Eine Vorfrühlingswanderung durch heimische Fluren




Die sehr eindringliche Aufforderung zweier Reichsminister, unnötige Reisen zu unterlassen, hatte nicht nur für die Ostertage Geltung. Es wurde auch ausdrücklich auf die beginnende Frühlingszeit Bezug genommen. Da nun aber nach langer, harter Winterzeit sich jedermann auf einige Stunden in Gottes erwachender Lenznatur freut, anderseits die sonst übliche Fahrt an den Rhein oder ins Gebirge mit den Pflichten eines guten Staatsbürgers in diesem Frühjahr nicht in Einklang gebracht werden kann, wird es notwendig sein, daß wir uns wieder mehr darauf besinnen, welche Schönheiten unsere engere Heimat bietet. Das Wort: „Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah“, ist wieder in Geltung gekommen. Deshalb wollen wir dann und wann an dieser Stelle erprobte und nützliche Winke für alle geben, die gewillt sind, neben den Wandergelegenheiten, die der Eifelverein und Kraft durch Freude bieten allein oder in kleinen Gruppen unsere liebe Heimat zu durchstreifen. Den Anfang machen wir mit der Schilderung einer Morgenwanderung im Frühling, die vor dreißig Jahren ein Freund unseres Blattes, der früher lange Jahre Wanderbas des Eifelvereins war, ausgeführt und beschrieben hat. Sie darf auch heute noch unser Interesse beanspruchen, wenn auch manches leiden anders geworden ist. Wir werden auf diese Veränderung auf Grund eigener Wandererfahrungen im Ablaufe dieses Berichts hinweisen.

Vorausgesetzt sei, daß diese Wanderung an einem Maimorgen des Jahre 1912 gemacht worden ist, nicht mehr im herben Milieu des Vorfrühlings wie heute, sondern als die Vegetation schon erheblich weiter fortgeschritten war. Einem normalen Winter war ein zeitiges Frühjahr gefolgt, der März hatte eine Reihe schöner, warmer, sonniger Tage gebracht. Auch der erste Ostertag, der auf den 7. April fiel, war von hellstem Sonnenglanz verschönt. Dann kamen allerdings einige Tage, an denen der April seine üblen Launen zeigte, aber sie machten bald wieder prächtigem Frühlingswetter Platz, so daß der Lokalberichterstatter am letzten Apriltage feststellen konnte, dieser Monat habe sein sprichwörtliche Verpflichtung, dem Mai Gras und Aehren zu liefern, in vollstem Maße erfüllt.

Des Sonntags in der Morgenstund,
Wie wandert sich's so schön,
Wenn rings umher in weiter Rund
Die Morgenglocken gehen!

„Halb vier Uhr morgens (wohlgemerkt: im Frühjahr 1912 war die Sommerzeit nicht eingeführt!) wirft uns der scharfe Ruf des Weckers aus dem Bette, während draußen in Nachbarsgarten schon die muntere Amsel unermüdlich ihre Flötentöne in den kommenden Tag hineinschmettert, manchmal unangenehm übertönt von dem lärmenden Geschrei der zu einer Legion angewachsenen Sperlingsschar. Ein kurzes Frühstück und hinaus auf die menschenleer Straße: vier Uhr schlägt es gerade von den Türmen unserer Vaterstadt.


Der Weg führt uns durch das „Brandenburger Tor“ an unserem prächtigen Gymnasium vorbei auf Billig zu. Wir betrachten die weite Baufläche der kommenden Taubstummenanstalt und freuen uns, demnächst wiederum ein großes öffentliches Gebäude an der Peripherie unserer aufstrebenden Vaterstadt entstehen zu sehen. Jetzt sind wir im freien Felde und schauen um uns in die herrliche Morgenlandschaft. Hinter den östlichen Wolkenbergen drängt die liebe Sonne mit aller Macht hervor und zeichnet das Firmament bis weit gegen den westlichen Horizont mit strahlendem Glanze, ein immerfort wechselndes prächtiges Bild. Die Vögel des Feldes begrüßen sie als „des Lichts und Lebens Quelle“ mit frohen Morgengesängen und drunten im Grunde, wo der Fortläufer des Stadtwaldes den Billiger Wald erreicht, sekundieren die Sänger des Waldes mit lieblichen Melodien, allen voran ihre holde Königin, die sangesfrohe Nachtigall. Auf der Ruhebank sitzt ein schon vor uns mit dem Fahrrad gekommener Naturfreund, den schönen Morgen zu genießen, und schmaucht behaglich seine Morgenpfeife. Unser Fall gerade nicht, denn wir sind samt und sonders keine Tabakfreunde in so früher Morgenstunde und solch ozonreicher Luft. (Zu diesem Abschnitt wäre folgendes zu sagen: Einmal, daß der Weg bis zu dieser Stelle heute einen viel schöneren Genuß bietet, wenn er über die prächtige Anlage Schillerpark durch die schöne Allee an der Mirbach vorbei durch die Eßges Benden und weiter bis zur Billiger Straße gewählt wird. Und zweitens: Unter der Herrschaft der Raucherkarte ist's mit dem Pfeifchen am frühen Morgen aus. Man ist in Punkto Tabakgenuß bescheiden geworden.)

