Das Eremitorium "Clemensberg" im Eifelwalde

Von Dr. Rud. Creutz.


Wo die Voreifel, als einen ihrer letzten Ausläufer, den 250 m hohen Bergrücken des Hardtwaldes gegen die Rheinebene vorsendet, stand einst das Jagdschloß „Hardtburg“ der Kölner Kurfürsten. Besonders der Kurfürst Clemens August I. (1727-1761) hat gern und oft in ihm geweilt, obgleich er am Rande des Kottenforstes nahe dem Dorfe Röttgen das viel prächtigere Jagdschloß „Herzogsfreude“ besaß, das in und nach den Wirren der großen französischen Revolution von 1789 ff. restlos vom Erdboden verschwand. Auch von der Hardtburg steht heute nur noch der Bergfries- der mächtige Turm, in der Obhut des Eifelvereins, der ihn mit Treppen und Leitern besteigbar erhält, um den Besuchern den reizvollen Blick auf die Siebenberge und die am Horizont verschwimmenden Kölner Domtürme zu ermöglichen. Als aber die Hardtburg noch unversehrt stand und um sie herum die Kurfürstlichen Jagdfanfaren den Forst erfüllten, gewann sich der Hardtwald einen weiteren, allerdings sehr niedrig geborenen Verehrer, dem es gelang, unweit der Burg sich einen Wohnsitz zu schaffen, der als „Einsiedlerklause“ genehmigt war und der nach Fertigstellung, dem Urteil der Besucher zufolge, zu einem schönen Landhause mit nicht minder schöner Kapelle geworden war. Der Mann, dem es also gelang, mit erbettelten und geliehenen Geldern ein solches Bauwerk zu schaffen und zu bewohnen, schrieb sich „Joan Knubben“ und war um das Jahr 1708 in Breust bei Maastricht im Bistum Lüttich geboren. Aber sein holländischer oder flämischer Name wurde „Knübbe“ gesprochen, daher werde ich die Sprechform auch als Schreibform fortan benutzen. Daß Knübbe zunächst den Beruf eines Bierbrauers ergriffen hatte, ist aus den ihn betreffenden Originalakten ersichtlich, die mit allen anderen dieser Arbeit zugrunde liegenden Akten dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln angehören. Aber diesen Beruf legte Knübbe schon im Alter von 20 Jahren nieder, wanderte nach Rom und nahm dort im Franziskanerkloster zu den Heiligen Cosmas und Damianus das Eremitenkleid. Im Jahre 1731 war er zum zweiten Male in Rom zur Ablegung des Eremitengelübdes. Durch Urkunde vom 27. September 1731 erhielt Knübbe von dem Kölner Generalvikar Joh. Andreas von Franken-Sierstorpff die Erlaubnis, seine erste Klause auf einem Platze unweit der Burg Ringsheim zu errichten, den ihm Wwe. Freifrau von Harff zu Dreiborn geschenkt hatte.


Landschaft am Michelsberg. Rodert

Von dieser Klause sagte Knübbe später, daß er sie 1732 aus „eigenen“ Mitteln erbaut habe, d. h. aus erbettelten Mitteln. Als Mitbruder nahm er in den nächsten Jahren den ehemaligen Schuster Caspar Hengersbach auf, der um 1710 zu Effersberg im Bezirk Arnsberg i. Westf. geboren war, und unlängst ebenfalls in Rom das Eremitenkleid genommen hatte. Bis zum Jahr 1750 scheint das Zusammenleben der beiden Eremiten ohne besondere Mißhelligkeiten nach innen und außen verlaufen zu sein, zumal sich der gutmütigere Hengersbach dem herrschsüchtigen Knübbe stets unterordnete. Als aber Freiherr von Harff, der Sohn der Schenkerin, Burgherr von Ringsheim wurde, hegte er zwar für Bruder Hengersbach große Vorliebe und beschäftigte ihn gern und oft als Diener in der Burg. Um so größer war seine Abneigung gegen Knübbe, die dahinführte, daß der Freiherr im Jahre 1751 durch den Unterpräfekten Pang des Amtes Tomberg Knübbe mit vierundzwanzigstündiger Frist aus der Klause ausweisen ließ. Knübbe suchte eine vorläufige Zuflucht in Odendorf und rief von dort die Hilfe des ihm vorgesetzten Eremiten-Kommissars an.

