Administrative und gerichtliche Zugehörigkeiten Kreuzweingartens

Von Hermann Josef Kesternich


Würde man einen Heraldiker mit der Ausarbeitung eines Wappens für Kreuzweingarten beauftragen, würde er vielleicht vom Ortsnamen ausgehen, wobei die Begriffe "Kreuz" und " Weingarten" selbstredend eine Rolle spielten. Man könnte das Datum der Namensumbenennung 1927 heranziehen, als zivilrechtlich aus dem ehemaligen ,Weingarten' ,Kreuz-'weingarten wurde. Man könnte auf das Hochkreuz hinweisen, das vom Steilhang des Hardtwaldes auf das Flußbett der Erft und das Dorf blickt. Es wäre auch nicht falsch, auf die Kreuzpartikel hinzuweisen, die als Kleinod der Kirchenschätze der Pfarrkirche "Heilig Kreuz" bis zum heutigen Tag verehrt wird und in früheren Jahren zahlreiche Prozessionen nach Kreuzweingarten geführt hat. Diese stattliche Anzahl von Hinweisen könnte genügen, das Kreuz als Symbol, als "gemeine Figur", in ein zu schaffendes Wappen aufzunehmen. Um den Namensbegriff zu vervollständigen, müßte der Wappenmaler vielleicht noch einen Rebstock unter das Kreuz setzen, und der Ortsname wäre " versinnbildlicht".

Nehmen wir an, der Heraldiker wollte den heutigen Betrachter auch über die geschichtliche Entwicklung des Ortes informieren, so müßte er sich Gedanken über die Zugehörigkeit des Ortes seit dem Mittelalter bis zur Gegenwart machen und würde dabei folgendes feststellen :

Durch das Prümer Urbar von 893 erfahren wir, daß Abhängigkeiten zum Kloster Prüm bestanden, das in Wingarden zehn Hofstätten besaß, die zu einem Fronhofverband ausgebaut waren und unabhängig vom öffentlichen Gerichtsbann für sich existierten. 1 Diese zehn Höfe und zwei Mühlen kamen zwischen 893 und 1222 als Dotation an das neue Kloster in der Eifel (= Münstereifel). Die ehrgeizigen Grafen von Are walteten als Schirmvögte (s. Kap. III.) des Klosters Prüm auch über das Tochterkloster Münstereifel und seine Besitzungen. Nachdem sie ihre Besitzungen und Rechte im Jahre 1246 an das Erzbistum Köln vererbt hatten, stand das in ein Stift umgewandelte Kloster ( s. Kap. II) und damit die zehn Höfe in Weingarten unter dem Schutz und den vogteilichen Gerichtsrechten des Erzbischofs und Kurfürsten von Köln. Verwaltungssitz des kurfürstlichen Amtmanns war die Hardtburg, die zum Verwaltungszentrum des Amtes Hardt wurde. 2

Diese Abhängigkeiten änderten sich nicht bis zur Besetzung der Rheinlande durch französische Revolutionstruppen 1794. Danach beginnt eine neue Administrationsepoche, die ihren Abschluß in der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg und in der kommunalen Neugliederung von 1968/69 fand, als Kreuzweingarten Ortsteil der Stadt Euskirchen im Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde.


Für den groben geschichtlichen Überblick könnte das oben geschilderte Wappen mit seiner Aussagekraft genügen. Wer weitere Informationen erwartet, muß sich mit den Ausgrabungen der Archäologen, dem geschichtlichen Quellenstudium und der Volkskunde auseinandersetzen. Dabei ist zu vermerken, daß in der Vergangenheit schon viel über die Geschichte Kreuzweingartens veröffentlicht worden ist, vor allem von dem Nestor der Ortsgeschichte, Pfarrer Nikola Reinartz. Sollte seinen fundierten Recherchen und Aufsätzen, seinen fachhistorischen Kommentaren ein zweiter Aufguß folgen, oder sollte man es mit seinen Veröffentlichungen bewenden lassen? Neue Quellen können ohnehin nicht herangezogen werden. Diese Argumente sprächen gegen eine neuerliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Ortes. Daneben gibt es aber auch Gründe, die für eine neue Erschließung der geschichtlichen Grundlagen unseres Dorfes sprechen: 1. Die Veröffentlichungen von Reinartz sind nicht mehr allen Interessierten zugänglich; 2. Die Sprache, der sich Reinartz bedient, ist nicht mehr geläufig. Dies gilt insbesondere für die wörtliche Zitierung von Quellen und den Gebrauch von Begriffen, wie sie vor allem in den Weistümern vorkommen.

Auch scheint es notwendig, den Wandel der Geschichtsschreibung nachzuvollziehen, indem Geschichte nicht mehr nur als Biographie der Mächtigen betrachtet wird; die historischen Quellen müssen auch aus der Sicht der Nicht- Privilegierten interpretiert werden, um ihre verflochtenen Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft darzustellen.

In der folgenden Abhandlung soll daher der Versuch gemacht werden, die territorialen und gerichtlichen Abhängigkeiten so darzustellen, daß der heutige Leser sich vom Mittelalter bis zum Ende der alten Ordnung 1794 über das Sozialgefüge des Dorfes eine Vorstellung machen kann.



I. Die Villa rustica als Keimzelle für die Besiedlung durch die Franken?


Um 460 n. Chr. hatte die römische Verwaltung in Trier ein Ende, Köln befand sich schon in der Hand der Franken. Um diese Zeit wird auch die Villa Rustica, deren Grundrisse beim Bau der heutigen B 51 in der Ortslage Kreuzweingarten freigelegt wurden, aufgehört haben zu existieren. Ob ihre letzten Bewohner keltorömischer Herkunft waren und ob sie den Franken den Haustürschlüssel ausgehändigt haben, wissen wir nicht. Für diese Zeit fehlen für Kreuzweingarten archäologische Funde, aus denen sich eine Kontinuität der Besiedlung ablesen ließe. Im 6. Jahrhundert wurde die Bördenlandschaft von den Franken besiedelt. Die Besiedlung der Eifel setzte nicht vor dem 7. Jahrhundert ein, wie aus Funden von Frankengräbern festgestellt werden konnte. G. U .Knackstedt schreibt in diesem Zusammenhang: "So müssen wir in bezug auf unsere bisherige Kenntnis von fränkischen Siedlungen im Kreis Euskirchen von einer Forschungslücke, nicht aber von einer Siedlungslücke sprechen." 3 Im Ahrtal sind Fälle bekannt, daß fränkische Siedler "an Stellen ihre Ortschaften begründeten, an denen einst große römische Gutshöfe gestanden haben, die völlig. ..verschwunden gewesen sein müßten, wenn man nicht annehmen will, daß hier doch altansässige oder einzelne, in der letzten römischen Zeit oder kurz danach angekommene Leute, auch Franken, Unterkunft gefunden, einiges Land und einige Weinberge unter Kultur gehalten hatten. ...“ 4

Hinzuzufügen ist aber, daß bei all diesen Ortschaften auch fränkische Gräberfelder gefunden wurden, die in Kreuzweingarten bisher nicht nachgewiesen werden konnten. Gegen eine ununterbrochene Besiedlung Kreuzweingartens spricht auch der Name des Orts, dem keine lateinische Bezeichnung zugrunde liegt, wie das bei einer Vielzahl anderer Orte der Fall ist.

