Das Kalkarer Moor



Aus unserm Leserkreise wird uns geschrieben:

„In Ihrer letzten Sonntagnummer erwähnen sie im „Wegweiser für einen Pfingstausflug“ Kalkar „mit seinem unter Naturschutz stehenden Moor“. Sie haben dabei wohl vorausgesetzt, daß Ihr Leser von der Existenz dieses Moores und seinen Besonderheiten, die seine Stellung unter Naturschutz rechtfertigen, Kenntnis hätten. Dem ist aber nicht so. Wie viele andere Volksgenossen, die Ihre allwöchentlichen Schilderungen mit großem Interesse verfolgen, würde auch ich es begrüßen, wenn wir über das Kalkarer Moor Näheres hören könnten.“

Wir kommen diesem Wunsche gerne nach und greifen zurück auf einen Aufsatz des im vergangenen Jahr verstorbenen Heimatforschers und großen Botanikers Prof. Jos. Nießen, Bonn, der im Eifelkalender 1929 erschienen ist.

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Im Erftgebiet zwischen Weingarten, Kirspenich, Arloff, Kalkar, Wachendorf und Antweiler liegt eine weite Senke, die an ihrer tiefsten Stelle ein einzigartiges Moor auf Kalkuntergrund aufweist, ein zum Teil aus Wiesen-, zum Teil aus Sphagnum-Moor bestehendes Misch- oder Wechsel-Moor. Es ist seit kurzem mit Unterstützung der Rheinprovinz Eigentum des Kreises Euskirchen geworden, der sich grundbuchmäßig zur Erhaltung des Moores in seinem gegenwärtigen Zustande verpflichtet hat. Das Moor ist überaus reich an charakteristischen Moorpflanzen, die stellen weise ein bis zu ein Meter mächtiges Torflager geschaffen haben, in welchem früher Torf gestochen wurde. Nach Westen und Norden wird das Moor von einem Gelände begrenzt, das aus rotem, an der Oberfläche humosen, undurchlässigem Lehm und in zwei Meter Tiefe auf wasserführendem Sand oder Schotter besteht; im Osten und Süden zieht sich ein Grenzstreifen aus weißen, zum Teil tonigen Quarzsanden hin. Die Randböden erheben sich zwischen 225 bis 240 Meter über Meeresspiegel.

Seit vielen Jahren bin ich zur Sommerzeit, wenn das Naturleben seinen Höhepunkt erreicht, ins Kalkarer Moor gewandert. Sonnenglut liegt dann brütend über der sumpfigen Landschaft. Welche Fülle des Lebens unterhält sie im Schoße der Gewässer, der ältesten Heimat allen Lebendigen auf Erden! Leben drängt sich an Leben und bereitet neues vor. Ringsum ein Knospen und Teilen, ein Blühen und Bestäuben, ein Entfalten aus dem Ei und tausend anderen Keimen!

... Und überall Lebensfreude und Lebensluft. Das tanzt und springt und kriecht und fliegt, das klirrt und girrt und summt und singt an allen Enden. Buntfarbige Libellen jagen einher. Ueber die Riedgrashügel setzen Heuschrecken in weiten Sprüngen. Bienen und Schmetterlinge eilen von Blume zu Blume. Hoch oben kreist ein Kiebitz mit lautem Kiwittruf. Im Schilfrohr raschelt ein kunstfertiger Rohrsänger in sein Nest; neben ihm erheben sich die Blüten des breiten, des schmalen und des zierlichen Wollgrases, die meterhohen Stengel des Wasserhanfs, die breiten, säbelförmigen Blätter der Schwertlilie, die zierlichen Blütenköpfe seltener Disteln, die stattlichen Dolden der Brustwurz, des Haarstrangs und der kümmelblätterigen Silge. Eine besondere Beachtung verdient die deutsche Schneide, die hier ihren einzigen Standort in der Eifel hat, seitdem die Pflanze am Laacher See verschwunden ist; ihren Namen trägt sie nach den langen, starren, scharfgesägten Blättern, die leicht und tief verwunden. Reich ist das Moor an typischen Orchideen, z. B. Lösels Glanzkraut, fliegenartige Höswurz, geflecktes, fleischfarbiges und breitblätteriges Knabenkraut und deren Kreuzungen. Verbreitet sind im Kalkarer Moor die interessanten fleischverdauenden Pflanzen, Sonnentau, Fettkraut und Wasserschlauch. Zerstreut stehen dort Bitterklee, Läusekraut, Baldrian, Grundfeste, Vergißmeinnicht, Tormentille und Becherblume. Vereinzelt finden sich noch das Studentenröschen, das Quedel-Kreuzblümchen, die Zinnensaat und die Betonie. Auch der Wacholder, die Charakterpflanze der Eifel, ist vertreten. Dagegen suchen wir vergebens nach Heidkraut, nach der Sumpf- oder Glockenheide, nach dem wilden Rosmarin, der Aehrenlilie, dem braunen und weißen Schnabelriet, die als Leitpflanze in niederrheinischen Mooren stehen. Reich aber ist das Kalkarer Moor an Laub- und Lebermoosen, auch seltener Arten.

So ist denn eine überaus wechselvolle Musterkarte reichen Pflanzen- und Tierlebens über das Moor ausgebreitet. Un über allem Leben lacht der heitere Himmel in azurnem Blau und die Mutter Sonne im goldenen Glanze hernieder. Aber auch neidische Wolken türmen sich vor ihrem Angesicht auf, düster schauen sie auf die Allmutter, schleudern Blitze herab und grollen im Donner. Alles Leben duckt sich schweigend nieder. Aber die Sonne kämpft sich durch, zwingt die Wolken, erquickenden Regen zu senden, zerreißt ihre Schleier, dringt mit Ihren Strahlen neubelebend vor, begleitet das erfrischte Leben und winkt ihm am Abend mit feurigem Strahlenauge freundlich „Gute Nacht!“ zu. Die zarten Kinderchen träumen im Schlummer der Nacht von der Sonnenmutter Liebe und Sorge in baldiger Wiederkunft, von neuer Lebensluft am Sonntage. Im grauen Nebelschleier der Nacht wird das Moor noch einmal so groß und so weit; für die Nacht gehört es der Sagenwelt und dem Reiche der Geister.

Vorüber jagt auf Flammenhufen
Erlkönig sein goldmähnig Roß.
Die Geige tönt, die Zimbeln rufen,
Er reitet auf sein Geisterschloß

H. Lingg.





Entnommen: Euskirchener Volksblatt vom 16. Juni 1943




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