Die Wäscherin
n. Max v. Mallinckrodt.


Die Wäscherin der Sterbehemden ist nicht immer an der gleichen Stelle gewesen. So kam es, dass viele Leute sie sahen. Am Ufer der Alzette hat sie gewaschen und an dem der Rur und Warchenne. Es sind unzählige Bäche und Wasserläufe in der Eifel und in den Ardennen, an denen sie gewaschen hat.

Von dem vielen, was von ihr erzählt wird, möge hier nur das genannt sein, was der Junker von Reuland erlebte. Denn er sah die Wäscherin wohl deutlicher als alle die anderen, und es wurde dunkel um ihn, weil er sie sah. Traurig wie der Junker von Reuland, sagten die Leute damals, wenn sie von einem redeten, für dessen Schmerz es keine Heilung gab.

Es sei erzählt, was man von des Junkers Geschichte weiß. Sein Vater war früh verstorben, und der Sohn lebte in der Burg mit seiner Mutter und verwaltete das Erbe des Vaters. Es wird erzählt, dass er brav und fromm gewesen sei von seinen frühen Tagen an, aber auch fröhlich und sorgenfrei, wie es seiner Jugend zukam.

Das war alles so bis zu dem Tage, als er die Wäscherin zum ersten Male sah. Er sah sie damals an einem kleinen Teiche inmitten des Waldes gerade dort, wo der Bach wieder aus einem Teiche austrat und zwischen moosigen Steinen zu Tale ging. Und es war ein schwüler Abend gewesen. Der Junker hatte auf den Bock gejagt, aber es war im Wald so seltsam still, wie er es noch nie erlebt hatte. Die Vögel schwiegen in den Zweigen, und das Wild mochte sich wohl in den Dickungen niedergelassen haben. Es war nichts von ihm zu sehen. Selbst die Fische im Teiche sprangen nicht, wie es doch sonst an warmen Abenden geschah. Es war seltsam still.

Der Junker hing die Büchse über die Schulter und schob Pulverhorn und Jagdtasche zur Seite und öffnete die Kleider weit über der Brust. So unerträglich drückend war es. Und er warf sich am Rande des Teiches ins hohe Gras und träumte. In weiter Ferne aber begann es zu donnern, doch das Wetter zog nicht herüber. Die Dämmerung kam, und die Bäume wurden wie Schatten. Da schickte der Junker von Reuland sich an, heimzukehren. Aber als er am Rande des Teiches dahinschritt, schlug ein lautes Plätschern und Klatschen an sein Ohr, und er hörte eine Frauenstimme, die sang, aber er verstand ihre Worte nicht. Das Plätschern schallte von dem Bach herüber, der aus dem Teiche floss, und der Junker wunderte sich, wer hier zu so später Stunde in der Einsamkeit wasche. Er ging dem Plätschern und Singen nach ohne Sorge und ohne einen andern Gedanken, als dass es eine der Frauen des Dorfes sei.


Aber als er hinzukam, da kniete am Rande des Baches auf dem Moos zwischen Farnen und Steinen eine weißgekleidete Frau, die tauchte die schimmernden Hände tief in die Wellen und bog sich hinab und wusch schneeweißes Linnen. Während sie wusch, sang sie mit seltsam klagender Stimme Worte und Reime wie aus alten Liedern, die das Herz des Hörers mit leisem Finger anrühren, dass es traurig wird und weiß nicht warum.

Und der Junker von Reuland ging lautlos näher und lauschte und spähte, und es schlugen Worte an sein Ohr, die sich tief in seine Seele eingruben:

„Walle Welle, fröhliche Welle,
Trage talwärts der Sünden Not!
Walle Welle, fröhliche Welle,
Deiner Dienste begehrt der Tod.
Weiß das Linnen und weiß das Leid,
Dunkles Leiden mag niemand tragen.
Walle Welle, wasche mein Kleid!
In wenig Tagen
Wird es gebraucht mit Weinen und Klagen,
Walle Welle, dann sei es bereit."

Und der Junker von Reuland starrte auf die Frau vor seinen Augen. Sein Fuß stockte, und er wollte sie anrufen, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Und es war ein linnenes Hemd, wie ein Sterbehemd, das wusch die einsame Frau. Dann klang ihre Stimme wieder:

„Weiß wie der Schnee und nicht weiß genug,
Was auch dein armes Herze trug,
Weiß wie der Schnee und hell wie der Tag,
Was ich nicht länger waschen mag,
Waschen nur Tränen."