Nach fränkischem Recht waren die eroberten Gebiete Eigentum der Könige, die seit dem 7. Jahrhundert alles daransetzten, das Land zu kolonisieren. Sie überließen den Siedlern den Grund und Boden mit dem Auftrag, Wohnstätten zu errichten und das Land zu bewirtschaften. Als Gegenleistung für die Baumaterialien, deren Grundstoff Holz aus den königlichen Wäldern war, und für die Nutzung des Bodens hatten die "Bewirtschafter Abgaben in Naturalien oder Geld sowie Dienstleistungen" zu entrichten. 5 Das Bauerngut war dem abhängigen Bauern auf Zeit oder Lebenszeit, später auch in erblicher Weise, überlassen. Der Grundherr als Obereigentümer konnte seine Güter nach Belieben vergeben.

Straßenverbindungen, Lage am Wasser und gute Bodenqualität werden wohl den Ausschlag für die Gründung von weilerartigen Dörfern gegeben haben. Es ist davon auszugehen, daß im 8. Jahrhundert im Erfttal, wo die steilen Hänge des Hardtwaldes auf der Ost- und die Ausläufer des Billiger Waldes auf der Westseite die Ufer säumen, eine fränkische Siedlung gewesen ist. Als dann das Kloster Prüm 721 durch Bertrada, Gemahlin Pippins des Jüngeren, gestiftet wurde, wurde es mit Besitz reich ausgestattet. Irgendwann zwischen 721 und 893 kamen dann auch die Höfe von Weingarten an das Prümer Kloster, das wegen seiner überregionalen Aufgaben unterstützt werden mußte. Es verdient erwähnt zu werden, daß nach der Landnahme durch die Franken keine weiteren Neuzugänge durch fremde Stämme oder Völker im Gebiet der oberen und mittleren Erft zu verzeichnen sind. Auch die Ortslage Weingartens, die hauptsächlich aus der heutigen Antweilerstraße bestand, wurde für Jahrhunderte nicht wesentlich erweitert.


Exkurs: Einbettung der Ortsgeschichte in die deutsche Geschichte von den
Karolingern bis zu den Ottonen

Es wäre zu einfältig anzunehmen, die fränkischen Siedler an der Erft hätten von der damaligen Tagespolitik nichts bemerkt. Sicherlich erfuhren sie durch die Gaugrafen oder deren Beamte von der Einsetzung Pippins des Jüngeren zum König irn Jahre 751. Der Sohn Pippins, Karl der Große, irn Jahre 800 zum Kaiser gekrönt, dehnte das Reich nach Osten bis zur EIbe aus, und damit wurde unser Gebiet hier zum Mittelpunkt des Reiches. Wechselvoll ist die Folgezeit: durch die verschiedenen Teilungsverträge nach dem Tod Ludwigs des Frommen irn Jahr 840 war die Einheit des Reiches nicht mehr gegeben. Es bildeten sich zwei neue Staaten heraus, das westfränkische und das Deutsche Reich. Die Gebiete westlich des Rheins waren zum Grenzgebiet geworden, eine Rolle, die sie bis in die jüngste Geschichte gespielt haben.


Wenn diese politischen Veränderungen von der bäuerlichen Bevölkerung vielleicht nicht ohne innere Anteilnahme registriert wurden, so waren doch die Überfälle der Normannen zu Ende des 9. Jahrhunderts von existentieller Art. Raubend und brandschatzend legten sie Klöster und Städte an Rhein und Mosel in Asche; da ist zu vermuten, daß auch die Bewohner der umliegenden Siedlungen nicht verschont blieben. Angst und Schrecken verbreiteten auch die Ungarn anfangs des 10. Jahrhunderts. Aber auch Heinrich I., der die Ungarn schließlich in die Schranken wies, überzog Lothringen mit Krieg. Nachdem er und der westfränkische König Karl sich über den Rhein als Grenze der beiden Reiche 920 geeinigt hatten, kam er 925 zurück und besiegte das westfränkische Heer; ganz Lothringen fiel an das Ostreich. In der Schlacht bei Andernach 939 gelang es Otto I. endgültig, die Rheinlande an das Reich zu bringen. Es wäre verwunderlich und bar jeglicher Erfahrung, wenn der Kriegslärm dieser Auseinandersetzungen nicht auch von den einfachen Leuten vernommen worden wäre: Mit dem Schlachtengetümmel gehen immer Teuerung und Not einher, zumal dann, wenn man irn unmittelbaren oder näheren Kampfgebiet wohnt.



II. Die Grundherrschaft des Klosters Prüm und der Kapitelherren zu Münstereifel


Die erste urkundliche Erwähnung Wingardens irn Prümer Urbar, einem Güterverzeichnis zur Sicherung der Rechte des Klosters und zur zweckmäßigen Wirtschaftsführung 893 angelegt, besagt, daß das Kloster Prüm hier zehn Dienstmansen besaß, Siedlerstellen mit Höfen und Ackerland und dem Nutzungsrecht am Gemeindeland. Eine jede


". ..ist in Zins und aller Dienstbarkeit gehalten wie die anderen von Ivernesheym (= Iversheim). Von den Anwesen hat Huothilar zwei und Tetgar eins, und von diesen sind zwei nicht zur Spende des Ferkels verpflichtet. Es befinden sich daselbst ein Weingarten zu neun Fuder, Wiesen zu sechs Fuhren Ertrag, ein Wald zur Mast für 20 Schweine und zwei Mühlen."


