Die Ahr in der lyrischen Dichtung des vorigen Jahrhunderts.
Von Max v. Mallinckrodt.




Andere Zeiten, andere Sitten. Vor hundert Jahren hatte das Reisen ein bescheideneres Gesicht als heute. Heute muß es schon in fernste Fernen gehen, wenn es etwas Rechtes sein soll. Man kann ja auch für nicht allzuviel Geld auf prunkvoll eingerichteten Schiffen die Küsten von Spanien, Italien, Nordafrika, Griechenland und wer weiß was, gleichsam im Fluge abmachen. Heute in Madeira gewesen zu sein, bedeutet noch nicht viel, und zu den Balearen fährt man wie unsere Väter zum Bodensee.

Vor hundert Jahren! Wer damals eine Rheinreise macht,e der unternahm sie mit Ernst und keineswegs als etwas Alltägliches. Wer sich zu einer Schweizerreise rüsten durfte, der zehrte sein Leben lang von dem Schönen, das er dort gesehn, und wem es gar vergönnt war, ins gelobte Land Italien zu fahren, der war schon ein Auserwählter, glücklich zu Preisender. Ein Jahr lang dauerte wohl eine solche Reise, und mit gespitztem Gänsekiel beschrieb der Reisende seine Erlebnisse mit und ohne Räuberromantik. Wenn aber gar in jenen Zeiten das Schicksal jemanden nach Algier oder nach Ägypten führte, der konnte sich für Geld sehen lassen; zeitlebens wurde er „der Türke“ genannt und mit ehrfurchtsvollem Staunen betrachtet.

Es war die Zeit damals, da unser Heimatstrom noch die große Reisestraße war, auf der die reiselustigste aller Nationen, die englische, ihre Schweizer- oder Italienfahrten zu beginnen pflegten. Nicht wie heute im vorüberdonnernden D-Zuge, aus dessen Fenstern man kaum ein paar Blicke auf die Landschaft werfen kann. Reisewagen, Posten und Extraposten rollten auf den rheinischen Straßen dahin. Allenthalben wurde gehalten, wurden die Räder geschmiert (wofür das „Schmiergeld“ entrichtet wurde); die Reisenden bestiegen die von Burgen gekrönten Berge und versuchten mit gespitzten Lippen in den rheinischen Gasthäusern rheinischen Wein. Und neben den vornehm steifen Engländern, von denen natürlich jeder ein Lord sein mußte, wenn er auch nur ein Wollmakler aus Liverpool war, zogen bescheidenere Reisende singend und begeistert im Staube der Straße dahin. Und alles fuhr und wanderte zur Zeit an dem großen weltberühmten Strome und hatte Augen nur für ihn. In die Seitentäler des Rheines verirrte sich der Wanderschritt des Fremden selten und ein Reisewagen gewiß nicht. Selbst die Mosel, deren Schönheit der Römer Ausonius schon besungen hat, war in Vergessenheit geraten, und ihre köstliche Frucht, der Moselwein, hat den Siegeszug durch die Welt erst viel später begonnen.


Altenahr um 1850. Kupferstich von C. Schlickum aus „G. Kinkel, Die Ahr“.

Und was von der Mosel gilt, das gilt um so mehr von ihrer kleinen Schwester, der Ahr. Wer von den vorüberrollenden Reisenden, der die wenig reizvolle Mündung der Ahr gleichgültig betrachtete, hatte eine Ahnung von der entzückenden Schönheit, die in diesem malerischsten aller rheinischen Täler des Besuchers harrte? Man erschloß ja erst vor hundert Jahren das Tal dem Wagenverkehr für die Bewohner. Bis dahin mußte man auf Kletterpfaden in seine Enge dringen.

Wenn aber auch der große Fremdenstrom die Ahr nicht kannte, die wandernden Musensöhne der alma mater zu Bonn kannten sie um so besser. Wer weiß, was sie am meisten lockte, die herrliche Landschaft oder die noch nicht von der übertünchten Höflichkeit der Hotels berührten Gasthäuser vom Schlage des heiligen Peter zu Walporzheim. Nehmen wir an, daß es beides war. Und wenn die Studenten auf fröhlicher Wanderung einmal des Guten zuviel taten im rotfunkelnden Walporzheimer, so hatten sie die Entschuldigung, daß recht gelehrte Herren sie dazu verleitet hätten. Es gab nämlich ein Häuflein wander- und trinkfroher Männer - gelehrte Dichter oder dichtende Gelehrte, wie man will -, die haben die Ahr gewissermaßen literarisch entdeckt und ihren Ruhm verkündet. Das war Simrock, der Germanist und Sagenforscher, Kinkel, der politisierende Theologe, Wolfgang Müller, der Arzt und Alexander Kaufmann, der Archivar, dem wir die Verdeutschung der köstlichen Erzählungen des Cäsarius von Heisterbach verdanken, und manche andere mit ihnen.