Somit habe ich zunächst hinsichtlich des Eremiten-Kommissars für den linksrheinischen Teil des Erzbistums Köln, den Pfarrer Petrus Zehnpfennig (1691 bis 1766) zu Sindorf im Kreise Bergheim und über die ihm übertragenen Befugnisse eine Reihe von Erläuterungen zu geben. Das grundsätzlich Wichtigste ergibt sich schon, wenn ich den Tenor der langen lateinischen Ernennungsurkunde, wie sie die Kölner Behörde für den Kommissar Zehnpfennig erlassen hat, in stark gekürzter Uebersetzung wiedergebe:

„Unter unseren Diözesanen haben wir eine Anzahl kennengelernt, die sich unter dem Namen „Eremiten“ in einer Art Ordensgewandung, aber ohne eine sicher Ordensleitung abgesonderte Wohnplätze erwählt haben, in der Absicht, die Lebensweise der alten, frühchristlichen Anachoreten nachzuahmen. Ein solches Leben kann zwar in manchen Fällen löblich sein, aber es kann auch gefährliche Schäden haben, zumal wenn diese Eremiten unaufhörlich in Dörfern und Städten herumschweifen und durch ihre Unsitten zum Aergernis werden, wie bislang niemand vorhanden ist, der sie als ihr unmittelbarer Oberer zu zügeln und zur rechten Art des Einsiedlerlebens anzuhalten hat. Darum haben wir beschlossen, Dich, von dessem Eifer und frommer Gesinnung wir sichere Beweise haben, als unseren Erzbischöflichen Kommissar den Eremiten Unserer Erzdiözese vorzusetzen mit dem Auftrage, alles sorgfältig zu prüfen und zu überwachen.“


Kreuzweingarten, Kreis Euskirchen. Nießen.

Auf Grund dieser Bestallung gab sich Zehnpfennig eifrig ans Werk und schuf zunächst sechzehn strengverbindliche Anweisungen für Erermiten, von denen hier nur sieben in verkürzter Form interessieren:

  1. Das tägliche Leben des Eremiten sei „ora et labora“.

  2. Er untersteht unmittelbar seinem Ortspfarrer.

  3. Kein Eremit ist zuzulassen, sofern er nicht eine Kunstfertigkeit oder ein ehrbares Handwerk versteht, an dessen Stelle die Kenntnis des Lesens und Schreibens treten kann, damit er notfalls Jugendunterricht erteilen könne.

  4. Unter keiner Bedingung ist es zulässig, daß weibliche Personen in der Klause wohnen, oder auch nur länger sich aufhalten.

  5. Der Besuch von Schankstätten, außer auf langen Wanderungen, ist verboten.

  6. Jeder Eremit ist verpflichtet, einen kleinen Gemüsegarten anzubauen, um nicht den bäuerlichen Nachbarn zur Last zu liegen.

  7. Für das Sammeln von Almosen dürfen die vom Kommissar festgesetzten Zeiten und Bezirke nicht überschritten werden.

Was Persönlichkeit und Amtsführung des Kommissars Zehnpfennig betrifft, so lassen die Akten sie in hellstem Lichte erstrahlen. Zunächst war er ein klassisch gebildeter Mann. Da er alle Berichte an seine Behörde nur in lateinischer Sprache zu erstatten hatte, so muß der Kenner dieser Sprache die stilistische Feinheit und Gewandtheit des Ausdruckes in jedem seiner vielen erhaltenen Schriftstücke immer wieder bewundern. Sein Charakter - es ergibt sich mit aller Klarheit - war vorbildlich ehren- und gewissenhaft, gepaart mit Güte und Milde. Die oft nicht zu vermeidende Strenge, zu der ihn die Unbotmäßigkeit einzelner Eremiten nötigte, war keinesfalls nach seinem Herzen und man empfindet deutlich, wie gern er sein mildes Wesen immer wieder durchbrechen ließ. Und diese glückliche Veranlagung hat ihm geholfen, nicht nur manche Unbill, die ihm der vielfach üble Knübbe angetan hat, mit Gelassenheit hinzunehmen, mehr noch die Schwierigkeiten, die ihm Knübbe bei der Kölner Behörde bereitete, mit Stillschweigen zu ertragen.


Blick zur Hardtburg. Fritz Muyrers.