In dem Kommentar des Cäsarius zum Prümer Urbar aus dem Jahr 1222 heißt es lapidar: " Wingarden besitzen die Stiftsherren von Münstereifel von der Abtei zu Lehen." 6 Das Novum Monasterium in Eiflia war um 830 als Benediktinerkloster gegründet worden. Damit die Neugründung auch wirtschaftlich über die Runden kam, erhielt sie vom Mutterkloster Prüm die 0. g. Höfe und Mühlen in Wingarden als Dotation, eine Schenkung, die im heutigen Sprachgebrauch als Starthilfe bezeichnet würde.

Im 12. Jahrhundert wurde das Kloster in ein Stift umgewandelt: Nicht mehr Mönche verrichteten fortan hier ihr Chorgebet; Kanoniker, auch Stiftsherren genannt, verwalteten gemeinsam das Vermögen des Stiftes. Nach weltlichem und kirchlichem Recht sind sie eine Vereinigung von Klerikern, die auch als Kapitel bezeichnet wird. Die Stiftsherren waren mit der Seelsorge der umliegenden Gemeinden, auch Weingartens, betraut.



1. Größe und Verfassung der Mansen


Die Größe einer Manse ist nicht genau festgelegt; sie mußte so groß sein, daß der Mansenbesitzer und seine Familie davon leben konnten. Sie durfte aber nicht zu groß sein, andernfalls hätte der Mansenbesitzer seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Grundherrn nicht nachkommen können. Mansen, die auch arbeitsintensive Weinberge umfaßten, waren sicherlich kleiner als solche ohne Weinberge.

Der Weingartener Huothilar besaß gar zwei Mansen. Es ist anzunehmen, daß er der Pächter des Klosterhofes war, der nach der Umwandlung des Klosters in ein Stift in Kapitelhof umbenannt wurde. Der Funktion nach erfüllte der Kapitelhof die gleichen Abgaben wie die Fronhöfe adliger Grundherrschaften: Er war das wirtschaftliche Zentrum der Grundherrschaft der Prümer Abtei bzw. des Münstereifeler Kapitels für die übrigen Höfe in Wingarden, sofern sie zu dem Hofverband gehörten. Die Zusammenfassung des grundherrschaftlichen Besitzes zu einer Wirtschaftseinheit wird auch als Villikation oder Fronhofsverband bezeichnet. Die Erwähnung der zwei Mühlen, die ebenfalls zu der Villikation gehörten, gibt uns Hinweise, daß die Arbeitsteilung in dem Gemeinwesen schon eingesetzt hatte. Sicherlich waren auch schon Metallhandwerke mit der Herstellung bäuerlicher Arbeitsgeräte befaßt. Es ist davon auszugehen, daß neben den genannten zehn Mansen weitere Höfe in Wingarden waren, die in anderen Abhängigkeitsverhältnissen standen.


2. ". ..in Zins und Dienstbarkeit"


Das Interesse gilt zunächst dem Hinweis, daß die Anwesen in Wingarden "in Zins und Dienstbarkeit gehalten sind wie die anderen von Iversheim " .Was steckt dahinter? Im seIben Prümer Urbar ist das Verzeichnis der Güter des Klosters in Iversheim unmittelbar vor Wingarden aufgeführt mit den Bestimmungen über "Zins und Dienstbarkeit" Unter Zins ist die allgemeine Abgabe zu verstehen, die der zinspflichtige Bauer dem Grundherrn schuldete. Anfangs bestand der Zins nur aus Naturalleistungen, später konnten diese durch Geldzahlungen abgelöst werden. Von der Dienstbarkeit leitete sich das Recht ab, eine fremde Sache beschränkt unmittelbar zu nutzen. Analog zu den Abgaben und Zahlungen der Iversheimer Höfe hatte jeder Hof in Wingarden für die Nutzung von Hof und Land jährlich folgende Abgaben und Zahlungen zu erbringen:

- Zahlung eines Schweines im Wert von 2 Schilling;
- Zahlung eines Donativschweines 7 im Wert von 4 Pfennigen in dem einen Jahr, im anderen 100 Schindeln;
- ein halbes Pfund Leinen oder 12 Pfennige, wenn es kein Leinen gibt;
- bei Überfluß an Leinen wird ein halbes Pfund Leinen abgegeben und ein ganzes Hemd genäht;
- im Mai sind sechs Pfennig Wehrgeld zu zahlen;
- drei Hühner;
- fünfzehn Eier;
- zehn Karren Mist oder fünf Karren Holz;
- Bearbeitung von eineinhalb Joch Land im Herbst und ebensoviel im Frühjahr;
- zwei Tage muß für den Herrn gepflügt werden (= corvada);
- Instandhaltung des Zauns zwischen dem Herrenhof und dem Ernteland und dem Weinberg von 24 Meßeinheiten;
- 15 Nächte (= 14 Tage) Fronarbeit (= Arbeit für den Grundherrn) zweimal im Jahr ;
- sie backen Brot und brauen Bier; -sie machen eine Engerfahrt (= Frachttransport) mit Getreide oder Wein nach Prüm und eine zweite von der Ahr nach Prüm;
- sie sind zu Scharfahrten (= Hilfsfahrten) 8 nach Prüm, Aachen, Köln, Bonn und St. Goar verpflichtet zu Fuß oder mit dem Pferd;
- sie dreschen 15 Scheffel Spelz (= Weizen) und siebeneinhalb Scheffel Roggen;
- sie liefern 100 Pfähle für den Weinberg;
- sie pflegen ein Beet im Garten;
- sie mähen, ernten und sammeln das Heu;
- zur Getreideernte stellen sie täglich einen Mann, ebenso zur Weinlese;
- sie sammeln und reinigen das Leinen;
- sie waschen die Pallien und Altartücher;
- sie bewachen die Schweine im Wald 9;
- sie halten 15 Nächte (= 14 Tage) Wache auf dem Herrenhof;
- wenn der zinspflichtige Bauer stirbt, erhält der Abt das Besthaupt, d. h. das beste Stück Vieh aus dem Stall; das übrige Erbe darf an die Angehörigen des Verstorbenen verteilt werden.


Diese Leistungen kamen teils der Abtei Prüm (später dem Kloster bzw. Kapitel in Münstereifel), teils dem Kloster- bzw. Kapitelhof in Weingarten zugute. Die Auflistung zeigt, daß die Mansenbesitzer neben Naturalabgaben auch monetäre Leistungen zu erbringen hatten. Die Abgaben dienten zur Unterhaltung und zur Wahrnehmung der Aufgaben der Abtei Prüm, die neben seelsorglichen und kirchlichen Aufgaben auch verpflichtet war, für die Ausrüstung und Stellung von Reitern für die Heerzüge der deutschen Könige aufzukommen. Die Belehnung von Ministerialen, die zu Verwaltungsaufgaben und Kriegsdienst herangezogen wurden, mit Abteigütern als Bezahlung für geleistete Dienste belastete den Abteibesitz ständig.

