Kriegsverse XXVI.
Von Max v. Mallinckrodt, Haus Broich, Kreis Euskirchen

Aus dem Reichtum der Schöpfung ward
Eine Gabe dem Menschen zuteil,
Ihm alleine unter den vielen
Erdebewohnern.
Denn verliehen war ihm, nur ihm die Kraft
Ruhlos schaffender Phantasie,
Die ihn lehrte, Wege zu finden,
Unzugänglich dem stumpferen Tiere.
Nicht nur scheuen lernt' er des Feuers Glut,
Seine Wildheit zwang er zum Frondienst sich,
Wie den scharfen Stein,
Den das Tier nur mied,
Zur Waffe er wählte in wägender Hand.
Keine Tag entließ er seitdem,
Er lehrte denn Neues,
Keinen, der kühnste Wege nicht wies,
Der nicht Faden an Faden reihte
Zu des Menschensinnens vielmaschigem Netz.
Aber einen Lorbeer vor allem
Lernte er pflücken vom Baume des Wissens,
Teurer ihm als alle die anderen;
Denn er lernte den Allbeherrscher
Tod die trotzige Stirne bieten,
In unendlicher Mühe drängte
Schritt für Schritt er den Dunklen zurück.
Immer neue Listen ersann er,
Neue Waffen schuf er zur Wehr.
Siegreich zwang er die Geißel der Welt
Täglich in immer engere Grenzen,
Führte zu neugeschenktem Leben
Die verzweifelnden Opfer zurück.
Ungeheures glückte des Menschen
Siegreich segenspendender Hand.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Aber dem Lieblingskinde des Lebens
Setzte der unerforschte Wille
Seiner Mutter doch einen Fluch,
Denn sie schrieb in die ewigen Sterne,
Daß der Mensch sein Lernen und Werden,
All sein sieggekröntes Erfassen
Wenden muß wider sein eigenes Herz,
Daß er im Rausch der rasenden Zwietracht
Selbst zerstört, was er glühend liebte,
Was er als hilfreich, heilsam und gut
Säte und pflegte im Garten der Sorge,
Daß er vergißt, um was er gerungen,
Was ihm von allem das Höchste war,
Seines Geschlechtes Sein zu erhalten.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Wohl auch findet er dann noch Wege,
Schwindelnde Pfade eilt er empor,
Aber zur Seite schreitet der bleiche,
Strenge Begleiter, der ihm gebietet,
Alles Mühen und Streben und Wollen
Dient nur dem Tod, den einst er befehdet.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Zeiten schlummern im Schoße der Zukunft,
Die von neuem das einst Erworbne
Aus dem Staube der Wahlstatt heben,
Die von neuem säen und sorgen
Und sich von neuem der Ernte freu'n.
Aber auch über ihrem Scheitel
Schwebt der Geier der Selbstvernichtung,
Und die urewige Tragik der Menschheit
Gilt auch für sie.




Entnommen: Eifelvereinsblatt 1916, Nr. 10, S. 146, Eifelverein Düren




Zurück zur Indexseite
Max von Mallinckrodt ©
© Copyright woengede