Zunächst natürlich, als Knübbe, aus Ringsheim vertrieben, die Hilfe seines Kommissars bitter nötig hatte, legte er ein Wesen von größter Ergebenheit und Demut an den Tag, so daß Zehnpfennig sich leicht überzeugen ließ, es gebe keine andere Lösung, als die Ringsheimer Klause aufzuheben und sie auf Kurkölnischem Gebiete von neuem erstehen zu lassen. Die außerordentliche Findigkeit Knübbe's vermochte bereits in wenigen Tagen oder Wochen dem Kommissar klar zu machen, daß eine Stelle im Hardtwalde, die zu der Pfarre Kreuzweingarten gehöre, sich für die neue Klause besonders eigne, da der Pfarrer von Kreuzweingarten Tillmann Hoffschlag (1715 bis 1754) dazu sein völliges Einverständnis bereits schriftlich erklärt habe. Daraufhin zögerte Zehnpfennig nicht, das Bittgesuch an den Kurfürsten Clemens August um Ueberlassung eines Platzes warm zu befürworten und am 27. Juni 1752 durch den Amtsverwalter zur Hardt Johannes Tils der Platz „am Ende des Waldes nach Stotzheim zu“ abgesteckt. Kurz darauf erhielten Knübbe und Hengersbach die Erlaubnis, in den Kurfürstlichen Bistümern Osnabrück und Hildesheim, sowie im Kurfürstlichen Westfalen sechs Monate lang Spenden zu den Baukosten zu sammeln. Als Zehnpfennig die Sammlung befürwortete, leitete ihn der Gedanke, in dem neuen, etwas größer wie üblich geplanten Eremitorium eine Stelle zu schaffen, die sowohl jüngeren Brüdern zum Noviziat, wie älteren Brüdern zu zeitweiligen geistlichen Uebungen dienen sollte. Der arglose Mann aber ahnte nicht, daß die Verschlagenheit eines Knübbe beschloß, diesen Plan zu einem „Landhause“ auszugestalten, in dem andere für ihn arbeiten und ihm zu einem geruhsamen Leben verhelfen sollten.

Zunächst ging Knübbe energisch daran, den Hausbau zu beschleunigen. Fünfhundert Reichstaler hatte die Sammlung erbracht, zweihundert Taler nahm er dazu als Darlehen auf; alles benötigte Bauholz stellte die Kurfürstliche Frostverwaltung zur Verfügung, und zwar kostenlos. Der Standort des in den Zeiten nach der französischen Revolution völlig verschwundenen Hauses ist längst nicht mehr nachweisbar, aber aus Andeutungen in den Akten ist zu vermuten, daß die Lage etwa fünft bis zehn Minuten von der Hardtburg entfernt war. Diese Nachbarschaft machte es wahrscheinlich, daß Knübbe im Laufe der Zeit mit dem Kurfürsten in persönliche Berührung gekommen ist, denn das würde die Dreistigkeit erklären, mit der Knübbe unter Umgehung von Kommissar und Generalvikar wiederholte Beschwerden über beide direkt an Clemens August gelangen ließt.


Schloß Satzvey. Illigen.

Was ich nunmehr über Knübbe's zunächst ordnungsmäßiges Verhalten zu berichten habe, wie ihn weiterhin seine Ueberheblichkeit vom Jahre 1756 ab zur Unbotmäßigkeit gegen seinen Kommissar trieb, wie seine Lebensführung immer anstößiger wurde, wie er zuletzt als notorischer Alkoholiker unter Verachtung des gutgesinnten Landvolkes anheimfiel und wie die Auswirkungen der französischen Revolution auch Clemensberg vernichteten, will ich mit möglichster Vermeidung unwichtiger Nebenumstände aktenmäßig darstellen.


Frühwinternebel über den Eifelbergen. O. A. Popp.

