Eine Anregung
Von Max v. Mallinckrodt.




Im Jahre 1883 erschien in Luxemburg der „Sagenschatz des Luxemburger Landes“, eine Sammlung von Volkssagen, Märchen und Legenden, herausgegeben von Dr. Gredt. Dieses Buch, ein stattlicher Band von 645 Seiten, umfaßt 1215 einzelne Sagen, Märchen oder Legenden. Es handelt sich hierbei durchaus nicht um dichterisch verarbeitete oder individuelle erzählte Stoffe, sondern die einzelnen Erzählungen sind oft mit lapidarer Kürze, selten wie bei den Märchen ausführlicher wiedergegeben. Sie sind so erzählt, wie sie im Munde des Volkes leben, wie etwa einer sie dem Anderen, wenn die Rede auf solche Dinge kommt, mitzuteilen pflegt.

Der wissenschaftliche Wert der Sammlung ist bedeutend. Indessen liegt er nicht in einer kritischen Verarbeitung des Materials, die vielmehr gänzlich fehlt, sondern darin, daß der Sammler alles der Mühe für wert hielt, was überliefert war, und daß er die Fälle dann nach bestimmten Gesichtspunkten ordnete. So schuf er das reichhaltige und übersichtlichste Material für eine wissenschaftliche Verwertung.

Würde es nun eine zu weitgehende Hoffnung sein, sie auch für das dem Luxemburger Lande benachbarte Gebiet der Eifel an eine solche umfassende Sagensammlung dächte? Wäre es nicht eine Arbeit „des Schweißes der Edlen wert?“ In der Zeit, die wir durchleben, wird sich der Blick des Nachdenkenden gerne von den schmerzlichen Erscheinungen des hastenden Tages Erholung suchend der stillen Besinnung zuwenden, in der unsre Väter lebten. Und das Herz wird Frieden suchen in der Erinnerung an das kindliche, vertrauensvolle Miterleben des Naturgeschehens, das einer früheren Zeit vergönnt war. Im Verstehen dessen, was einst war, des Guten und des Verbesserungsbedürftigen in ihm liegt ja der wahre Fortschritt der Menschheit, den so viele heute nur in einem Saltomortale über alles Bestehende hinweg zu erblicken vermögen.

Es liegt ein unendlicher Reiz darin zu erkennen, wie sich zwischen den Menschen dereinst und dem brausenden Sturm, dem rauschenden Walde, den murmelnden Quellen, den geheimnisvoll webenden Nebelgestalten zarte Fäden spannen. Eine Welt von bunten, lebensvollen Bildern zieht an uns vorüber. Da kehrt der Dorfmusikant von der Kirmes heim spätabends und hat sein Erlebnis, oder dem Wilderer in stiller Mondnacht erscheinen gespenstische Hasen, daß ihm angst und bange wird. Kartenspieler, die nicht einmal am Ostertage von des Teufels Gebetbuch lassen mögen, ergeht es schlecht. Verborgene Schätze verraten sich durch Glühen und Leuchten, in zerfallenen Burgen huschen zur Geisterstunde die früheren Bewohner dahin. An den erlenumflüsterten Bächen waschen weiße klagende Frauen, und aus der Erde klingt das Hämmern des geschäftigen kleine Volkes der Tiefe. Derber Schabernack der Geister wechselt mit sanftem, freundlichen Verhalten. Seltsamen Tieren werden seltsame Dinge nachgesagt. Das sind nur einige wenige Züge aus dem schier unerschöpflichen Borne des Volksglaubens. Vieles erscheint doppelt, ja drei- und mehrfach, von hier und dort erzählt, aber manche Orte haben auch wieder ganz eigene liebevoll gehütete Sagen. Nichts ist gleichgültig. Ein einziger Satz kann eine volkskundliche Perle enthalten.

