Hase sollte der Mutter und ihm schmecken, und ärgern würden sich die andern grün und gelb, wenn er heimkäme. Es war der schönste Tag in Sebastiänchens Leben.

Inzwischen war es ziemlich dämmerig geworden, es war Zeit, heimzugehen, sonst konnte es noch dunkel werden, bis er zu Hause war. Und er wollte doch, dass die Leute den Hasen noch sehen sollten, so wie er ihn brachte. Eilig hinkte er am Waldrand entlang, mit einem Male aber blieb er stehen. Was war denn das? Da war ja noch ein Hase, der saß draußen und machte ein Männchen und guckte ganz vergnügt nach dem Sebastiänchen herüber.

Noch ein Hase! Ob er den auch schießen sollte? Dann musste er erst laden, und das ging ihm nicht so schnell von der Hand, und dann der Schuss, den spürte er auch noch im Kopfe. „Ach was," meinte Sebastiänchen, „ich kann sie doch nicht alle auf einmal totschießen. Mit einem ist es genug heute." Also hinkte er weiter. Aber sieh mal an, der Hase machte gar keine Miene fortzulaufen! Als das Sebastiänchen näherkam, hoppelte auch der Hase näher. Ob der in der Dämmerung das gefährliche Sebastiänchen gar nicht sah? Noch immer näher hoppelte der Hase und noch näher und noch näher, und dann machte er wieder ein Männchen und rief ganz deutlich: „Hänschen, wo jeist du hin?", und der totgeschossene Hase in der großen Jagdtasche gab Antwort und sagte: „Ich jon mit dem Sebastiänchen, dä hät mich jeschaußen."

„Marijajosef, dat is der Düwel!" schrie das Sebastiänchen, und dann ist es gelaufen, wer weiß wie. Feuerrohr und Pulverhorn und Kappe und alles hat es verloren. Und die Knie haben ihm gezittert, und die Zähne haben ihm geklappert, und gebetet hat es im Laufen alles, was ihm eingefallen ist.

Und daheim hat das Sebastiänchen alles der Mutter erzählt, und die hat die Hände überm Kopf zusammengeschlagen und ist hingegangen und hat es der Frau Schmitz erzählt, und die hat es jedem erzählt, der ihr begegnet ist. So ist die Sache herumgekommen, und das Sebastiänchen hat den Spott noch obendrein gehabt.




Entnommen: Der Silberne Schuh, Märchen aus Eifel und Ardennen, gesammelt und bearbeitet von Karl Guthausen, illustriert von Heinrich Loy, Helios-Verlag, Aachen 2001. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des Verfassers von Oktober 2009




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