Im Sommer 1753 erlangte Knübbe die Erlaubnis, dem nunmehr fertiggestellten Eremitorium zu Ehren des Kurfürsten den Namen „Clemensberg“ zu geben. Gleichzeitig erwirkte er sich die Genehmigung, dem Bau ein „Oratorium“ anzufügen. Leider fehlt von Haus und Kapelle eine Zeichnung oder Beschreibung, doch tadelt der Generalvikar bei etwas späterer Gelegenheit den „allzu kostspieligen Bau, der zum Ausflugsziel der Stiftsherrn von Münstereifel und der Laien“ geworden sei. Die auf dem Bau lastenden Schulden fingen von 1754 an, Knübbe zu bedrücken. Während des Baues hatte er sich einen dritten Bruder Aegidius Bresgen zu tatkräftiger Bauhilfe genommen, das hatte Zehnpfennig genehmigt, als aber ein gewisser Anton König mit ererbtem Gelde als vierter Bruder Knübbe's Schulden decken sollte, verweigerte Zehnpfennig die Zustimmung. Aber das König schon sein Geld hergegeben hatte, behielt Knübbe ihn auf eigene Faust heimlich doch in Clemensberg. Dennoch besaß er die Gunst seines Kommissars, der ihm sogar das Amt des Eremiten-Visitators übertrug, als welcher er einmal im Jahre jeden Eremiten unvermutet aufzusuchen und bei dem Ortspfarrer seinen Leumund festzustellen hatte. Es liegt nahe, daß das Visitatoramt zu der Ueberheblichkeit des Knübbe viel beitrug, denn als Visitator hatte er es verstanden, von dem Generalvikar ohne Vorwissen des Kommissars die Vollmacht zu erlisten, zwei von diesen disziplinarisch entlassene Eremiten wieder aufzunehmen und sie eigenmächtig in Eremitorien wieder einzusetzen. Aehnlich verfuhr er mit Versetzungen von Eremiten aus einem Eremitorium in ein anderes. Zehnpfennig erfuhr davon erst im Mai 1756 und als er Knübbe wegen seiner Hinterlist zur Rede stellte, gab der übermütig und eitel gewordene Visitator zur Antwort, er verstehe seinen Dienst viel besser als der Kommissar. Daß darauf der Kommissar Knübbe „einen frechen Kerl“ nannte, war vollkommen berechtigt, aber Knübbe nahm den Ausdruck zum Anlaß einer direkten Beschwerde an den Kurfürsten. Dieser aber rückte endlich von Knübbe ab, indem er das Schriftstück an den Generalvikar abgab. Auch dieser erkannte, daß er Knübbe gegenüber die Zügel habe schleifen lassen und dessen Kaltstellung notwendig geworden sei. Knübbe aber machte sich nicht viel aus dem erhaltenen Rüffel und begab sich trotzig und ohne Erlaubnis auf eine monatelange Wanderung, die ihn bis nach Wien führte. Kaum zurückgekehrt, richtete er eine neue Eingabe an den Kurfürsten, wiederum mit Verdächtigungen gegen Zehnpfennig. Nun aber wurde der Kurfürst der Verdächtigungen überdrüssig und verlangt von dem Generalvikar energische Zurückweisung Knübbe's. Es ist schwer verständlich, daß der Generalvikar nicht persönlich Knübbe in die Schranken wies, sondern zuerst damit den Landdechanten Dick (1752 bis 1763) von Odendorf beauftragte und als es nicht fruchtete, den Dekan des Collegiat-Stiftes Münstereifel. Edmund Schenkartz (1751-1796). In beiden Verfahren mit schweren disziplinarischen Zwangsmitteln bedroht, gelobte Knübbe Besserung, die aber keinen langen Bestand hatte. Inzwischen aber nahm ihm der Tod von Clemens August im Jahre 1761 die Möglichkeit, ihn für seine arglistigen Machenschaften zu mißbrauchen. Da die Akten von 1761 ab lückenhaft sind, läßt sich nicht erkennen, wie sich Knübbe vom Jahre 1761 bis 1766, wo der Tod den pflichttreuen Zehnpfennig abberief, verhalten hat.


Linde am Wege von Kirchheim nach Kirspenich. A. Groß

Eremitenkommissar wurde nunmehr Pfarrer Faber von Gotteskirchen. Zu dieser Zeit hatte Knübbe in einem Bruder Thomas van der Wielen einen begüterten Dummen gefunden, dem er flugs 10 Golddukaten abnahm zu besserer Ausstattung des Eremitoriums mit Möbeln, Bettdecken und Leinwand. Als Wielen im Jahre 1767 zur Einsicht kam, daß er seine Dukaten niemals wiedererhalten würde, lag ihm auch nicht mehr viel daran, Knübbe's Diener zu spielen; so benutzte er die Abwesenheit des auf längerer Bettelreise befindlichen Knübbe zu der Einsiedelei Bütgen bei Neuß, abzuwandern, nachdem er vor dem Amtmann Tils zu Cuchenheim die Erklärung abgegeben, daß er bei dem Verschwender Knübbe nicht bleiben könne.