Neben den Geld- und Naturalabgaben kommen für die Mansenbesitzer in Wingarden noch Transportfahrten nach Prüm und Botenfahrten im Bereich zwischen Aachen und St. Goar als Dienstleistungen hinzu. Wenn auch diese Fahrten nicht an der Tagesordnung gewesen sein mögen, so waren sie dennoch immer wieder ein empfindlicher Eingriff in den Arbeitsablauf der Mansenbesitzer. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Arbeiten für den Kapitelhof in Weingarten in Rechnung stellt: Die Lieferung von zehn Karren Mist (in der damaligen Zeit das einzige Düngemittel zur Verbesserung des Bodens!) bedeutete ja auch das Laden, den Transport mit dem Ochsenkarren, das Abladen und das Spreiten des Mistes; die fünf Karren Holz mußten zuerst gefällt und auf das richtige Maß zurechtgeschnitten, dann zum Kapitelhof transportiert werden; drei Morgen Land mußten im Jahr zur Saat bestellt werden; zweimal 14 Tage Fronarbeit auf dem Kapitelhof; "sie backen Brot und brauen Bier" ist die Umschreibung dafür, daß sie sich während der Fronarbeit selbst verpflegen müssen; mit dem Dreschflegel dreschen sie 210 l Weizen (ca. 3 Zentner) und 105 l Roggen (ca. 1,5 Zentner); Lieferung von 100 Pfählen für den Weinberg: Bäume fällen im Herbst und Winter, ablängen, Transport zum Weinberg, Einschlagen der Pfähle; Einbringen der Heu- und Getreideernte (das Getreide wurde wegen seiner Kostbarkeit mit der Sichel gemäht!); Weinernte: Pflücken der Trauben, Sammeln der Trauben, Transport zum Kapitelhof, Verarbeitung der Trauben. Nicht zu vergessen ist, daß die Spanndienste in der Regel mit dem Zugvieh und den Anspannvorrichtungen der Fröner geleistet werden mußten. Neben dem Hüten der Schweine, die zur Mast in den Wald getrieben wurden, mußte der Herrenhof und seine Felder bewacht werden gegen Brandstiftung oder Plünderung in Kriegszeiten.

Hauptsächlich Frauenarbeit war wohl das Sammeln und Reinigen des Leinens, das Waschen der liturgischen Kleidung der Priester und der Altartücher. Unter Berücksichtigung der damaligen landwirtschaftlichen Geräte und Werkzeuge muß man etwa zwei bis drei Monate Arbeitszeit im Jahr einkalkulieren, die der Bauer im Dienst der Kapitelherren bzw. des Kapitelhofes stand. Diese Arbeiten fielen oft in solchen Zeiten an, in denen er auch dringend seine eigenen Angelegenheiten hätte erledigen müssen: Getreide- oder Heuernte vertragen keinen Aufschub. Wenn das Fronhofsystem "...eine rechtliche Einheit, ein geschlossener Kreis in der verwaltung sowie eine kooperative Gemeinschaft in sozialer Hinsicht" war, wie Rutt es ausdrückt 10, so muß hinzugefügt werden, daß es zu der Zugehörigkeit zu diesem System harter Belastungen für die Bauern keine Alternative gab, die ihnen irgendeine bessere oder bequemere soziale Absicherung geboten hätte. "Sozial " im heutigen Sinne war man nicht eingestellt.

Die o. a. Arbeiten waren nur Arbeiten für den Grundherrn, die Abtei Prüm bzw. das Kapitel in Münstereifel und den Kapitelhof. Daneben war noch der Kirchenzehnt, eine Entschädigung der Kirche für die Säkularisierung unter den Merowingern, zu leisten, der jedoch nicht nur von den zum Kapitelhof gehörigen Mansenbesitzern, sondern von allen Bewohnern Wingardens zu entrichten war. Der Pfarrer von Wingarden, der vom Kapitel in Münstereifel bestellt wurde, teilte sich die Einkünfte aus dem Zehnten mit dem Kapitel. Nach Anmerkung von Reinartz gab der "... Pastor seinen Anteil mit zehn Malter Korn, zehn Malter Spelz, vierzehn Malter Hafer, ein halb Malter Erbsen und zwei Karren Heu an". 11

Seit dem 13. Jahrhundert wurden die Bestimmungen über die persönlich zu entrichtenden Dienstleistungen abgemildert: Die Lehnsgüter wurden gegen die Zahlung der Erbpacht erblich: Bei Todesfall ( = Tod des Pächters) mußte die Kurmut, eine Erbschaftssteuer nach Wahl des Grundherrn, entrichtet werden. Die Lehngüter konnten aber wie Eigenbesitz verkauft werden.

Um die wirtschaftliche Lage der hörigen Bauern in Wingarden zu beurteilen, wird man sich der Feststellung anschließen müssen, daß "im allgemeinen den grundherrlich abhängigen Bauern nicht viel mehr als das Existenzminimum geblieben" ist. 12



III. Verwaltung und Rechtsprechung


Geographisch war das Reich des frühen Mittelalters in Gaue, verwaltungsrechtlich in Grafschaften eingeteilt. Zur Zeit der fränkischen Siedlungstätigkeit in unseren Gebieten war der Graf ein königlicher Beamter, der zugleich Verwaltungschef wie auch Richter seines Bezirks war: ausführende und richterliche Gewalt waren in einer Hand. Rechtsgrundlage war die Lex Ripuaria, das Volksrecht der Franken. Die Macht der vom König abhängigen Grafen wurde jedoch mehr und mehr eingeschränkt, da die Besitzbereiche des Adels und der Kirche vom Amtsbereich der Grafen ausgenommen waren: sie genossen ihnen gegenüber Immunität.

Wer sein Recht im Rechtsstreit nicht selbst (mit Waffengewalt) durchsetzen konnte, mußte sich unter den Schutz eines Vogtes (advocatus) stellen. Für die kirchlichen Immunitäten kam hinzu, daß nach dem Kirchenrecht die Blutgerichtsbarkeit und Verwaltung der Güter nur von Laien ausgeübt werden durfte. Für das Kloster Prüm und seine Gründung Münstereifel mit sämtlichen Besitzungen bedeutete das, daß man sich einem Vogt unterstellen mußte. Ein Vertreter des Adels wurde Vogt einer geistlichen Grundherrschaft und damit Gerichtsherr über geistliche Immunitäten und über die auf Klostergütern lebenden Hörigen, konkret: Die Rechtsprechung über die Mansenbesitzer in Wingarden lag in den Händen eines adligen Vogtes.