Wie nun würde eine solche Eifelsammlung entstehen können? Mir scheint am ehesten genau so, wie der Luxemburger Sagenschaft entstanden ist. Jeder, der etwas dergleichen sicher weiß, sendet es an eine bestimmte Stelle. Als Einsender stehn an erster Stelle die Pfarrherrn und Lehrer. Dann kommen und zwar in hohem Maße die Studenten und die Schüler der Gymnasien und Seminarien in Frage, deren Heimat in den Eifelbergen liegt. Der Namen sind sehr viele, die an der Luxemburger Sammlung mitgearbeitet haben. Vielleicht wäre es möglich, daß im Eifelvereinsblatt, denn dieses wird der naturgemäße Sammler sein müssen, eine ständige Rubrik eingerichtet würde, die solche Beiträge enthielte. Und wenn dann nach Jahren eine stattliche Sammlung vorhanden wäre, dann würde es die Aufgabe einer ordnenden Hand sein, das Material unter bestimmten Gesichtspunkten zu einem Buche zu vereinigen.

Ich will die Einteilung des Luxemburger Sagenschatzes hier kurz erwähnen, sie spricht für sich selbst.

1. Wassersagen, 2. Baumsagen, 3. Zwerge und wilde Leute, 4. Teufelssagen, 5. Hexen und Zauberer, 6. Wildes Heer, Schimmelreiter, Tänzer, Geisterkutschen, 7. Weiße Frauen und Schätze, 8. Spukende Tiere, 9. Umgehende Seelen, feurige Männer, Grenzsteinverrücker, 10. Die Sage vom Jäsmännchen, 11. Legenden und Märchen, 12. Historische Sagen, 13. Nachlese.

Zum Schlusse ein paar kurze Beispiele aus der Sammlung.

Nr. 299. Der Wilde Jäger bei Götzingen.

„An dem Wege von Götzingen nach Kapellen liegt ein ziemlich großer Wald, Fötzbusch genannt. Sobald der Wanderer um Mitternacht hier vorbeigeht, fangen auf einmal alle Bäume an zu krachen, als wollte der ganze Wald zusammenbrechen. Ein junges Mädchen, welches am Walde um Mitternacht vorbeiging, bemerkte an seiner Seite einen Jäger mit zwei Hunden, der ihm bis in die Nähe des Dorfes Götzingen folgte, wo er verschwand.“

Nr. 662. Irrlichter zu Dalheim.

„Auf dem Wege von Dalheim nach Waldbredimus, im Ort genannt „in den Weihern“, erschienen früher häufig Irrlichter, von den Leuten Traulichter genannt. Ein Traulicht wrude eines Nachts so groß, daß es schien, als stehe ein großer Weidenbaum im Feuer. Es flog hinüber nach Märzkirchen.

„In einem Hause nahe den Weibern wurde im Winter eine „Ucht“ (abendliche Versammlung der Spinnerinnen) abgehalten. Gegen zehn Uhr begab sich ein Mädchen vor das Haus und gewahrte ein Traulicht. Ihre Genossinnen riefen ihr zu, sie solle ja nichts sagen; doch das mutwillige Mädchen ließ sich nicht waren und rief:

Traulitt!
Mir lit!
Dir lit!
Lit an d'Huoverstrè (Haberstroh)
Daß déch der Hôl erschlè (dich Holla erschlage).

Doch siehe, da kam das Traulicht herangeflogen so schnell, daß das Mädchen kaum rechtzeitig ins Haus flüchten konnte; auf die rasch zugeworfene Tür fiel ein schwerer Schlag.

(J. B. Klein, Pfarrer zu Dalheim.)

Man sieht, diese Art der Darstellung ,die zuerst wohl von den Grimm in ihrem „Deutschen Sagen“ angewendet wurde, ist wesentlich verschieden von der künstlerischen Sagenerzählung, die wir besonders für historische Stoffe der Eifel schon in trefflicher Form besitzen, die aber naturgemäß nur immer einige Perlen der Sagenwelt bietet, ist unpersönlich, ist Volksgut, schlicht und anspruchslos im einzelnen, aber in seiner Gesamtheit ein lebenssprühendes Gemälde aus Väterzeit. Möge es unter dem Schutze und der Führung des Eifelvereins auch für unsere Eifel entstehn!




Entnommen: Eifelvereinsblatt 1910, Nr. 5, S. 32, Eifelverein Düren




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