Arbeit und Arbeitsgeist im Lichte der christlichen Weltanschauung.
Von Lehrer Heinrich Lott, Köln-Lindenthal.




Der bekannte Kölner Professor für Philosophie und Soziologie, Dr. Max Scheler, hat in einem seiner Werke *) wertvolle Ausführungen über Arbeit und rechten Arbeitsgeist gemacht. Es ist sicher von großem Nutzen, sie an dieser Stelle im Auszuge wiederzugeben.

Mit fast ermüdender Weitschweifigkeit wird von unserm gesamten öffentlichem Schrifttum, allen öffentlichen Rednern und von der Presse allen Parteien immer wiederholt, daß nur ein neuer Arbeitsgeist, eine neue Arbeitsfreude, ein neuer Arbeitswille uns retten könne. Die Einsicht ist da, aber bis zum lebendigen Willen eines Jeden zur Arbeit ist ein weiter Weg.

Vielfach glaubt man nun, die „Not“ würde schon die Arbeit wieder recht kräftig vor Augen rücken . Man weist hin auf das bekannte Wort: „Not lehrt beten“. Aber noch so tiefgefühlte Not kann niemals Kräfte schaffen, höchstens kann die Not sie lenken in die Bahn der gegebenen Bedürfnisse. Das Entscheidende sind die Kraft, die geistige Auffassung der Arbeit und das lockende Ziel. Ist die Not zu groß und schwer, oder ist durch die Not die Zukunftsaussicht auf Sinn und Ziel der Arbeit genommen, oder aber stehen nicht machtvolle, aus einer höheren Welt eingegebene Stoßmotoren moralisch religiöser Art hinter unserer Arbeit, dann ist die Folge der Not - die Verzweiflung. Nur gottgebotene Pflicht zum Arbeiten kann über jene Verzweiflung hinausführen, die sich beim Besitzlosen mehr äußert in spartakistisch-bolschewistische Weise, also in Revolution, Aufstand, Zertrümmerung des Bestehenden oder beim Besitzenden in unsinnigen Luxusausgaben, in Verschwendung, Vergnügungssucht usw. Beide Erscheinungen äußern sich verschieden und sind doch von derselben Natur.

Welches ist nun die rechte Arbeitsauffassung? d. h. eine,, die weder die Arbeit überwertet, noch unterwertet.

Man weist so gern darauf hin, daß vor dem Kriege alles so herrlich gewesen, daß das deutsche Volk das „arbeitstüchtigste, das arbeitswilligste, ja - gierigste Volk“ gewesen sei, während wir heute das arbeitsscheueste Volk der Welt geworden seien. Professor Scheler sagt dazu folgendes:

1. Es ist dies eine Unmöglichkeit. Ein Volk kann nicht in kurzer Zeit seinen Charakter und seine moralische Konstitution gewechselt haben, auch Ermüdung, Nervösistät, schlechte Ernährung usw. genügen nicht zu Erklärung; denn die Arbeitsscheu findet sich auch in Kreisen, wo diese Ursachen fehlen.

2. Die Frage nach der rechten Arbeitsauffassung ist keine Frage der bloßen Quantität des Arbeitswillens und der Arbeitswertung; sowohl das Zuviel des Arbeitswillens, als auch das Zuwenig kann beide Male von der rechten Auffassung abweichen.

Es ist vielmehr eine Frage der rechten Einstellung der Arbeit und ihres Wertes in das geistig-seelisch-leibliche Gesamtleben des Menschen. Das Verhältnis der Arbeit zum übersinnlichen Daseinsziel des Menschen bildet die Kernfrage. Die materielle Ueberarbeit des deutschen Volkes vor dem Kriege - seit 1870 - tiefe Arbeitsüberhastung, die keineswegs nur notwendig war durch Bevölkerungswachstum, Abnahme der Auswanderung, Notwenigkeit der Warenausfuhr zwecks Volksernährung usw., dieser neudeutsche preußische Arbeitsgeist ließ vieles zu kurz kommen, was zu den höheren und höchsten Werten eines Volkstums gehört: Gottesdienst, Gebet, Sammlung, Sonntagsheiligung, - Sinn für politische Mitverantwortung und öffentliche Betätigung in Kirche, Staat und Gemeinde seitens des Bürgers, berechtigter Sinn für edle Lebensfreude und durchseelte Genußformen, in Familie, Haus, Geselligkeit, sinnvolle Erholung und Ruhe. „Ora et labora“, d. h. bete und arbeite, und nicht „labora et ora“, heißt die Weisung des hl. Benedikt. Das „Zuviel“ von vor dem Kriege und das „Zuwenig“ von heute haben vielleicht dieselbe innere moralisch-psychologische Ursache. Es kommt also kein „Zurück“ zu den Vorkriegsverhältnissen, sondern nur ein wahrer Gesinnungswechsel in Frage, der uns über die falsche Einstellung von vor dem Kriege und der Nachkriegszeit hinausführt.