Weiter auf Billig zu bewundern wir den prachtvollen Stand der Felder: Roggen von zwei Meter Länge mit großen Aehren, Weizen und Hafer kräftig und so dicht wie Haare auf der Katze, alles einen überreichen Segen vielversprechend, wenn nur nicht die bösen Elemente die großen Hoffnungen vereiteln. Auch die Wiesen- und Futterkräuter stehen den Verhältnissen nach vorzüglich, so daß mit Gottes weiterer Hilfe auf eine gesegnete Ernte gerechnet werden kann, die sicherlich für alle Lebensmittel wieder mal billigere Preise bringen wird. (So üppig wird’s wohl in diesem Jahre auf Ende Mai noch nicht draußen aussehen. Das hat der lange, harte Winter im Gefolge. Aber ein gutes Frühjahr kann noch sehr Vieles nachholen, und der bewundernswerte Ernst und Eifer, mit dem unsere Bauern in die Ernährungsschlacht des Jahres 1942 eingetreten sind, gibt uns die besten Hoffnungen auf eine gute Ernte. Sorgen um billige Lebensmittelpreise kennen wir heute nicht mehr. Die Marktregelung der nationalsozialistischen Staatsführung macht es unmöglich, daß das Brot noch einmal zum Gegenstand wilder Spekulation wird.)


Vorfrühlingsmorgen im Billiger Wald

Auf der Ruhebank vor dem Billiger Kapellchen, das wir nach mäßig ansteigendem Marsch erreichen, nehmen wir Platz und schauen nieder auf das herrliche Bild zu unseren Füßen. Drunten liegt in wuchtiger Ausdehnung unsere liebe Vaterstadt mit ihren zahlreichen Zeugen gewerbtätigen Fleißes, ihren himmelanstrebenden Kirchtürmen und weit aus gespannten Straßen und Häusern inmitten eines Kranzes grüner Gärten und wogender Felder - dann der Stadtwald in sattem Laubschmuck und ganz nahe bei uns Billig mit seinen netten Häusern und schönen Fluren. Aus dem Erfttale steigen langgestreckte Nebelschwaden empor, wodurch der Fernblick etwas getrübt wird. Wir sehen aber andere Nachbardörfer Kuchenheim, Weidesheim, Odendorf, Flamersheim, Stotzheim, Roitzheim und links seitwärts Euenheim, Wißkirchen, Elsig und Frauenberg. Die Sonne ist jetzt durchgedrungen und vergoldet mit ihren ersten Strahlen das herrliche Bild von dem wir uns nur ungern losreißen.

An dem Wegweiser biegen wir rechts zu der Straße nach Antweiler ab und erreichen bald einen dichten Kiefernwald, der sein dunkles Grün mit frischen Ausläufern zierlich geschmückt hat. Auf der Waldweide dort rechts am Wege lagert eine stattliche, weiß und schwarz gefiederte Rinderherde, die wohl bis zum Herbst in der gesunden Luft verbleiben und sich die würzigen Waldkräuter wohl schmecken lassen wird. Wir biegen jetzt links ab und wandern über eine Wiese dem schönen Walde zu, der das v. Mallinckrodtsche Jagdschloß umschließt. Ein Reh kreuzt unseren Weg; verwundert schaut es die frühen Wandervögel an, welche es in seinem saftigen Frühstück stören, und dann setzt es mit eleganten Sprüngen durch Hecken und Felder dem Walde zu. Am Waldrande wimmelt es von Kaninchen und Hasen in unzähliger Menge. Es ist ein Laufen und Rennen unter diesem kleinen Volke, als wenn zu Hause die Brandglocke ertönt, und so geht es fort, bis wir Weingarten erreicht haben.