Im Hochmittelalter übten die Herren von Hardt von der Hardtburg über das Gebiet von Wingarden die Gerichtsbarkeit aus. Urkunden aus dem 12. Jahrhundert " ... bezeugen die Existenz einer edelfreien Familie von Hardt ...Die Herren von Hardt trugen ihren Besitz offensichtlich von den Grafen von Are zu Lehen," 13 denn um 1200 fällt die Hardtburg nach Aussterben der Familie von Hardt zurück an die Grafen von Are, die Nachfolger der Grafen des Ahrgaus. Da die Grafen von Are Vogteigewalt über die Abtei Prüm innehatten, kam auch Wingarden unter ihren Gerichtsbann. Die Verbindung von Vogteigewalt und Grafengewalt stärkte die Stellung der Grafen von Are und war eine der Voraussetzungen für die Entstehung der Landesherrschaft, die sich über alle Bewohner des Herrschaftsgebietes erstreckte. Im Jahr 1246 kamen die Besitzungen der Grafen von Are-Hochstaden durch Erbschaft an das Erzstift Köln: Landesherr war nun der Kurfürst und Erzbischof von Köln, der, vertreten durch seinen Amtmann oder Vogt auf der Hardtburg, bis 1794 Gerichts- und Verwaltungsbefugnisse über die Bewohner von Wingarden innehatte. Die Hardtburg wurde im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts Zentrum des Amtes Hardt, dem 6 Gerichtsbezirke unterstanden, darunter der Schöffenstuhl Kirspenich, dem auch Wingarden angehörte. Das damals geltende Recht wurde von den Schöffen, das sind diejenigen, die das Recht schöpfen, gewiesen. Die Rechtsgrundlagen waren in den Weistümern, die seit dem 14. Jahrhundert schriftlich fixiert wurden, festgehalten. Für Wingarden sind insgesamt drei Weistümer von Bedeutung: Das Weistum des Amtes Hardt, das Weistum zu Arloff mit einem Nachtrag, der zeigt, wie die Territorialmacht mit der Grundherrschaft konkurriert und deren Rechte einzuschränken sucht, und das Weistum des Münstereifeler Kapitelhofes zu Weingarten.



1. Weistum des Amtes Hardt von 1378. 14


Über die Anstrengungen des Kurfürsten von Köln, seine Territorialherrschaft über das Gebiet des Amtes Hardt zu festigen und zu behaupten, gibt das Weistum aus dem Jahre 1378 Auskunft. Friedrich von Saarwerden, Erzbischof von Köln und Kurfürst des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation von 1370 -1414, erscheint persönlich auf der Hardtburg und bittet "die maßgebenden Männer aus den Dörfern und fast die gesamte Einwohnerschaft der Herrschaft und des Bezirks der Hardtburg ..." vor die Hardtburg (22. Dezember !). Die Männer aus Wingarden, die den Weg zur Hardtburg hinaufgegangen waren, mußten "der Wahrheit gemäß ..."

gestehen, erklären, anerkennen und versprechen, daß der Erzbischof und seine Kölner Kirche Recht, Macht und Herrlichkeit "im Bezirk und der Herrschaft Hardtburg ... besessen hätten und nach altem Herrschaftsbrauch besitzen müßten." Den Versammelten wurde kurze Bedenkzeit eingeräumt, um den Sachverhalt unter sich zu beraten. Nach kurzer Zeit brachen sie in Jubelrufe aus: Einstimmig anerkannten sie die Forderungen des Erzbischofs.

1. Sie gelobten Huld und Treue;
2. sie anerkannten Vollgewalt, Kriegsgeläute und Folgen;
3. Gebot und Verbot "unbeschadet der Rechte der Lehnsherren auf ihren Lehnsgütern. .." mit der Einschränkung, daß diese "dort nichts vorschreiben können gegen die Vorschriften oder Rechte des Herrn Erzbischofs und seiner Amtleute...“ 15
4. Straße und Gemeindegrund und -boden (Almende) gehören allein dem Erzbischof;
5. Verbrecher und Missetäter darf nur der Erzbischof oder sein zeitiger Amtmann zur Hardt richten;
6. Luft, Wasser und Weide gehören allein dem Erzbischof;
7. wer Wasser und Weide benutzt, muß Bede und Schatz entrichten; steuerfrei war der Besitz der Geistlichen und Ritter.


Das Huld- und Treuegelöbnis, das dem Erzbischof ausgesprochen wurde, beinhaltet einerseits die Ergebenheit der Versammelten, andererseits die gnädige Gesinnung des Herrn.

Vollgewalt, im modernen Staat würde man vom Machtmonopol sprechen, beansprucht der Erzbischof als Territorialherr, um sich auch mit Zwangsmitteln Geltung verschaffen zu können. Ebenso stand es nur dem Erzbischof zu, mit Glockengeläut zu den Waffen zu rufen; ein Ruf, dem Folge zu leisten war.

Der Landesherr anerkennt zwar die Rechte der Lehnsherren auf ihren Gütern in seinem Gebiet, diese können aber keine Vorschriften erlassen, die ihm nicht genehm sind. In diesem Abschnitt ist zu erkennen, daß die Grundherrschaft des Münstereifeler Kapitels in Wingarden zwar respektiert wird, die wirkliche Macht liegt aber beim Kölner Erzstift. 1378 läßt sich Friedrich von Saarwerden diesen Prozeß von den Bewohnern des Bezirks der Hardtburg bestätigen.

Die Erwähnung, die besagt, daß die Straße dem Erzbischof und seiner Kölner Kirche gehört, verschweigt, daß für den Bau und Unterhalt der Straße Abgaben gefordert wurden, die oft dazu dienten, staatliche Finanzierungslücken zu schließen. Für die Nutzung von Wasser und Weide sollten Bede und Schatz auferlegt werden; diese Abgaben bestanden zur Zeit der Versammlung wohl nicht. Um aber eine mögliche Notlage abzuwenden, behält sich der Landesherr vor, seine Untertanen um diese besondere Leistung zu bitten ("Bede"). Ablehnen konnten sie dieses Ansinnen des Erzbischofs freilich nur, wenn kein ersichtlicher Grund für die Forderung bestand.

