Schaurig ist's über's Moor zu gehen
Nachdenklicher Streifzug durch das Kalkarer Moor - Wird dieses Fleckchen ursprünglicher Natur verschwinden?



Kalkar. - Die Gründungsversammlung des „Vereins zum Schutze der Vogelwelt“ lenkte wieder einmal die Oeffentlichkeit auf das so viel umstrittene Problem: Bleibt das Kalkarer Moor mit seiner seltenen Blumenflora den Naturfreunden und Biologen und unseren gefiederten Freunden, den Vögeln, erhalten? Nur wenigen Naturverbundenen ist das Moor ein fester Begriff. Die ganze Beschaffenheit des Tals, Ablagerungen, Gesteinsbildungen, sprechen dafür, daß das Moor der Rest eines vorgeschichtlichen Sees ist. Dieser See dürfte von Münstereifel bis zum Hardt- und Pfaffenwald gereicht haben. Ausgeschwemmte Steinbrüche, die sich von Iversheim bis Arloff ziehen, Muscheln und versteinte Pflanzen, besonders an der „Kolonie“ in Kirspenich, beweisen uns ebenso wie die angeschwemmten Tonablagerungen, daß die Annahme richtig sein könnte.

Steht man auf der Höhe bei Kalkar, so wird auch der weniger Kundige beobachten können, daß sich bei diesem Landschaftsbild eines ins andere fügt und es wohl richtig ist, wenn angenommen wird, daß der See bei Münstereifel begann, um bei Kreuzweingarten zu enden. Der Durchbruch bei Kreuzweingarten ist künstlich herbeigeführt worden, denn wir finden die gleichen Schichten der Gesteinsablagerungen im Arloffer Wald und auf dem Flettenberg wie auf der anderen Seite im Hardtwald, und zwar in der gleichen Höhe fortlaufend. Im Laufe der Jahrtausende versickerte der See, das Land wurde nutzbar gemacht, und der Mensch bediente sich der von der Natur geschaffenen Produkte. Funde erzählen uns, daß man den Ton seit undenklichen Zeiten formte und sowohl zur Zier wie zu nützlichen Zwecken brauchte. Bis heute behauptete sich in dieser Gegend, die immer neue Tonfunde aufweist, eine Industrie, die für uns alle lebenswichtig ist.

Große Kalkbrennereien, die zum Teil nicht mehr bestehen, gaben den dort gelegenen Ortschaften Verdienstmöglichkeiten. Sandgruben reihen sich hier an Sandgruben, denn nach all der Zerstörung durch den Krieg wurde der Sand ein zum Aufbau sehr gefragter Artikel. An einer Sandgrube bei Kalkar stand auf einem Hügel noch immer ein kleines Heiligenhäuschen, mit dem sogenannten „Sandmännchen“, vermutlich noch aus heidnischer Zeit stammend, bis es eines Tage der Unkenntnis (wie wir hoffen wollen) des dort Sand Bergenden, zum Opfer fiel und verschwand. Soll nun auch wie dieses „Sandmännchen“ - vielleicht zum Nutzen vieler - das Kalkarer Moor verschwinden? Hier - man nimmt an, daß es die tiefste Stelle des Sees war - erstreckt sich ein Gebiet von 80 Morgen. Inmitten von Feldern und Wiesen liegt das Moor, seiner Beschaffenheit und Vegetation nach der Ort, an dem die seltsamen Pflanzen und Blumen, sogar Orchideen, ihre Lebensbedingungen und die Vögel ein Paradies finden. Bekannten Botanikern und Geologen der Welt war und ist dieses Fleckchen Erde unserer Heimat bekannt.

Namhafte Professoren haben sich, wie alte Lehrer der dort liegenden Orte, aus Liebhaberei wie aus wissenschaftlichen Interesse, immer wieder gefunden, im Kalkarer Moor Neues zu entdecken und, allen Naturfreunden zur Freude, weiterzugeben. Die Bauern, welche ihr Land um dieses Moor bebauen müssen, sind weniger beglückt. Ihnen geht es wie dem Mann, der das Sandmännchen niederriß, um mehr Sand zu bekommen. Sei möchten den Schlamm und die Nässe, die das Moor bis zu ihren Feldern führt, gerne missen.

So wurde und wird die Regierung von zwei Seiten bestürmt. Die einen wollen das Land, welches sehr fruchtbar ist, urbar machen, die Felder, die jetzt kaum zu bebauen sind, sollen gut genutzt und bearbeitet werden. Die anderen möchten das Moor zur Freude aller erhalten, denen die Natur, die Pflanzen- und Vogelwelt, noch etwas gilt. Traurig und resigniert sagte uns eine alter Lehrer, dem das Moor ein Stückchen Lebens- und Forschungsarbeit bedeutet, der Kampf wäre doch aussichtslos, schon seien Flutgräben, in die sich das Wasser verläuft, ausgegraben und Pappeln, die alle Feuchtigkeit aufnähmen, gepflanzt. Tiere und Pflanzen, die diesem Stückchen Moor den eigentlichen Reiz geben, verschwinden dadurch nach seiner Aussage immer mehr.

So waren auch wir voller Teilnahme und zugleich neugierig. Sobald es ging, wanderten wir zum Moore. Ganz still, wie verlassen, lag es vor uns. Strahlend lag die Sonne über allem und doch - schon bald merkten wir - hier war alles anders als drüben auf der Wiese. Feucht und tropisch warm wurde die Luft, üppig die ganze Vegetation. Uns, die wir noch nie im Moor gewesen sind, werden ohne unser Wollen alle Erzählungen und Gedichte darüber lebendig. Jetzt verstand man, warum Annette von Droste-Hülshoff in dem Gedichte „Der Knabe im Moor“ sagt: „Schaurig, schaurig ist's, über's Moor zu gehn“.


Still und einsam liegt das Moor, scheinbar ein vergessenes Stück Land


Das ist der umstrittene Flutgraben, an dem jetzt schon die Löcher ausgehoben sind, um Pappeln zu setzen.




Entnommen: Euskirchener Volksblatt Nr. 193 vom 20. August 1954




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