„Die Herzen der Gemeinde im Sturm erobert“
Statt in Köln-Holweide ist ein Priester des Opus Dei seit hundert Tagen Pastor im Eifelort Kreuzweingarten
Von Jens P. Dorner

Kreuzweingarten. Die zehnjährige Sandra zögert einen Augenblick: „Pastor Irrgang? Ach, Sie meinen den Opus Dei. Der ist da im Haus mit den Stufen.“ Daß Kreuzweingarten einen besonderen Seelsorger hat, weiß in der Voreifel jedes Kind.

Fast genau hundert Tage sind seit seiner bundesweit beachteten Amtseinführung vergangen, doch wohnlich einrichten konnte sich Peter Irrgang bisher noch nicht. Im alten Pfarrhaus an der Antweilerstraße steht er zwischen Kisten und Kasten und kann sich nicht entscheiden, was er vom Mobilar seiner Vorgänger übernehmen soll. „Klar ist nur, daß ich die Einrichtung aus eigener Tasche bezahlen muß. Vergünstigungen oder Zuschüsse gibt es nicht.“ Irgendwann in der nächsten Zeit wird der Pastor in Köln, Bonn oder Godorf durch die Möbelhäuser durchstreifen. „Ich habe keine Eile. Es soll ja was Dauerhaftes sein.“

Temperamentvoller Mann

Die Querelen um einen ursprünglich vorgesehenen Einsatz in Köln-Holweide die öffentliche Diskussion um Form und Inhalt des Opus Dei, die zur Massenveranstaltung ausgewachsene Einführung in Kreuzweingarten - all das verbindet sich mit dem temperamentvollen Mann im schwarzen Rock. Ob es ihn belastet? „Nein, damit kann ich leben. Ärgerlich sind nur bewußte Falschmeldungen und hartnäckige Vorurteile. Die muß und will ich ausräumen.“


Für Eifeltouristen ist Kreuzweingarten nur Ortsdurchfahrt mit Kurve

Welchen Typ von Pastor sich die 960-Seelen-Gemeinde zwischen Euskirchen und Bad Münstereifel ins Dorf geholt hat, belegen viele Beispiele. Als jüngst eine Lautsprecheranlage in der Kirche installiert wurde, meldete Irrgang im Pfarrbrief: „Sie schont die Stimmbänder unseres Pastors, strengt die Ohren der Zuhörer weniger an und hilft allen, den Gottesdienst besser mitfeiern zu können (allerdings wird Schlafen während der Predigt jetzt auch schwieriger!).“

Als das Dorf in weißer Pracht versank, organisierte Irrgang von heute auf morgen ein Rodelfest für jung und alt. Und bewies sein Talent zum Motivieren: Weil das Zusammentragen von Preisen und Gewinnen zu einem Familienwettbewerb ausartete, wurde die Nacht zum Tag. Fast überflüssig zu sagen, daß der Pastor zu den fleißigsten Rodlern gehörte.

Für Rosenmontag wählte Irrgang ein Zitat von Joachim Ringelnatz: „Humor ist der Knopf, der verhindert, daß der Kragen platzt.“ Im Karneval hat er sich blendend amüsiert. Auf die Frage, was der örtliche Büttenredner auf die Personalprälatur reimte, lacht der Pastor noch heute: „Opus Dei - o weh, o weh.“

„Ich fühle mich sauwohl.“

Um hinzuzufügen, „daß ich die Kirche natürlich nicht zum Kegelklub degradieren lasse. Aber alles zu seiner Zeit“. Kurzes Fazit zur neuen Umgebung: „Ich fühle mich sauwohl. Die Menschen hier sind einfach Spitze.“ Ihm gefalle „die trotz aller positiven Dörflichkeit große Mobilität der Leute“ und daß „sie sich nicht für den Nabel der Welt halten“.

Beim Einleben habe ihm das Opus Dei übrigens sehr geholfen, denn dort sei ihm unbedingte Toleranz gegenüber Andersdenkenden gelehrt worden. „Ich weiß, daß das für Menschen mit Vorurteilen paradox klingt. Wer sich aber intensiver mit dem Werk beschäftigt hat, muß mir zustimmen.“

Also keine stockkonservative Elite mit Geheimverbindungen in alle Welt? Kein Kadavergehorsam der Mitglieder, auch bei mittelalterlichen Bußriten? Ein wissendes Lächeln von Irrgang: „Alles Quatsch.“ Ganz konkret: „Herr Pastor, wo hängt Ihre Geißelpeitsche?“ - „Die Buße gehört in den Intimbereich. Und sie hat viel wirkungsvollere Arten: freiwillig früher aufstehen, pünktlich sein, weniger oder mehr essen, nein sagen können.“


In der Großstadt von vornherein abgelehnt, auf dem Dorf mit offenen Armen empfangen: Peter Irrgang kann sich gut vorstellen, lebenslang Pastor für Kreuzweingarten zu bleiben. Das Pfarrhaus im Hintergrund richtet er sich auf Dauer wohnlich ein.
Foto: Dorner

Irrgang kann reden. Im Dorf wird darüber geklagt, daß zu seinen Predigten immer mehr auswärtige Gläubige herbeiströmen. Früher habe man die Bänke für sich gehabt, heute würde um Stehplätze gedrängelt. Im Gasthof „Zum alten Brauhaus“ meint ein Thekensteher: „Wenn der so weitermacht, müssen wir bald einen Dom bauen.“ Allseits Lachen mit stolzem Unterton.