Als Knübbe zurückkehrte, verlangte er von Kommissar Faber eine neue Hilfskraft und erhielt sie in dem Bruder Jacob Mercier, bisher in Bütgen, einem Wallonen mit gewaltigen Körperkräften, dessen Fäuste Knübbe schmerzlich zu spüren bekam, als er auch Mecier in gewohnter Weise zu tyrannisieren versuchte. Seitdem hatte Knübbe vor Mercier große Furcht und lag dem Kommissar solange in den Ohren, bis dieser im Jahr 1769 gestattete, daß Mercier auf holländischem Gebiet eine Klause bezog. Als Ersatz gewann sich Knübbe den Schustergesellen Petrus Math. Cöllen aus Köln unter dem Namen Bruder Antonius. Obwohl dieser Antonius sehr gutmütig war und sich viele Jahre lang alles von dem immer disziplinloser werdenden Knübbe gefallen ließ, war er nach sechsjährigem Aufenthalt in Clemensberg gezwungen, vor dem nunmehrigen Generalvikar von Horn-Goldschmidt als Ankläger aufzutreten. Der Generalvikar, entsetzt über die Enthüllungen des Bruders Antonius, ordnete sofort eine Verhandlung an. Die Amtmann Tils zu leiten habe. Sie fand am 8. Oktober 1775 zu Cuchenheim statt. Zuerst wurde Bruder Antonius vernommen, der zunächst erklärte, daß er alle Aussagen, die er vor dem Herrn Generalvikar gemacht, voll aufrecht erhalte. Knübbe habe sich seit Jahr und Tag fortgesetzt schwer gegen die Eremitenregel vergangen und den Dorfbewohnern rings um Clemensberg höchstes Aergernis gegeben. Er lasse fast Tag für Tag zwei Weiber, deren eine Ehefrau Daniels heiße, sich im Eremitorium aufhalten, und durch sie Mahlzeiten bereiten, wobei die Brüder genötigt seien, mit den Frauen zu Tisch zu sitzen. An allen Sonn- und Feiertagen erscheine auch der Ehemann Daniels zur Mahlzeit, an die Knübbe ein großes Schnapsgelage anschließe, wobei beispielsweise in einem Zeitraume von nur drei Wochen „acht Maassen brandewein“ (= 16 Liter) getrunken worden seien und über 200 Pfund Schinken und Fleisch verbraucht wurden, die er und sein Mitbruder Augustin Müsch auf Befehl Knübbe's weit und breit „mit saurem Schweiß“ hätten erbetteln müssen.


Durchblick zum Hochtürmen-Berg vom Effelsberg. A. Wendel.

Bruder Augustin bestätigte jeden Satz in der Aussage des Bruders Antonius und fügte hinzu, er habe in Clemensberg ein geistliches Leben gesucht, aber nicht gefunden und statt des Bethauses habe er ein übles Gasthaus vorgefunden. Beide Brüder gaben sodann noch an, Knübbe habe sein Treiben fortgesetzt, obwohl ihm bereits von den Pfarrern der Dörfer Kirchheim und Kreuzweingarten wiederholt das große Aergernis vorgehalten worden sei, das er durch sein liederliches Leben errege, und obwohl ihn außerdem der Obristjägermeister Freiherr von Weichs in „fulminantischen Worten“ verwarnt habe. Der zuletzt vernommene Knübbe wagte keine Ableugnung, glaubte aber entschuldigend bemerken zu wollen, daß an dem „Branntweintrunk von 8 Maass“ noch einige Arbeiter beteiligt gewesen, und an den 200 Pfund Fleisch seien viele Knochen gewesen. Zu den zwei Weibern habe er keine unerlaubte Beziehungen unterhalten, sondern sie mit Arbeiten betraut.

Der Amtmann verlangte und erhielt nunmehr von Knübbe das „heilige Versprechen“, sofort alle Mängel abzustellen, das Ehepaar Daniels zu meiden und sich fortan „eremitisch“ zu betragen. Doch hielt er das Versprechen nicht und schon nach einem Monat, am 9. November 1775, berichtete Amtmann Tils an den Generalvikar, daß Knübbe sein „Lotterleben“ fortsetze. Darauf erhielt Tils den Befehl, dem Knübbe zu eröffnen, daß er „im ersteren übertrettungsfal“ mit Gewalt (manu forti) aus der Klause herausgeworfen werde. Dieser Befehl vom 29. November 1775 scheint für eine Zeitlang gewirkt zu haben.