Es waren harmlose Poeten, die nicht auf den Gedanken kamen, daß man ihre Verse, die zuweilen ein wenig dahinholpern, als ob sie auch des Guten zuviel getan hätten, unter die Lupe strenger Kritik nehmen würde. Es waren ja Poeten, die noch nichts wußten vom Wunderschliff seltsam strahlender Worte, die so voller Rätsel und Geheimnisse sind, daß nur der Autor sie versteht und zuweilen auch er nicht.

Es waren eben harmlose Poeten, die unbekümmert sangen und sagten, wie es ihnen gerade ums Herz war. Und trotz aller Schlichtheit ihrer Kunst oder gerade deshalb sind sie unvergessen geblieben. Groß war ihre Lust zu wandern und fast noch größer die, Einkehr zu halten an weinberühmter Stätte. Abstinenzler waren sie nicht.


Walporzheim an der Ahr, Kreis Ahrweiler. Dipl. Ing. Paul Wagner, München.

Das lehrt uns schon Alexander Kaufmanns „Warnung vor der Ahr“, eine Parodie auf das berühmte Lied Simrocks, die „Warnung vor dem Rhein“.

Da gibt's den St. Peter von Walporzheim,
Von dem ich schon einmal sang,
Der schenkt nicht Bier noch Honigseim,
Doch kühlen Wein schon lang.
Da gibt's manch schlottrige Reisigbruck,
Mein Sohn, ich rate dir gut:
Tu nur zuvor einen wackren Schluck,
Sonst zaget dir drauf der Mut.
Und bist du drüben, bedank dich fein
und stech einen Schoppen aus;
Du läßt es beim ersten und zweiten nicht sein,
Und kehrst im Sturme nach Haus.

Bekannter als dieses Gedicht aber ist des Verfassers eigentliches Lied vom St. Peter in Walporzheim, der altberühmten Schenke.

O heil'ger St. Peter zu Walporzheim,
Säß ich am seligen Ort,
Mich brächte wahrhaftig mit Sang und Spiel
Mein eigner Schatz nicht fort.
O heil'ger St. Peter zu Walporzheim,
Sind wenig fromm zur Zeit,
Doch alle noch zu Walporzheim
Getreue St. Petersleut.

Die bedenklichen Folgen einer gar zu langen Einkehr im St. Peter hat dann Kinkel in seinem „Kobold von Walporzheim“ geschildert, der an der Bunten Kuh lauern soll und den harmlos Heimkehrenden plötzlich im Zickzack führt, bis er in der Ahr liegt und naß und ernüchtert wieder aufs Trockene klettert.

Aber nicht nur die Freuden und Leiden des Weins haben die Ahrpoeten besungen, auch andere Töne kennt ihre Leyer. Ich denke an Kinkels „Auf der Höhe vor Altenahr“:

Gegrüßt ihr grauen Burgen,
Du Fluß so kühl und klar,
Gegrüßt ihr alten Wächter
Landskron und Neuenahr.

Wie oft mit Saus und Brausen
In wilder Burschen Zahl,
Wie oft im Schmerz alleine
Durchzog ich dich, o Tal!

Eine Mondnacht an der Ahr läßt Wolfgang Müller vor uns erstehn:

Im Berge düstert und träumt
Der Wald so wunderbar,
Im Tale flüstert und schäumt
Rauschend die wilde Ahr.
Die Gegend schaut mich so dunkel
Gespenstisch, unheimlich an -
Plötzlich, mit lichtem Gefunkel,
Betritt der Mond die Bahn.
Die Wellen zittern und beben,
Er küßt sie mit goldenem Kuß,
Da seh ich tanzen und schweben
Badende Elfen im Fluß.

Die Romantik, der die Ahrpoeten huldigten, brachte es mit sich, daß sie mit Vorliebe sich Sagenstoffen zuwandten. So haben sie getreulich eine ganze Reihe von Sagen, die an den Ufern der Ahr noch lebendig waren, aufgezeichnet, natürlich in Versen. Denn die damalige Zeit glaubte es den Volkssagen schuldig zu sein, statt sie mit den Worten des Volks wiederzuerzählen, sie in ein prunkendes Versgewand zu hüllen.