Bei Kriegsgefahr oder der Finanzierung von Waffen und Rüstungen waren die Bewohner des Amtes Hardt an ihr Huld- und Treuegelöbnis gebunden. Vielleicht zeugt dieser Hinweis auch davon, daß dem expandierenden Erzstift durch Organisation der Gerichts- und Verwaltungsbezirke neue Aufgaben zuwuchsen, die nicht allein aus dem eigenen Besitz zu finanzieren waren. Im Gegensatz zur Bede ist der Schatz eine durch Schätzung geforderte Steuer.

Es wird deutlich, daß auch nach dem Erstarken der Territorialgewalt die Lage der bäuerlichen Bevölkerung sich nicht wandelte. War man bis dahin nur den Kapitelherren in Münstereifel Abgaben schuldig, so trat neben den Grundherrn nun der Territorialherr, der ebenfalls Ansprüche stellte, die sowohl die abhängigen wie die freien Höfe in Wingarden belasteten. Über diese Ansprüche gibt das Weistum zu Arloff Auskunft.



2. Weistum zu Arloff von 1598. 16


Inhalt der Weistümer sind Antworten auf Fragen nach dem Rechtsbrauch der damaligen Bevölkerung und einzelne Beschwerden, die dem Gerichtsherrn vorgetragen wurden. Gleichzeitig ermöglichten sie dem Gerichtsherrn, seine Ansprüche gegenüber der Bevölkerung ins Gedächtnis zu rufen. Der Vogt oder Amtmann konnte hier als Fragesteller auftreten und von Schultheiß und Schöffen die Antworten erbeten, die im schriftlich nicht fixierten Gewohnheitsrecht verankert waren.

Schlüsselt man das Arloffer Weistum einmal auf, so ergibt sich ein Frage- und Antwortspiel, wie es sich auf den Gerichtstagen zugetragen haben mag:

Erste Acht:
1. Wem gehören Straßen und Gemeinden (das sind für die Allgemeinheit vorgesehene Flächen)?
2. Was ist bei der Nutzung der Straßen und Gemeinden zu beachten?
3. Was geschieht mit dem, der Straßen und Gemeinden unrecht nutzt?

Zweite Acht:
4. Wie kann dem Mißbrauch von Maßen und Gewichten vorgebeugt werden?
5. Was muß der Erbe unternehmen, um rechtmäßig in den Besitz des Lehens zu kommen?
6. Wann ist der Erbe berechtigt, an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen?

Dritte Acht:
7. Welcher Hof darf wieviel Schafe halten?
8. Wie ist mit dem Nachbarn zu verfahren, der beim Wässern Schaden angerichtet hat?

Vierte Acht:
9. Bei wem liegt die vollziehende und richterliche Gewalt im Bezirk?
10. Sind zeitlich nicht begrenzte Gebote oder Verbote erlaubt?
11. Wem gehören die Wasserrechte, Glockenklang, Straßen und Gemeinden? Wo sind die Grenzen des Bezirks?
12. Was ist als Gegenleistung für die Nutzung von Straßen und Gemeinden zu tun?
13. Welche Rechte haben die Bewohner dafür, daß sie dem Kurfürsten und Erzbischof zeitlich begrenzte Dienste verrichten?


Fünfte Acht:
14. Welche Auflagen haben die Klosterherren gegenüber dem Territorialherren wegen ihres freien Hofes in Kreuzweingarten zu erfüllen?
15. Was ist zu beachten, wenn der Gerichtstag ordnungsgemäß einberufen werden soll?
16. Welche Maßnahmen muß der freie Hof ergreifen, um gefangene Missetäter ihrer Strafe zuzuführen?
17. Wo ist die Hinrichtungsstätte?
18. Wie haben sich die Bewohner des Gerichtsbezirks zu verhalten, wenn der Kurfürst und Herr in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt würde?
19. Wer trägt Risiko und Kosten für die Heerwagen, die im Kriegsfall bereitgestellt werden müssen?
20. Wieviele Gerichtstage sind mindestens im Jahr?
21. Wie ist die Vergütung der Schöffen geregelt?

Die Antworten, die Schultheiß und Schöffen auf diese Fragen gegeben haben, sind z.T. schon in dem oben behandelten Weistum des Amts Hardt vorgegeben; andere Fragen lassen durchblicken, welche Vergehen üblich waren. Die Frage nach den Rechten der Bewohner des Arloffer Dingstuhls läßt erkennen, daß das Weistum nicht nur Forderungen enthielt: Wenn die "gemeinen Nachbarn", das sind die grundherrschaftlich unabhängigen Bauern, zeitlich begrenzte Dienste für den Kurfürsten und Erzbischof verrichteten, sollten sie "in dem Kirchspiel zapfen, backen, brauen und feilen Kauf treiben, sich ernähren mit Gott in Ehren, ohne Widerwort unseres gnädigen Kurfürsten und Herren oder des oben genannten Amtmannes."17 Innerhalb der Pfarrgrenzen war also völlige Gewerbefreiheit zugebilligt.

Die Bestimmungen der Fünften Acht vermitteln neben der Sonderstellung des Kapitelshofes gängige Maßnahmen des Strafvollzugs. Es heißt u. a., daß auf dem freien Hof zu Wingarden ein ausbruchsicheres Gefängnis (Stock) sein sollte für Missetäter, die zwischen Rheder und Arloff gefangen würden. Für die Hinrichtung eines Missetäters habe der Hof Galgen, Rad (Tod durch Überfahren), Axt (Abhacken der Glieder), Kessel (Tod durch siedendes Wasser), Grube (lebendig Begraben) und Pfosten (zum Anbinden oder zum Durchbohren von lebendig Begrabenen) vorzuhalten. Die Hinrichtungsstätte war auf der Heide "jenseits Stotzheim bei Ruexheim" (= Roitzheim).