Dann entrang sich dem Junker lähmende Angst, die seine Zunge im Banne hielt und rief: „Wer bist du?" Die Wäscherin wandte sich zu ihm um und nickte ihm zu, wie einem alten Freunde, und sah ihn an mit Augen fern von Glück und Leid, dass es sich auf die Seele des Junkers legte wie eine leise Hand. Er trat näher zu ihr hin, da aber schwand die Gestalt vor ihm wie ein Gebilde aus Nebel und stand am jenseitigen Ufer des Baches und hob die Arme, wie mit flehentlicher Bitte.


Der Junker rief laut, das Zittern seiner Stimme zu meistern: „Wem gehört das Sterbehemd?" Da aber ging es wie Windeshauch durch den Wald; die Wipfel der Fichten bogen sich und die weiße Frau legte die Hände auf ihre Brust und sprach: „„Dem Weib, dem du das Liebste bist."

Der Junker von Reuland aber meinte, keiner Frau Herz zu wissen, das für ihn schlug, und er beachtete die Rede nicht. Aber ehe er wiederum fragen konnte, zerrann die Gestalt der einsamen Wäscherin im dämmernden Wald in Nichts.

Und er schritt heim in tiefem Sinnen. Als er aber an das Tor der Burg gelangte, ging ein scheues Flüstern unter den Leuten, wer ihm sagen sollte, dass zur Stunde seine Mutter gestorben war, als er droben in den Bergen den Worten der Wäscherin gelauscht hatte.

Von jenem Tage an war bei dem von Reuland die Schwermut Hausgenossin geworden, und die ihn einst gekannt hatten, erkannten ihn nicht wieder. Und seine Freunde überredeten ihn doch, dass er sich eine neue Frau nahm. So führte er denn ein Mädchen heim auf die Burg seiner Ahnen, gut und schön und nur des einen Willens, ihm Liebes zu tun.

Als aber die Stunde nicht mehr ferne war, inder sie ein Kindleins gebären sollte, da war es, dass die Wäscherin zum zweiten Male dem Junker von Reuland erschien.

Es war nicht droben am Teich, zu dem ihn sein Fuß nie wieder führte, es war in der Tiefe in den Erlen, drunten zwischen Wiesen und Feldern. Es war Vollmond, und der Junker kehrte spät heim und freute sich auf die Heimkehr.

Und zwischen den Erlen am Bachesrand klang ein Plätschern und Klatschen an sein Ohr nicht anders als damals, und sein Herz stand still vor Grauen. Er hörte die Worte und Reime der einsamen Wäscherin wieder und schrie auf in grenzenloser Qual; denn eine Angst, der er selbst nicht den Namen zu geben wagte, legte Hand auf sein Herz.

Das stand er vor der Wäscherin am Ufer zwischen den Erlen, und seine Augen starrten auf das Totenhemd, das sie wusch, und die Frage glitt von seinen Lippen und wusste es kaum: „Wem gehört das Sterbehemd?“ Doch die Wäscherin sah ihn an mit Augen ohne Glück und Leid, und er las die Antwort von ihren Lippen und stöhnte auf wie ein weidwundes Tier.

„Dem Weib, dem du das Liebste bist.“ Er stürmte heimwärts, dass die Bauern, die ihn sahen, ihm erschrocken nachblickten. Als er am Tor ankam, war allenthalben ein Weinen und Klagen, wo ihm der älteste Diener Meldung machen wollte. Da sprach der Junker von Reuland: „Ich weiß es, mein Weib ist tot." Und der Greis wischte sich die Augen und sprach: „Herr, es ist so, und ihr Kindlein hat sie mit sich genommen."

Als der von Reuland Weib und Kind zur ewigen Ruhe gebettet hatte, bestellte er sein Haus und gab alle Weisung, wer verwalten solle, was er zurücklasse, denn er wolle in ferne Lande gehen. Aber er ging erst noch auf den Friedhof. wo seine Liebsten ruhten.

Etliche Bauern die spät abends erst ihr Heim erreichten, hörten später wiederholt am Bache drunten ein seltsames Plätschern, Klatschen und Singen. Als sie nähertraten, war es die Wäscherin. Sie lauschten ihrem Singen mit Angst und Grauen, keiner fragte, wem das Sterbehemd gehörte, das die einsame Frau mit dem schimmernden Händen so sorgsam wusch.




Entnommen: Der Silberne Schuh, Märchen aus Eifel und Ardennen, gesammelt und bearbeitet von Karl Guthausen, illustriert von Heinrich Loy, Helios-Verlag, Aachen 2001. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des Verfassers von Oktober 2009




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