Blicken wir auf die christliche Auffassung der Arbeit! Da ist zunächst, trotz vieler Anfeindung, von tiefeinschneidender Wichtigkeit, daß die Arbeit an erster Stelle den Charakter der Strafe für den „Fall“ des Menschen trägt. Nichtchristliche Weltanschauungen haben der Arbeit einen Platz angewiesen, den besonders die katholische Auffassung ihr versagen muß. Letztere vor allem stellt das beschauliche Leben prinzipielle höher als das praktische Leben. (Mönchstand!) Die Arbeit als „einzige Schöpferin alles Fortschrittes und aller Kultur“ darzustellen, ist nicht christlich. Auch die Arbeit in einem kommunistischen „Harmoniestaate“ als reinstes Vergnügen hinzustellen, ist eitles Gerede. Gewiß gib es mannigfache Freudenquellen, die schon in der Tätigkeit des Arbeitens selbst liegen, ganz abgesehen vom Arbeitsprodukt, z. B. die Auswirkung Steigerung und Uebung der in der Arbeit aktiv werdenden geistigen Anlagen, das glückvolle Macht- und Könnenerlebnis, wenn der Stoff sich beugt unter der kühnen Hand des Menschen - des Herrn der Schöpfung - und zu sinnvoller Form sich zusammenschließt.

Aber nur die höheren geistigen Arbeitstätigkeiten und solche, die den ganzen Menschen in Anspruch nehmen, enthalten diese Freudekomponenten in höherem Maße. Im allgemeinen gilt dies: Arbeit fordert herbe Ueberwindung der Triebimpulse, Selbstbeherrschung, sklavische oder freie demütige Beugung unter fremde Sachgesetze, fordert Leiden und herbe Mühsal. Verzichtet darum die christliche Auffasssung auf die echte, tiefe Arbeitsfreude? Keineswegs. Abe diese Freude ist eine mehr indirekte, die nicht so sehr erwächst aus der Tätigkeit selbst, als auch der geistigen Auffassung der Arbeit. Die Sonne der Religion wirkt dem Christen ein wunderbares Licht in die Dumpfheit und Härte des Arbeitsprozesses; es sind hohe Tugend- und Sinnwerte. Nicht nur Strafe ist die Arbeit, sondern auch ein Heil- und Läuterungsmittel für den gefallenen Menschen Hinter der treuen und demütigen Arbeit wächst im Innern des Menschen wie von selbst etwas Königliches, Reines, Großes, Freies leise empor: eine immer selbstlosere und gerechtere Seele, die freier und freier wird von der Empfindung und der Triebe Banden, von der Vergaffung in den glitzernden Schein der Schöpfung, die die Abwendung der Menschen von Gott bewirkte, um derentwillen die Pflicht zur Arbeit von Gott dem Menschen auferlegt wurde. Dieser hohe asketische Wert fordert auch, daß der Arbeiter niemals ganz im Reiche der Arbeit aufgehe, daß er nicht Sklave seiner Arbeit werde, fordert, daß er genug Muße, Freiheit und Ruhe zu jenem Akte der Sammlung habe, in der er sich immer neu auf diesen höchsten Wert seiner Arbeit besinnen kann.