Im Kriegsfall konnte der Kurfürst "die von Arloeff, Kerspenich, Wingarten und Redern" zu den Waffen rufen und mit dem Glockenschlag hatten sie dem Amtmann unverzüglich zu folgen. Das Münstereifeler Kapitel aber sollte die Heerwagen auf eigene Gefahr und Kosten bestellen, um Proviant und Waffen zum Kriegsschauplatz zu transportieren. Die freien Nachbarn sollten damit nicht beschwert werden. Doch das Kapitel erfüllt diese Verpflichtung nicht oder nicht immer: Während der Soester Fehde 1444 bis 1449 ist ein solcher Heerwagen nach Westfalen losgefahren "und ungefähr sechs Wochen ausgewesen, und als sie heimkommen sind, haben die Nachbarn mit ihnen gerechnet und ihnen ihren Lohn gütlich gegeben und wohl bezahlt. .." Aus dieser Urkunde von 1475 wird ersichtlich, daß die Klosterherren sich an dieser Heerwagenfahrt schadlos hielten; entgegen der Fünften Acht bezahlten "die Nachbarn" die Zeche. Diesen Fall lassen sie 1475 durch zwei Männer vor dem kurfürstlichen Amtmann bezeugen und versuchen dadurch, einen Präzedenzfall abzuleiten, "und wissen von niemand anders". 18

Während der vorstehende Vorgang ein Beispiel für die Ablehnung des Münstereifeler Kapitels war, gemeinnützige Aufgaben zu übernehmen, findet sich im Nachtrag von 1406 zum Arloffer Weistum ein Hinweis, wie die Territorialmacht Köln die Rechte des Kapitels einschränkte. Danach werden die Pflichten und Kosten, die das Kapitel wegen der Vorhaltung eines ausbruchsicheren Gefängnisses auf seinem Hof in Weingarten hat, vom Amtmann zur Hardt, Gumprecht von Neuenahr, übernommen. Dazu erbietet sich Gumprecht, den Pastor zu Wyngarden zu beaufsichtigen (der wohlgemerkt vom Kapitel eingesetzt wird und mit diesem den Zehnten teilt). Der Schultheiß des Arloffer Gerichts wird in Zukunft vom Amtmann zur Hardt bestellt, und der Bote, der die Gerichtsladungen zustellt, Pfändungen vornimmt, Schuldner und Missetäter verhaftet, schwört zuerst den Leuten vom Kapitelhof, dann dem Herrn auf der Hardtburg Huld und Treue. Die Bezahlung des Boten geht zu Lasten des Amtmanns, sofern sie 10 Mark in kölnischer Währung übersteigt. Für die Übernahme dieser Pflichten erhält Gumprecht die Nutznießung verschiedener Wiesen in Kirspenich, die das Kapitel von Wilhelm Mynkart gekauft hat. Der Vertrag läuft aus, wenn Gumprecht oder seine Erben nicht mehr dem Amt Hardt vorstehen sollten.



3. Das Weistum des Münstereifeler Kapitelshofes zu Weingarten (um 1600)


Neben den Lehnshöfen, die in Weingarten und der näheren Umgebung im Besitz der Kapitelherren von Münstereifel waren, nahm der Kapitelshof als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum auch durch seine Rechtsverfassung eine Sonderstellung im System der Grundherrschaft ein. Um dieser Sonderstellung gerecht werden zu können, bedurfte es auch einer eigenen Hofgerechtigkeit, die ebenfalls in einem Weistum festgehalten ist.

Dreimal im Jahr sollte nach der Satzung des Weistums das Hofgericht tagen: am Montag nach Dreikönigen, am zweiten Montag nach Ostern und am ersten Montag nach dem Fest Johannes des Täufers. Anwesenheit der Schöffen und des Hofmannes war Pflicht. Unentschuldigte Abwesenheit wurde durch drastische Geldbußen geahndet: Die Klosterherren erhielten dann siebeneinhalb Schilling, und der Amtmann zur Hardt gar 60 Schilling Bußgeld. Sollte der Lehnsträger danach immer noch nicht seinen Termin wahrnehmen, dann fiel sein Lehnsgut wieder an die Herren von Münstereifel zurück.

In der ersten Acht geht es um die Erhaltung der Kirche: Das Kapitel soll "das Hochwürdig und Heylig Sakrament Nacht und Tag beleuchten." 19 Diese Formulierung enthält die Zusage, daß die Kapitelherren für den regeImäßigen Gottesdienst Sorge tragen. Daneben haben sie für die Bedachung des Kirchenschiffs aufzukornmen, während der Pastor für die Erhaltung des Chorraums und die Nachbarn für den Turm verantwortlich sind.

Dem Kapitelhof wird die Auflage gemacht, einen Zuchtstier zu halten, eine Auflage, die an neuzeitliche Gesetzgebung erinnert, durch die die Haltung von Vatertieren in die Verantwortlichkeit der Gemeinde gelegt wurde.

In der zweiten Acht werden die Nutzungsrechte der Pfaffenhardt, dem Waldstück nordwestlich vom Dorf, geregelt: Die Pfaffenhardt war steuer- und abgabenfrei, und der Pächter des Kapitelshofes war berechtigt, den "faulen Stock und den dürren Zopf", d. h. abgestorbene Bäume für den Eigenbedarf, zu schlagen.

Es wird darauf hingewiesen, daß der Erbe eines Lehnsgutes, der das Lehen noch nicht von den Herren empfangen hat, um das Lehen nachsuchen soll. Im Klartext heißt das, er soll die Kurmut entrichten. Erst dann kann er an der weiteren Verhandlung teilnehmen.

In der dritten Acht geht es um die "freie Mühle", die verschiedene Auflagen gegenüber dem Hofmann zu erfüllen hatte. Im übrigen ist diese Acht von großem Mißtrauen gegenüber der Rechtschaffenheit des Müllergewerbes geprägt: Da Getreide und Mehl in Hohlmaßen gemessen wurde, gab es oft Auseinandersetzungen über die korrekte Größe der Sester (= Scheffel) oder darüber, ob das Mehl "gedeut" werden müsse oder nicht. Der Hofmann war berechtigt, das Pferd des Müllers so lange festzuhalten ohne es zu füttern, bis der Müller für das rechte Maß gesorgt hatte.

Für seine Dienstleistung erhält der Schöffe ein Viertel Wein, was einer Menge von 7 Litern entspricht.

Das Weistum behandelt schließlich das Verfahren, das angewandt wird, wenn der Hofmann die Pacht nicht entrichtet hat, die aus der Lieferung von Weizen oder Hafer bestand. War die Pacht nicht geliefert worden, so konnten die Herren oder deren Kellner (= Geldverwalter) auf dem Hof Pfändungen an Gerätschaften vornehmen. Würden die Pfandgegenstände die Forderungen nicht decken, so sollen die Güter beschlagnahmt werden. Könne der Hofmann binnen Jahr und Tag die Pacht aufbringen, so soll er das Gut behalten. Pachttermin für den Halfen des Kapitelshofes war der Montag nach Dreikönige.