Der Weg dorthin führt am Waldrande vorbei und gestattet uns fortgesetzt den Blick in die schöne Landschaft vor uns zu werden. Wir sehen dort den Hirnberg und Eschweiler mit seiner schmucken Kirche, weiter nach rechts die hohen Schlote der Mechernicher Werke und im Tal Wachendorf mit seinem schönen Schloß und Park, dann Antweiler und Kalkar in weiter, gottgesegneter Flur. Der Weg durch die Schlucht nach Weingarten ist einer der schönsten, den wir in unserer mit Naturschönheiten so reich gesegneten Gegend kennen, ganz besonders an diesem stillen Sonntagmorgen. Wir durchschreiten Weingarten und hören in verschiedenen Häusern die Kaffeemühlen gehen, ein Zeichen, daß auch dort der Schlaf beendet ist und das Leben seine Rechte fordert. (Auch hierzu müssen wir eine ergänzende Bemerkung machen. Man kann gegenüber dem Mallinckrodtschen Jagdhause auch in den Wald einbiegen hat dann namentlich an heißen Tagen einen Weg von wunderbarer Stille und Kühle, der kurz vor dem Römerkanal ins Freie führt. Den Zeugen der fast zwei Jahrtausende hinter uns liegenden Vergangenheit wiederzusehen, ist immer interessant, und der Weg von dort quer durch das Tal bis in die Dorfstraße von Kreuzweingarten hat auch seine Schönheiten. Man versäume nicht, dem Friedhof oben auf dem Berge im Schatten des uralten Kirchleins, der an einen Tiroler Gottesacker erinnert, einen Blick zu gönnen.)

Da wir erst um 7 Uhr in Kirspenich zur Erfüllung unserer Sonntagspflicht sein wollen, haben wir eine Stunde Zeit. Wir benutzen sie zu einem Spaziergange durch die Hardt, freilich nicht auf den breiten Wegen, die alle Welt wandert, sondern auf heimlichen Fußpfaden, die so recht des Waldes Leben und Weben dem sinnigen Naturfreund vor Augen führen. Der Hardtwald ist unstreitig einer der schönsten unserer Umgebung; man muß ihn nur zu durchwandern verstehen. Die meisten unserer Mitbürger glauben in der Hardt gewesen zu sein, wenn sie von Weingarten hinauf zur Hardtburg wandern, bei dem freundlichen Förster einkehren und dann nach Stotzheim wieder zur Bahn gehen. Das ist grundfalsch. Auch wir lieben die angenehme Ruhe und Leibesatzung, welche in der Hardtburg in so mannigfacher Weise dem Ausflügler geboten wird, aber vorher haben wir den wundervollen Wald nach allen Richtungen hin durchquert und uns seiner Schönheiten gefreut. Ganz besonders die östliche Seite birgt einen Buchen-Hochwald ersten Ranges wie ihn Rheinbach und Münstereifel nicht schöner aufzuweisen haben. Daran gliedern sich ausgedehnte Tannenwaldungen und Eichen- und Buchenhecken in steter Abwechslung, so daß man halbe Tage umherwandern kann und immer wieder auf neue Bilder stößt. Die idyllische Lage der Hardtburg ist so wohlbekannt, daß ich mir deren Beschreibung wohl ersparen kann. Meinen Mitbürgern aber rufe ich zu: Auf, nach der schönen Hardt, aber bedenket, daß der Wald Allgemeingut ist und dem Schutze seiner Besucher anvertraut werden muß! (Der Hardtwald ist im Laufe der drei Jahrzehnte, die seit dieser Wanderung ins Land gegangen sind, stark aus der Mode gekommen. Seitdem die Steinbachstalsperre mit ihrer eigenartigen Schönheit lockt, wird er viel weniger von Sonntagswanderern besucht als früher. So sehr hatte der Besucherstrom nachgelassen, daß der Förster auf der Burg deren gastliche Pforten geschlossen hat. Gewiß gibt’s in der Umgegend reichlichen Ersatz für diese aufgehobene Gaststätte, aber es war doch schön, in der alten Burg einzukehren, die mit der Geschichte unserer Vaterstadt so eng verbunden ist. Einen schöneren Waldgang wie der durch die Hardt wird man aber auch heute noch in unserer Nähe vergebens suchen.)


Blick auf das Weingartener Tal

(2 Lichtbilder: Volksblatt-Archiv)

Als wir den Wald verlassen und auf dem Kommunalwege nach Kirspenich-Arloff weiter marschieren, taucht alsbald der nadelspitze Turm der Kirche am Berge auf. Nur noch wenige Schritte, dann liegt das Peterstal zu unseren Füßen. Die zwei massiven Türme der uralten Wasserburgen von Kirspenich und Arloff erheben sich über den schlichten Häusern der Schwesterdörfer. Auch hier bietet sich dem Auge wieder eine entzückende Rundsicht. Als wir nachher an der Erft vorbei zum Bahnhof Weingarten wandern, ist die Sonne schon so hoch gestiegen, daß wir ihre Strahlen spüren. Pünktlich rollt das liebe, vertraute Zügle an, und wir sind schon kurz nach 9 Uhr daheim. Eine Sonntagsmorgenwanderung von ungetrübter Schönheit hat dem Tag des Herrn seine Weihe gegeben.“





Entnommen: Euskirchener Volksblatt Nr. 84 vom 11. April 1942




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