Jeder hat von der umfassenden Bildung des Pastors gehört. 1945 in Tetschen/Elbe als Sohn einer Karpatenfamilie geboren, kam Peter 1958 in die Bundesrepublik. Nach dem Abitur am Bonner Beethovengymnasium Wehrdienst. Anschließend erstes Studium an der Friedrich-Wilhelm-Universität: „Englisch und Sport. „Wenn nicht Priester, wäre ich heute Lehrer.“ Ein doppelter Meniskusschaden mit dreifacher Operation vereinfachte die Entscheidung: „Der eine fiel dem Fußball zum Opfer, der andere dem Kasatschok-Tanzen.“

1973 erste Promotion in Pädagogik, 1977 zweite in Kirchenrecht. Dazwischen absolvierte der Doppeldoktor ein Theologie-Studium im spanischen Pamplona; Spanisch spricht er wie Deutsch, Latein und Englisch. 1976 Priesterweihe in Madrid und dann Bildungsarbeit für das Opus Dei in Bonn, Trier, Köln und Heidelberg. Jeden Dienstagabend lehrt Irrgang in der Bundeshauptstadt, ansonsten gehört er der Gemeinde. „Urlaub brauche ich nicht.“

Wie findet sich ein Wissenschaftler in einem Eifeldorf mit drei Geschäften, zwei Gaststätten und keiner Schule zurecht? Studiert er das Gemeinwesen, analysiert er sein persönliches Umfeld? „Ich habe mich hineinplumpsen lassen, und die Leute haben es mir leichtgemacht.“

Mädchen als Meßdiener

Keinesfalls denke er an eine Wende oder gar eine Feldzug für das Opus Dei. „Daß hier zum Beispiel Mädchen Meßdiener sind, würde ich von mir aus nicht ändern wollen.“ Reibungsflächen sieht er höchstens im praktischen Bereich. „Ob nun der Altar vom oder zum Volk steht, ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß der gegenwärtige Altar zu groß für unsere kleine Kirche ist und den Chor bei seinen Proben stört.“ Die Lösung für Irrgang bildet ein mobiler Altar, getreu seinem Motto: „Bloß kein Dogma aus solchen Sachen machen. Man muß flexibel sein.“

Die Gemeinde dankt es ihm. Margarete Schneider im „Café-Restaurant Schneider“ läßt auf den Pastor nichts kommen. „Wir stehen wie ein Mann hinter ihm. Und wenn ihm irgendwer was Schlechtes nachsagen will, kriegt er es mit uns zu tun.“ Typisch für Irrgang findet die Wirtin, daß er spontan ihrem Sparverein beigetreten ist. „Seitdem wird sein Sparfach immer gut gefüllt, obwohl er selbst gar nicht so oft da ist.“

Eine Passantin, die ihren Namen lieber nicht genannt haben möchte, wird noch deutlicher: „Der Pastor hat die Herzen seiner Gemeinde im Sturm erobert, besonders die der Frauen.“

Der Elektrotechniker Erwin Doppelfeld findet den neuen Pastor gelegentlich zum Schießen. Doppelfeld - CDU-Ratsherr in Euskirchen, Jagdaufseher, Mitglied in den meisten der neun Vereine von Kreuzweingarten und stellvertretender Vorsitzender im Kirchenvorstand - fungiert im örtlichen Schützenverein als Schießmeister. Er nennt Irrgang einen „sehr aktiven und offenbar sehr toleranten Mann, den alle gern sehen“. Über das Opus Dei hat Doppelfeld ein Buch gelesen und fand, daß kein Grund zur Sorge bestehe. „Wir sind ein intaktes Dorf, und unsere Jugend kommt aus durchweg intakten Elternhäusern. Von daher gibt es für irgendwelche Anwerbungsgedanken keinen Ansatzpunkt.“ Bisher hat er bei Irrgang keinen Missionseifer bemerkt, „was natürlich in ein paar jahren anders aussehen kann“. Aufgefallen sei, daß demnächst zwei weitere Opus-Dei-Mitglieder mit Irrgang im Pfarrhaus wohnen werden. „Ein Ingenieur und ein Rechtsanwalt. Aber das ist seine Sache.“


Erwin Doppelfeld sieht bislang keine Gefahr durch das Opus Dei.