Nicht ohne finanzielle Einbuße war auch die Abgabe des Besthaupts, d. h. des besten Stückes Vieh, an den Abt oder das Kapitel, wenn der zinspflichtige Bauer starb, wie es die Bestimmungen für die Kurmutsgüter vorsahen. Von der Abgabe des Besthaupts war auch der Pächter des Kapitelhofes, der Hofmann, nicht ausgenommen, wie aus dem Hofweistum hervorgeht: Die Tiere sollen vor Schultheiß und Schöffen im Kapitelhof aufgetrieben werden. Unter Erinnerung an seinen Eid wird der Schöffe den Kapitelherren das beste Stück Vieh herausfinden und seinen Geldwert schätzen. Das Geld ist dem Kapitel zuzustellen. Nicht immer wurden Lehnsträger und Kapitel bei der Abgabe des Besthaupts einig, wie aus dem Protokollbuch des Hofgerichts hervorgeht: Nach dem Tod des Carolus Feinhartz, Hofkammerrat und Statthalter des Amtes Hardt will der Halfmann Neis Schorn mit den in Weingarten liegenden kurpflichtigen Gütern belehnt werden. Er treibt sein bestes Pferd auf, das mit 59 Talern taxiert wird, d. h. Schorn muß den Kapitelherren 59 Taler entrichten, um in den Besitz der Güter zu kommen und das Pferd behalten zu können. Die Summe scheint selbst den Herren vom Kapitel zu hoch zu sein, sie setzen den Preis auf 50 Taler herab. Aber auch das ist Neis Schorn noch zuviel, und das Pferd, nicht das Geld, wird den Kapitelherren überstellt. Diese lassen sich nicht auf das Geschäft ein, und so erhält die Witwe Maria Munster am 27. Februar 1637 das Lehen. 20

Wenn auch über die Gerichtsverhältnisse in den von Münstereifel abhängigen Besitzungen nicht allzuviel bekannt ist, so kann doch festgehalten werden, daß die Kapitelherren durch das Hofesweistum Einfluß nehmen konnten auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse am Ort. Dieser Einfluß ist jedoch nicht einseitig zugunsten des Stiftes zu sehen. Die Lehnsträger sind durch die im Weistum verankerten Bestimmungen in den Prozeß der Rechtsfindung einbezogen, eine Tatsache, die dazu beigetragen hat, daß die Bevölkerung sich ihrer Rechte bewußt war und Anteil nahm an den Entscheidungen, da hier vitale Eigeninteressen berührt wurden. Das Gesagte gilt auch für die Abhängigkeit vom Territorialherren, der einerseits Pflichten auferlegt, andererseits Freiheiten gewährt.

Die Verknüpfung von rechts-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtlichen Vorgängen war ein Kennzeichen der alten Ordnung, die durch die Theorie von den drei Gewalten im Staat, die sich gegenseitig kontrollieren, in Frage gestellt wurde. Wie brüchig das alte System geworden war, wird deutlich aus der Antwort des Münstereifeler Magistrats auf den Aufruf des Kurfürsten Carl Theodor von Wittelsbach vom 19. August 1794, das Land gegen die eindringenden französischen Revolutionstruppen zu verteidigen: Am 6. Oktober will man den Franzosen "die gute Gesinntheit des Magistrats und Bürgerschaft bekannt machen und das Ganze in ihren Schutz empfehlen.“ 21

Eine neue Epoche war angebrochen, die ihren verwaltungsgeschichtlichen Endpunkt vorläufig in der napoleonischen Gemeindeverfassung finden sollte. Vengarden wurde Teil der Bürgermeisterei Wachendorf im Kanton Zülpich, Arrondissement Köln, Departement Rur.

Am 5. April 1815 nahm Preußen Besitz vom Rheinland, das nach 1945 Teil des neugeschaffenen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen wurde. In wechselvollen geschichtlichen Zusammenhängen verlor Kreuzweingarten seinen Status als selbständige Gemeinde 1968 und ist seitdem Ortsteil der Stadt Euskirchen.



Literatur:


Bayer, Erich, Wörterbuch zur Geschichte, Stuttgart 1974.
Neubecker, Ottfried, Heraldik, Frankfurt 1977
Oswald, Gert, Lexikon der Heraldik, Leipzig 1984.
Volkert, Wilhelm, Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters, München 1991.



Anmerkungen:


1) Weistümer unserer Heimat, hg. von Nikola Reinartz, Euskirchen 1940, S. 37.
2) ebd., S. 5/6.
3) Knackstedt, G.U., Neandertaler, Römer, Franken, Brühl 1991, S. 88.
4) Kleemann, Otto, Die fränkische Zeit, in: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, Köln 1968, S. 72.
5) Volkert, Wilhelm, Von Adel bis Zunft. Ein Lexikon des Mittelalters, München 1991, S. 87
6) Das Prürner Urbar von 893 ist nicht mehr irn Original erhalten. Es existiert nur noch in Abschriften, von denen eine von Cäsarius von Heisterbach stammt. Irn vorstehenden Aufsatz wird auf eine Übersetzung des Breve Iversheim/55 von W. Herborn zurückgegriffen.
7) Eine Spende, zu der das Kloster die abhängigen Mansenbesitzer aufforderte.
8) Darunter sind Botendienste und untergeordnete Aufgaben zu verstehen, die von den Bauern zu leisten waren.
9) In dem sog. "Ältesten Kirchbuch“, irn Pfarrarchiv Kreuzweingarten ist auf S. 435 der "Schweinehirt Bertrammus Berrisch, Schweinehirt zu Weingarten“ erwähnt, ein Hinweis, daß das Schweinehüten über viele Jahrhunderte Tradition hatte. Berrisch starb am 30. Januar 1779.
10) Rutt, Theodor, Vom frühen Mittelalter bis zur Neuzeit, in: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, Köln 1968, S. 106.
11) Weistümer, S. 38, Anm. 8.
12) Schulze, H.K., Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Stuttgart 1990 (2), S. 151.
13) Jansen, W., Die Hardtburg, in: Führer zu den vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd.26, Mainz 1976, S. 16Z
14) Weistümer, S. 6ff.
15) ebd., S. 7
16) ebd., S.28-34.
17) ebd., S. 30.
18) ebd., S. 33.
19) ebd., S. 39.
20) ebd., S. 43.
21) Gissinger, Karl, Geschichte der Stadt Euskirchen, Euskirchen 1902, S. 330.


Entnommen: 1100 Jahre Wingarden - Kreuzweingarten 893 - 1993


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