Die Arbeit wird ferner geadelt durch den christlichen Zentralbegriff: das Opfer. Gott hat den Menschen dadurch höher geadelt, daß er ihn mit einem Abglanz seiner eigenen freien schöpferischen Kraft im Kleinen ausstattete, ihn zu seinem Mitarbeiter erhob. Sollte aber der Mensch diesen Adel einer vernünftigen Freiheit und Spontanität besitzen, sollte er als Mitvollstrecker, als Erlöser und Herauslöser des in den geschaffenen Substanzen und Kräften schlummernden Vernunftssinnes etwas bedeuten, so mußte Gott der Welt soviel Plastizität, Unbestimmheit, Aufnehmbarkeit für die freie Tat und Formungskraft des Menschen geben, daß der Mensch seine Bestimmung als göttliche Mitarbeiterschaft nachkommen kann. Dies freilich unter eine sittlichen Bedingung: daß der Mensch sich im Kleinen aufopfert für jenen universalen Bestimmungssinn der ganzen untermenschlichen Welt, dadurch, daß er das Siegel des vernünftigen Geistes, die vernünftige Form, der untermenschlichen Kreatur aufdrückt. Die hieraus folgende Pflicht des mit seinen Brüdern vereinten Menschen, die außermenschliche Welt zu ihrer eigenen Vernunftbestimmung gleichsam hinaufzutragen, indem er sie richtig erkennt, liebt und bearbeitet, ist früher und ist unabhängig von dem, was die Arbeit durch die Rückbeziehung ihres Produktes auf die animalische Bedürfnisse des Menschen leistet. Nur in diesem Sinne gilt das alte Wort: Arbeit ist Gebet. Die Liebe zur Qualität der Arbeit selbst, im Unterschiede vom Ertrags- oder Tauschwert, ist somit eine weitere Pflicht des christlichen Arbeiters.

Ein weiterer Sinnwert der Arbeit ist die Schule der Demut. Nicht Lust ist Arbeit an sich. Als Beugung unter Gesetze fremder Dinge, die auf unser Triebleben keinerlei Rücksicht nimmt, ist sie eher Schmerz. Aber nur die freie Aufnahme dieses Aktes in den Willen als Verdemütigungsakt ist es, was der immer freudloser werdenden Arbeit (Teilung, Zerlegung der Arbeit) den Charakter unwürdiger Sklaverei nehmen kann. Und doppelt gilt heute die Wahl; entweder zu arbeiten im widerspenstigen Sklavengeiste oder als demütiger freier Mensch und Christ, der nicht wie der sklavische Mensch auch da noch herrschen will, und nur scheinbar dienet, wo er dienen muß, sondern auch da zu dienen gewilllt ist, wo ihm die Aufgabe auferlegt wird, zu befehlen und zu herrschen. Professor Scheler weist dann noch hin auf die indirekten Folgen der strengen Arbeit für das Tugendleben (“Müßiggang ist aller Laster Anfang“), der Abziehung von den Reizen der Wollust, des ungeordneten Begehrens. In jedem Arbeitsgebilde erfüllt den Menschen Ehrfurcht und Dankgefühl gegenüber der vergangenen Menschheit. Der marxistisch gesinnte Arbeiter z. B. meint wirklich, er habe mit seiner Arbeit ganz allein diesen Tisch, diesen Stuhl und seinen Wert produziert. Hat er das wirklich? Er hat ein wenig Holz in eine geistige Form gelegt; an dieser geistigen Form aber hat indirekt die ganze Menschheit mitgewirkt, und dafür schuldet er der ganzen Menschheit Dank und Pietät. In der Arbeit ist die ganze Menschheit ein solidarisches Ganzes; sie ist - wie Pascal sagt - „wie ein Mensch, der beständige lernt“. Wer heute angesichts der unsicheren Zeitverhältnisse sagt: erst dann will ich arbeiten, wenn ich meines Erarbeiteten und Erworbenen wieder sicher bin, wenn also die moralisch-religiösen Antriebe zur Arbeit fehlen, wer nur den egoistischen Nutzerfolg seiner Arbeit kennt, der bewirkt eben durch diese seine Haltung daß Chaos, dessen Aufhören er erwartet.

Dadurch, daß Gott dem Leibe die Seele einschuf, hat der Mensch ein ursprüngliches „Recht auf Existenz“, ein Recht, ganz unabhängig von seiner Arbeit. Seine Pflicht zur Arbeit, wie sein „Recht zur Arbeit“ und sein „Recht auf Arbeit“, folgen erst diesem höheren Rechte; sie bedingen es nicht. Darum muß auch für den unverschuldet arbeitslosen Menschen gesorgt werden in den Formen der Wohlfahrt oder staatlichen Gesetzgebung. Darum gibt es für den Einzelnen auch kein sogenanntes „Recht auf den vollen Ertrag seiner Arbeit“. Die Pflicht der Gläubigen, die Kirche und ihre Diener, die mannigfachen Berufe, deren Arbeit gar nicht meßbar ist und nicht unmittelbar „nützt“, zu unterhalten, ferner die Aufwendungen für das allgemeine Wohl schließen ein solches Recht aus. Auch insofern muß echter Opfergeist die Arbeit durchwalten, als wir in unserer Arbeit niemals bloß für uns selber, sondern mitverantwortlich sind für die sozialen Ganzheiten, in denen wir stehen (Familie, Gemeinde, Staat, Kirche usw.). Auch das Eigentum ist göttliches Unterpfand und Lehen, auf daß wir es recht gebrauchen. Der Geist, der den Besitz der leben- und gnadenerweckenden Hand der Kirche den „Besitz der toten Hand“ nennt, steht im tiefsten Widerspruch zur christlichen Arbeitslehre.