In der Familie Kesternich wird besonders viel über ihn gesprochen. Hermann Josef Kesternich, Realschullehrer in Euskirchen, sitzt dem Pfarrgemeinderat vor und hat sich aktiv für die Berufung des Priesters eingesetzt, „weil wir grundsätzlich wieder einen Pastor wollten“. Daß die Kreuzweingartener so gelassen auf die Zugehörigkeit des neuen Mannes zum Opus Dei reagierten, hat für Kesternich gute Gründe: Seit Ende der 50er Jahre unterhält das Werk im benachbarten „Haus Hardtberg“ seine größte deutsche Schulungsstätte. Die akkuraten Seminarteilnehmer sind ein gewohnter Anblick im Dorf. Zudem hatte Irrgang bereits seinen Vorgänger vertreten, man kannte sich.

Für Kesternich ist Pastor Irrgang nach wie vor „ein guter Griff“, nach dessen Stärken im Reden und Delegieren und dessen Schwächen in der Terminplanung lägen. „Auch merkt man ihm schon mal an, daß er nie Kaplan war.“ Mittlerweile habe sich weit herumgesprochen, daß er „am Sonntag vernünftige Predigten hält, von denen man noch bis Mittwoch etwas hat“.

An Neuerungen unter dem Pastor fallen Elisabeth Kesternich seine Frühschichten nein. Die Mutter von vier Kindern weiß aus eigener Anschauung, daß es besonders den Jugendlichen wenig ausmacht, morgens um sechs in der Kirche zu sitzen, „weil es danach im Pfarrhaus ein gemeinsames Frühstück gibt. Das ist für die Kinder ein Riesenspaß“. Befremdlich findet sie allerdings die Auswahl der Texte für den Gottesdienst im Morgengrauen: „Der Pastor liest anscheinend nur aus den Büchern des Opus-Dei-Gründers Escrivá des Balaguer ...“

Am Abend trifft sich der Pfarrgemeinderat zur ersten Sitzung seit der Amtseinführung des neuen Pastors. Gemeinsam mit Irrgang beraten sechs Männer und vier Frauen das rege Gemeindeleben. Terminpläne für Rosenkränze, Weihwasser-Weihe, Kreuzweg und Betfolgen in der Osterzeit werden beschlossen. Am einen Ende des Tisches fragt der Pastor immer wieder und mit einem Hauch von Dialekt: „Wie habt ihr es sonst gemacht?“ Man spürt, er bemüht sich um Kontinuität.

Am anderen Ende markiert Kesternich das Selbstbewußtsein der Gemeinde. Beim neuen Jugendheim gibt es trotz langer Diskussion keinen Gegensatz: Dörfler und Pastor wollen aus Sorge um die Einrichtung dem Junggesellenverein den Maiball nur unter strengen Auflagen gestatten. Irrgang und Kesternich werden gemeinsam die Festivität überwachen.


Das Ehepaar Kesternich verkörpert die selbstbewußte Gemeinde

Spannender ist das Gespräch über die Firmlinge. Für die Vorbereitung möchte Irrgang wenigstens eine auswärtige, ihm gut bekannte Lehrkraft einsetzen. Kesternich ist strikt dagegen, „denn wir sollten uns auf unsere eigenen Möglichkeiten besinnen“. Irrgang lächelt fein und stößt nach: „Ich spiele mal mit Argumenten ...“ Kesternich lächelt feiner und bleibt hart: „Noch dürfen Sie spielen ...“ Als der freundliche Pastor nicht lockerläßt, winkt Kesternich freundlich mit dem berühmten Zaunpfahl: „Nutzen Sie die Gunst der Stunde, in der die Leute am Ort hinter Ihnen stehen ...“ Der Pfarrgemeinderat unterstützt einmütig seinen Vorsitzenden, der dem Pastor wie tröstend versichert: „Das ganze Dorf liegt Ihnen zu Füßen.“

Mit gesundem Mißtrauen möchte Kesternich sein Verhältnis zu Irrgang nicht bezeichnen, „eine besondere Art von Aufmerksamkeit trifft es eher“. Doppelfeld meinte: „Solange er hier nicht mit Opus-Dei-Methoden anfängt, stehen die Leute voll hinter ihm. Das kann sich aber sehr schnell ins Gegenteil verkehren.“ Die namenlose Schöne zwinkerte, als sie die Wirkung des Pastors auf seine Gemeinde und die Frauen beschrieb: „Er ist ein toller Mann. Von dem wir natürlich alle wissen: Die Katze läßt das Mausen nicht.“

Artikel-Sammlung Heinrich Veith Kreuzweingarten
Quelle: Kölnische Rundschau Nr. 68 vom 21. März 1985 *)

*) Anmerkung: Leider fehlen bei manchen Artikeln der Sammlung Heinrich Veith oftmals Quellenangabe und Erscheinungsdatum.
Die fehlenden Werte wurden so gut es ging, nachgearbeitet.
Für Irrtümer wird auf eine spätere Nachbesserung verwiesen; ggf. um Korrekturangaben gebeten.



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