Kreuzweingarten von der anderen Seite

Man kann jetzt auch Mittwochs nachmittags mit Sonntagskarte dorthin fahren und einige glückliche Stunden an einem der schönsten Punkte unser näheren Umgebung verweilen. Nach Kreuzweingarten nämlich, dem lieblichen Dörflein am Durchbruch der Erft zwischen dem trotzigen Burgberg und den Ausläufern des Billiger Waldes! Noch schöner ist es, am Samstag nachmittag dort die Woche zu beschließen.

Die meisten Volksgenossen, die Kreuzweingarten besuchen, biegen vom Bahnsteig gleich links über die Gleise in den Hardtwald ein oder steigen zum Kreuz auf den Burgberg hinauf, um von oben herab den herrlichen Rundblick zu genießen. Dann hat man die vom Silberband der Erft durchflossene Talenge zu seinen Füßen liegen, und über dem Dörfchen erhebt sich das Kirchlein mit dem oberbayerisch anmutenden Friedhof. Das ist gewiß ein schönes Bild. Aber man sollte es nicht versäumen, sich Kreuzweingarten auch einmal von der andern Seite aus anzuschauen. Wir haben es am letzten Samstag nachmittag getan und wahrlich nicht bereut.

Mit einer Fahrkarte zum sorgfältig errechneten Preise von 45 Reichspfennigen bewaffnet, bestiegen wir den Erftgold-Zug und stellten beim Ausblick auf die Landschaft fest, daß man es in diesen sonnigen Maitagen tatsächlich draußen wachsen sieht. Die Aussichten der Erzeugungsschlacht haben sich mächtig gebessert in den letzten Tagen. Vom Bahnhof Kreuzweingarten wanderten wir über die hohe, feste Brücke, unter der die Erft sonnenklar, aber noch immer außergewöhnlich stark hindurchschießt, ins Dorf, überquerten die dort sorglich erbreiterte Landstraße und gingen geradeaus, an der Pastorat, wo ein eifriger Forscher der Heimatgeschichte seines geistlichen Amtes waltet, und der Kirche vorbei, bis rechts ein vortrefflich ausgebauter Weg auf die Höhe des Billiger Waldes führte.

Wir hatten am Mittwoch den Artikel im Volksblatt gelesen, der von unsern „schöneren Dörfern“ redete, und fanden das darin Gesagte gleich bestätigt. Die Blumen in dem Hausgarten an der Straßengabelung erweckten in uns die Erinnerung an ein altes Schullied vom Frühling:

„Die Lilien heben die Schwerter,
die Tulpen die Becher empor“.

Unser Weg steig langsam in weit ausholender Serpentine bergan und gab gleich einen überraschenden schönen Blick auf die jenseits des Tales ansteigende, von blühenden Apfelbäumen bedeckte Höhe frei. Dann bogen wir nach rechts ein und kamen an die Stelle, wo der Römerkanal offen liegt und an die Zeiten mahnt, da unten im Tal sich römische Villen erhoben und auf der Höhe des Billiger Berges Belgica, eine Römerstadt, stand. Hier nahmen wir die erste Gelegenheit wahr, Kreuzweingarten von der anderen Seite zu sehen, und waren von der Schönheit dieses Bildes überwältigt.


Kreuz-Weingarten mit Burgberg vom Römerkanal aus gesehen (Photo: Volksblatt-Archiv)

Vor uns lag der Wald, der sich ins Tal hinabsenkte. An einer durchbruchartigen Stelle stand unten ein großer Weißdorn in voller Blütenpracht. Dahinter erhoben sich die Firsten der Häuser des Dörfchens, überragt von dem Kirchlein, neben dessen Turmquadern zwei gewaltige Kastanienbäume im reichen Schmuck der Blütenkerzen prangten. Der in junges Grün gekleidete Burgberg mit dem hochragenden Kreuze gab dem prächtigen Bilde einen stimmungsvollen Hintergrund. Wir waren uns nicht einig, welche Ansicht von Kreuzweingarten wir den Vorzug geben sollten, der vor uns liegenden oder der bekannten vom Kreuz aus. Wir einigten uns dahin, daß beide unübertrefflich schön sind.

Dann gingen wir, nachdem wir uns lange an dem herrlichen Blick erfreut hatten, weiter bergan, schauten in die weite Ebene hinein, aus der die Türme und Schlote der Vaterstadt emporragen und die von den Höhen der Ville mit dem Swister Türmchen und den hohen Kaminen abschließend begrenzt ist, gingen links durch eine offene Pforte im Wildzaun ins Mallinckrodtsche Gebiet, einen stillen Pfad entlang, erst durch Ginster und Unterholz, dann durch immer geschlossener werdenden Eichenhochwald. Hier öffnete sich an einzelnen Stellen der Blick nach Süden, zuerst den nadelspitzen Kirchturm von Kirspenich freigebend, dann da Dorf mit der gastlichen Burg; späte lag die Arloffer Fabrik mit dem Dorf dahinter, an dessen Ende sich das Kapellentürmichen und die breitgelagerte Burg erheben, wie ein Ausschnitt aus einem großen Rundgemälde vor uns. Immer wechselnde Bilder, dazu Sonnenglanz zwischen dem jungen Eichenlaub, Vogelsang, Waldesduft! Und ein köstlicher Friede!

Die Stunden rannen im Fluge dahin. Als wir dann ins Dorf zurückkehrten, war alles mit der Vorbereitung des Sonntags beschäftigt. Es gibt nichts Traulicheres, als diese Zurichtungen zum Tage des Herrn in einem deutschen Dorfe zu beobachten. Die Straße wird mit der Gießkanne gesprengt und gereinigt, das Aeußere der Häuser sonntäglich gesäubert und geschmückt. Ein Mann, mit dem wir bei unserm Aufstieg in seinem Garten am Berghang einige Worte gewechselt hatten, ging wieder dorthin, als wir ins Dorf kamen. Auf unsere Frage, ob er noch nicht Feierabend habe, sagte er, schon den Sonntagsfrieden im gebräunten Antlitz: „Ich hole noch einen Blumenstrauß herein“.

Auch uns ergriff eine feiertägliche Stimmung, die sich noch mehr steigerte, als wir an Stotzheim und Roitzheim vorbeifahrend, dieselben Beobachtungen machten konnten: Schöner gewordene Dörfer im Frühlingsglanz, den Sonntag erwartend. Als wir daheim ausstiegen, läuteten die Glocken von den Türmen den Tag des Herrn ein.




Entnommen: Euskirchener Volksblatt vom 29. November 1937




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