Nunmehr klafft in den Akten des Historischen Archivs für die folgenden 15 Jahre hinsichtlich Clemensberg eine Lücke. Aber die im Pfarrarchiv von Kreuzweingarten bewahrte Abschrift von einem Generalvikariats-Protokoll, datiert 28. Februar 1783, belehrt uns schon durch den Titelvermerk „Abgehaltene Visitation und Anklage eines Eremiten auf dem Clemensberg“, daß Bruder Knübbe nach wie vor der Trunksucht verfallen ist, denn der Generalvikar von Horn-Goldschmidt verbietet ihm „schärfest“ Brandwein in seiner Zelle, oder „sonsten in seiner Gewalt“ zu haben. Weil aber „dessen Natur an besagten Trank allzusehr gewohnt ist, soll ihm vom Bruder Augustin morgens und abends ein glässgen (so!) hergegeben werden“.

Das Historische Archiv besitzt als letztes Aktenstück über Clemensberg die Feststellung, daß im Jahre 1792 der mehr als 84jährige Knübbe nach 62jähriger Eremitenzeit noch immer mit Bruder Augustin Müsch zusammenlebt und daß sich ein Bruder Gereon Kirsch noch hinzugesellt hat.

Endlich verzeichnet das Pfarrarchiv von Kreuzweingarten als Todestag des Knübbe den 24. Juni 1794. Und dann lebt heute noch in Kreuzweingarten die Tradition fort, daß der große Abscheu der Bevölkerung gegen Knübbe am Beerdigungstage Knübbe's Sarg von dem Wagen schleuderte und ihm eine Grabstätte auf dem Dorfkirchhofe verweigerte. Mit vieler Mühe hatte es der Pfarrer erreichen können, dem Toten abseits eine Stätte zu bereiten.

Ueber den über kurz oder lang erfolgten Untergang vom Clemensberg hat sich keine Nachricht erhalten. Aber nachdem ich so viel Mißliches berichten mußte, möchte ich mit einem ganz kurzen Lebensbilde des jüngsten Eremiten von Clemensberg Gereon Kirsch meinen Bericht einen versöhnlichen Ausklang geben.

Bruder Gereon, um 1757 in Köln geboren, nahm am 9. November 1787 in Rom das Eremitenkleid und fand seine erste Klause in Mehren in der Eifel. Nach Clemensberg kam er 1790 und wenn es ihn 1792 von dort schon wegtrieb, so möchte man es seiner Abneigung gegen Knübbe zuschreiben, denn die Sehnsucht nach Clemensberg erlosch in seinem Herzen nie. Vom Mai 1794 bis Juni 1796 weilte er in Rom. Dann bezog er ein Eremitorium in der Pfarre St. Martin zu Kaufbeuren, deren Pfarrer Ign. Mechelbeck ihm im September 1798 ein sehr lobenswertes Zeugnis erteilt. Viele Jahre hause er im Kanton Schwyz auf der Insel Schwanau im Lowerzer See, dann vertauschte er diese Klause mit einer anderen auf dem Berge „Spitzbüel“, immer nacheifernd dem Vorbildes des sel. Klaus von der Flühe, dem Patron der Schweizer Aelpler. Landamtsmann und ein bischöflicher Kommissar stellen ihm die rühmlichsten Zeugnisse aus und am 2. März 1816 nimmt Gereon in Schwyz den Reisepaß in die Heimat.

Trieb den 59jährigen nach 24jährigem Leben in der Fremde die Heimatsehnsucht allein? Stieg nicht auch das reizvolle Bild von Clemensberg aus seiner Erinnerung empor, als ihm die sichere Kunde ward, daß in die rheinische Heimat wieder Ruhe und Ordnung eingekehrt sei? Als aber sein Fuß wieder heimische Erde betrat, als sein Auge im Hardter Walde nach dem Clemensberg seiner Jugend suchte, fand er den so vertrauten Platz längst wieder vom Walde überwuchert. Enttäuschend lenkte Bruder Gereons Schritte nach Köln. Und ob der Tod ihn hier bald oder später ereilte, drückte er seine derbe lederne Brieftasche in die Hand mit 12 gesiegelten Dokumenten, an denen sein Herz hing, weil sie 50 Jahre seines Wander- und Einsiedlerlebens widerspiegeln. Hundert Jahre und mehr hütete man die alte Tasche in eine Kölner Familie von Generation zu Generation. Vor nunmehr 10 Jahren kam sie in die sorgsame Hut des Historischen Archivs. Bruder Gereon, der Gute, wird darob zufrieden sein.


Rud. Creutz im Eifelkalender 1943, Seite 53-60


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