Die Romantik der Neuzeit. Der Ahrgoldzug unter der Burg Are. Verkehrsamt Bad Neuenahr.

An einen ganzen Kranz von Gedichten zum Preise der Ahr möchte ich noch erinnern, der Sänger war kein gelehrter Herr, es war ein Maler aus Danzig. Als Maler kennt man ihn heute kaum mehr, wohl aber noch als Dichter. Es war Robert Reinick. In Düsseldorf hatte er an einem Fieber krank gelegen, da trieb es ihn hinaus, in der reinen Luft im Tale der Ahr Erholung und völlige Genesung zu suchen.

Und so bin ich denn erlöst
Von den wilden Fieberschauern!
Drum hinaus zu reiner‘m Himmel
Aus den dumpfig engen Mauern!

Wo die Ahr dem Rhein entgegen
Durch die hohen Felsen geht,
Ist ein schönes Tal gelegen,
Drin die Luft erquickend weht.

Altenahr ist des Kranken Ziel:

Willkomm zur Stell! So grüß ich denn das Tal
Mit frohem Herzen, das ich mir erlesen.
Auf daß ich von der Krankheit arger Qual.
Und manchem Herzensgrame mag genesen!

Vom Grunde steigen dunkle Felsen an,
Als Schlange muß der lichte Strom sich winden,
Es lehnen grüne Berge sich daran,
Drin Winzer ihre schlanken Reben binden.

Von hoher Klippe steilem Felsenrand
Schau'n eines Schlosses kühngeborstne Trümmer
Mit düstrem Ernst ins grüne heitre Land,
Das fern sich breitet in des Abends Schimmer.

Und mir zu Füßen in der Buchen Grün
Das Dorf, ein weißes Kirchlein in der Mitten,
Manch Heilgenbild, drum wilde Rosen blühn,
Gar friedlich steigt der Rauch aus Moos'gen Hütten.

Aber dem Armen Malerpoeten war in seinem Refugium schlechtes Wetter beschieden:

Alle Tage Sturm und Regen,
Wolken ziehen auf und nieder!
Eingekerkert bin ich wieder! -
Schönes Tal, ist das dein Segen?

Und sogar das Fieber sucht den Armen aufs neue heim. Melancholisch singt er:

Da sitz ich hier im dicken Mantel
Am Fenster ganz allein,
Und strecke die matten Glieder
In den warmen Sonnenschein.

Aber mit einemmale ist das Fieber vergangen, das malerische Auge ist erwacht:

Schon der kleine Raum wie köstlich!
Hier die bunten, weichen Matten,
Dort die lieben, grünen Berge
Mit den blauen Wolkenschatten!

Und der Strom, wie er daherrauscht
Goldnes Licht auf weißem Schaume!
Ist mir doch als ob ich plötzlich
Aufgewacht aus schwerem Traume!

Nun geht's ins Freie:

Da steh ich auf dem Berge droben,
Den ich mit Sehnsucht angeblickt!
So sind die Nebel denn zerstoben,
Die lange meinen Sinn umstrickt! -

Die Lerche, die die leichten Schwingen
Am ersten Frühlingsmorgen hebt,
Sie kann wohl freudiger nicht singen,
Als meine Seele jauchzt und bebt.

Und der Künstler erinnert sich der leeren Blätter in seinem Skizzenbuch. Aber seine Versuche, sie mit Skizzen zu füllen, machen ihm selber Grausen. Scherzhaft läßt er Geister erscheinen, die ihm Radiergummi bringen, um das Unzulängliche wieder zu vernichten.

Robert Reinick war mit ganzer Seele Maler, und es war sein größter Ehrgeiz, in seiner Kunst bleibende Werte zu schaffen. Aber er ist weit mehr durch seine gemütvollen kleinen Lieder als durch seine Bilder noch heute lebendig.

Das sind die Sänger, die der Ahr ihre poetische Huldigung dargebracht haben; nicht so begeistert glühende, wie sie dem Rheine von allen Seiten zuflogen, aber doch voll Verständnis für ihre Eigenheiten und voll inniger Liebe. Die Ahr ist ja nur ein kleiner Fluß der Berge, kein majestätischer Strom, und ihr Lauf ist nicht lang und führt nicht wie der des Rheines vorüber an turmgekrönten, von Domen überragten Städten.



Entnommen: Eifelkalender 1935, S. 29-33, Eifelverein Düren




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