Die christliche Lehre weiß, daß der Mensch nicht nur durch Eigenkraft erfolgreich arbeitet; sie kennt auch den Begriff des „Segens der Arbeit“. „Segen der Arbeit“, das ist das, was Gott zum Regen unserer Hände und unseres Geistes mit seiner Gnade hinzutut. So könnte man sagen: Der volle Segen hat trotz der ungeheuren Leistung deutscher Arbeit der letzten 40 Jahre nicht auf ihr geruht.

Das Christentum schätzt die Arbeit hoch ein; aber die katholische Lehre hält ganz bestimmt Grenzen dieser Schätzung fest.

1. Die Arbeit soll in ihrem Ergebnisziele nicht hinausgehen über den standesgemäßen Lebensbedarf der Familien und den mit ihm verbundenen oder in ihm eingeschlossenen Erwerb von Werten, die der freien Carität und (nach Thomas von Aquin) der liberalitas, dem Mittleren zwischen Geiz und Verschwendung, dienen. Eine Arbeit, die grenzenlos Waren produziert, sodaß durch diese Produktion immer neue Bedürfnisse entwickelt werden, oder so, daß die produzierten Waren nur zur Ausdehnung der wirtschaftlichen Macht eines Volkes um ihrer selbst willen in den anliegenden Ländern sich Absatzgebiete erst schaffen müssen (mit oder ohne Gewalt), entspricht nicht der christlichen Auffassung.

2. Der Mensch darf nicht Sklave seiner Arbeit werden. Er muß sich seines ewigen Zieles, das nicht Arbeit, sondern selige Anschauung Gottes ist, eingedenk sein. Die kirchlichen Sonntage, Feiertage und –zeiten sollen zur Ausübung dieser höchsten Pflichten gewährt sein.

3. Die Arbeit kann in keinem Sinne als „Ware“ angesehen werden, die nur nach den Reproduktionskosten durch den Lebensunterhalt des Arbeiters zu schätzen wäre. Diese Auffassung verkennt, daß jedes Stück Arbeit von zu Hause aus einen höheren wirtschaftlichen Wert besitzt, als ihn der Wert der Nahrung darstellt, die die Reproduktion der entsprechenden Arbeitskraft möglich macht, nämlich durch die hinzutretende Vernunftform, die in das Produkt eingeht.

4. Auch ein vernünftiger Lebensgenuß des Erarbeiteten ist nach katholischer Anschauung Grenze der Arbeit. Es bestehen die Grenzen, die die Erhaltung der Gesundheit, die Erhaltung der Familie, der Schutz der Kinder und Frauen, die Ausübung öffentlicher bürgerlicher Funktionen der Arbeit setzen. Im Arbeitsprodukt steckt außerdem die Ehre des Arbeiters; darum sah der mittelalterliche Handwerker in dem Produkt seiner Hände gleichsam ein Stück von sich selbst.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß sowohl der Ueberarbeit vor dem Kriege, als unserer jetzigen Arbeitsunlust eine weitverbreitete falsche Auffassung der Arbeit zugrunde liegt. Beide Male fehlen die religiösmoralischen und absoluten inneren Antriebe zur Arbeit. So hängt ein Wiederinkrafttreten der absoluten religiösen Arbeitsmotive und der Freuden die mehr aus der geistig-religiösen Auffassung der Arbeit, und nicht nur aus dem Erfolg für das Eigeninteresse und dessen Sicherung hervorgehen, mit der ganzen religiösen Erneuerung des deutschen Volkes zusammen.



*) Max Scheler, Christentum und Gesellschaft. 2. Halbband: Arbeits- und Bevölkerungsprobleme. Leipzig 1924. Der neue Geist-Verlag, Dr. Peter Reinhold.




Entnommen: Euskirchener Volksblatt Nr. 246 vom 18. Oktober 1924




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