Neues Buch „1100 Jahre Wingarden“ - sorgfältig recherchierte Historie mit der Erkenntnis
Eine Familienplanung gab es nicht

Kreuzweingarten/Euskirchen. Historisch interessierte Menschen wird es freuen: Innerhalb weniger Tage wurde der Büchermarkt um zwei Exemplare bereichert, die zwei Besonderheiten.

Unter dem Titel „Zum Prümer Urbar und zur Geschichte des ländlichen Alltags“ stellte der Verein der Geschichts- und Heimatfreunde Euskirchen seine Jahresschrift vor. „1100 Jahre Wingarden“ heißt der Titel, unter dem der Arbeitskreis Geschichte Kreuzweingarten, ebenfalls basierend auf dem Prümer Urbar, die Geschichte des Ortes unter sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten beleuchtet. Beiden Büchern ist eigen, daß ausschließlich örtliche Autoren für die Beiträge verantwortlich sind.

Der Arbeitskreis Geschichte Kreuzweingarten arbeitete seit 1986 an dem 400 Seiten starken Buch. Die Geschichts- und Heimatfreunde profitierten von den Kreuzweingartenern, denn diese stellten ihnen für ihr Jahrbuch viele Beiträge zur Verfügung. Wer sich fast sieben Jahre lang mit Recherchen befaßt hat, soll nicht verschwiegen sein: Helmut Kuhl, Hans Regh, Jakob Bohnen, Hermann Josef Kesternich, Friederike Kuhl, Josef Lützeler, Gabriele Rünger, Ruthard von Frankenberg, Karl Naske und Harald Bongart.

Beide Bücher sind in Euskirchener und Bad Münstereifeler Buchhandlungen, das „Wingarden“-Buch außerdem in Kreuzweingarten in örtlichen Geschäften zu kaufen. Vorweg eines: Für Ureinwohner lohnt sich die Lektüre der Historie des Heimatortes Kreuzweingarten ohnehin, für Zugereiste, die sich im örtlichen Leben integrieren möchten, ist das Buch fast eine Pflichtlektüre.

Eine der interessantesten Beiträge hat Friederike Kuhl beigesteuert. Es ist eine soziale Aufarbeitung, die im Bereich Familie mit festgefahrenen Vorstellungen aufräumt und interessante Details liefert. Im 18. Jahrhundert war es in Kreuzweingarten statistisch so, daß zumeist an einem Dienstag im Februar geheiratet wurde. „Eine Familienplanung gab es nicht“, stellt die Autorin fest, denn sonst wären nicht ausgrechnet im Juni sehr viele Kinder geboren worden. Ein Monat, in dem für die Ernte jede Kraft dringend gebraucht wurde.

Daß es auch im 18. Jahrhundert uneheliche Kinder in der Pfarre Heilig Kreuz gab, kann die Autorin ebenfalls nachweisen. Dieses „Malheurchen“ gab es in Kreuzweingarten fast in jeder Familie einmal. Genau 2,4 vH der Kinder waren unehelich geboren, was natürlich auch aktenkundig gemacht wurde. Im Taufregister wurde es auch notiert, teils unter „Bastard“, teils unter „ungesetzlich“. Was den Vater anging, hieß es dann „unbekannt“ oder „ein fremder Soldat“ oder es folgte ein konkreter Name mit dem Zusatz „der es aber abstreitet“.


Familienbild aus dem Jahre 1900: (hintere Reihe von rechts) Barbara Bohnen, Gottfried Ruhr, Hubert Emonds, Johann Ruhr, Gottfried Emonds, Verwandte von Emonds, vordere Reihe von rechts Elisabeth Ruhr, Adolf Ruhr, Wilhelm Emonds, Verwandte von Emonds.

Für viel historisch interessierte Leser dürft auch der Beitrag von Gabriele Rünger aufschlußreich sein. Sie befaßt sich nämlich mit „Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus in Kreuzweingarten“ und vor allem der Rolle des in Kall geborenen Pfarrers Nikola Reinartz. Die Autorin konnte nachweisen, daß Kreuzweingarten zwar nicht ein Widerstandsnest gegen den Nationalsozialismus war, daß hier aber die NSDAP, solange demokratisch gewählt wurde, nie eine Chance gegen die Zentrumspartei hatte. Begründung: Es gab eine enge Zusammenarbeit zwischen gläubigen Katholiken und der Kirche. So gab es 1933 bei der Reichstagswahl in Kreuzweingarten/Rheder 66,5 vH Stimmen für das Zentrum, aber nur 28,2 vH für die NSDAP. Damals hatten in Billig und Arloff/Kirspenich bereits mehr als 50 vH die Nazis gewählt.

An dieser Stelle können nicht alle 29 Beiträge des „Wingarden“-Buches besprochen werden. Doch wer 20 DM für das Werk ausgibt, hat dieses Geld gut angelegt. Wer weiß heute noch, in welchem Umfang hier Weinbau betrieben wurde? Wer kann sich noch daran erinnern, daß es einmal einen Darlehnskassen-Verein gab? Bräuche, Sprache, Landwirtschaft, Handel und Verkehr - alles wurde historisch aufbereitet. Natürlich fehlt auch nicht der Blick zurück in die römische Geschichte, schließlich führt ja die römische Wasserleitung am Ort vorbei.

Dr. Reinhold Weitz von den Geschichts- und Heimatfreunden, hat skizziert, worum es bei diesen beiden neuen Büchern geht: „Die sorgfältig recherchierten Beiträge gehen in die kleinsten Verästelungen des Alltags. Die teilweise mikroskopische Sicht ergänzt und korrigiert gängige Geschichtsbilder und Ansichten. Die Beispiele der dörflichen Kleinwelten sollen die Perspektive der Ausgangsquelle in Zeitschnitten vom 16. zum 20. Jahrhundert weiterführen“.

-rg-



Artikel-Sammlung Heinrich Veith Kreuzweingarten
Quelle: Kölnische Rundschau (?) Kölner Stadt-Anzeiger vom 30.6.93 *)

*) Anmerkung: Leider fehlen bei manchen Artikeln der Sammlung Heinrich Veith oftmals Quellenangabe und Erscheinungsdatum.
Die fehlenden Werte wurden so gut es ging, nachgearbeitet.
Für Irrtümer wird auf eine spätere Nachbesserung verwiesen; ggf. um Korrekturangaben gebeten.

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