Bernhard Becker (1873-1938)

Von Ruthard von Frankenberg


Im Oktober 1988 traf sich eine Gruppe älterer Kreuzweingartener in der "Beckersch' Villa" am Burgberg, um Erinnerungen an Bernhard Becker auszutauschen, der vor fünfzig Jahren, am 2. Oktober 1938, gestorben war. Der folgende Bericht gibt ihre Erzählungen wieder und verarbeitet außerdem manches weitere Gespräch über die Villa und ihren Erbauer. Auch wertet er dort verbliebene Unterlagen sowie die eine oder andere Nachforschung aus.


Bernhard Becker.

Villa Becker in den 30er Jahren.


Bevor Becker und seine Frau Maria 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, von Euskirchen nach Kreuz-Weingarten in ihr noch unfertiges neues Haus zogen, hatten sie keine persönlichen Verbindungen zum Dorf. Auch später gab es stets einen gewissen Abstand zu dem "Fabrikanten", der Teilhaber der Firma "B. & H. Becker Tuch- und Buckskinfabrik" in Euskirchen war. Selbst mit Lehrer Gebertz pflegte er keine engeren Beziehungen. Im Auftreten war er aber keineswegs reserviert wie seine Frau, sondern stets freundlich, einfach und natürlich. Als seine jüngste Schwester Gertrud einmal etwas hochgestochen dahergeredet hatte, hörte man ihn sagen: "Och Trautchen, böss doch nit esu. Denk doch dran, wie mer fröhe all us eene Pann jejesse han!"



Kunst fürs Dorf


Becker litt an einer chronischen Lebererkrankung, so daß er seine berufliche Arbeit zunächst einschränken und schließlich ganz aufgeben mußte. Umso mehr setzte er seine Zeit und verbleibende Kraft für kulturelle und soziale Belange des Dorfes ein:

Da die Gemeinde sehr arm war, ließ Becker auf dem Friedhof aus eigenen Mitteln ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und einen Brunnen bauen, die noch heute dort stehen. Die Maurerarbeiten führte sehr wahrscheinlich Johann Lott durch, ein Maurer aus Rheder, der wegen einer Lungenkrankheit Frührentner war. Mit Sicherheit hat er den Brunnen gemauert. Das Mosaik des Auferstandenen von 1936 und die seitlichen Ton-Reliefs des "Kriegerdenkmals" sind Arbeiten des Dominikanerpaters Wolfram Plotzke, ebenso das kleine Mosaik des Brünnchens. Bernhard Becker und seine Frau wurden später zu beiden Seiten des Ehrenmals beerdigt, ihre Nichte und Erbin Elisabeth Walraf in unmittelbarer Nähe.

Da das weithin sichtbare eiserne Missionskreuz aus der Schmiede Spilles stark rostete, ließ Becker dieses Wahrzeichen des Ortes auf dem Burgberg mit einem schützenden Betonmantel versehen. Das eingefügte Mosaik stammt ebenfalls von Wolfram Plotzke.

Dieser Künstler und Mönch - übrigens ein Bruder des späteren Kölner Dompredigers Urban Plotzke - war immer wieder bei Becker zu Gast, und noch heute sind in der alten Villa einige seiner Arbeiten zu sehen, darunter ein Wandbild aus dem Jahre 1933, das zur früheren Hauskapelle gehörte. Im Dorf ist besonders die Ausmalung der Diele mit dem biblischen Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg bekannt geblieben. Außer dem Ehepaar Becker und Elisabeth Walraf sind darauf der alte Küster Heinrich Klein und sein taubstummer Sohn Christoph dargestellt. Die weiteren Figuren dieser Malerei von 1934 sind keine Portraits.

Eines von Plotzkes Ölgemälden, "Kindertheater im Dorf" von 1936, verdient eigens erwähnt zu werden: Vor dem Alten Brauhaus erscheinen in der Mitte Gretchen, Mephisto und andere Personen aus Bernhard Beckers Neubearbeitung des "Doktor Faust", während im Vordergrund Becker selbst mit seinem charakteristischen Spitzbart und dem Manuskript unter dem Arm die Szene betrachtet. Aber es ist kein harmloser Mummenschanz: Gretchens trauriges Gesicht versteckt sich und seine wahre Einstellung hinter einer vorgehaltenen dunklen Maske - dahinter ist die NS-Flagge gehißt. Nach Elisabeth Walraf stellte das Bild eine verhüllte Kritik am damaligen Regime dar.

Die Reste der ursprünglichen Einrichtung der Villa zeugen von Beckers modernem, aber nicht avantgardistischen Stilempfinden.

Seine Kunstauffassung brachte ihn in einen gewissen Gegensatz zu Pfarrer Nikola Reinartz, der eine eher volkstümliche Stilrichtung bevorzugt haben soll. Auch sonst kam es bei allem gegenseitigen Respekt zu Spannungen zwischen beiden Persönlichkeiten. Jedenfalls lehnte Becker die Pläne von Pfarrer Reinartz zur Ausmalung der Kirche ab und war bereit, die gesamten Arbeiten zu bezahlen, wenn es nach seinen Vorstellungen ginge. Er konnte sich aber nicht durchsetzen. Dennoch stiftete er loyalerweise 400,- Reichsmark für die ungeliebte Bemalung.



Literarisches - und Ärger mit der Zensur


Wie Gästebücher und Bibliothek bezeugen, stand das Haus am Burgberg nicht nur bildenden Künstlern offen. Besonders viele Schriftsteller gingen hier ein und aus, aber auch Journalisten, Pädagogen und zahlreiche andere, die Anteil nahmen am geistigen Leben im Rheinland, in Flandern und weit darüber hinaus. Eigens zu erwähnen: Benediktinermönche aus Maria Laach und Dominikaner aus dem nahen Walberberg.

Auf dem Gebiet des Laienspiels legte Becker selbst Hand an: Seine bereits erwähnte Faust-Bearbeitung wurde 1936 mehrere Male im Jugendheim aufgeführt. Becker bezahlte nicht nur Kostüme und Bühnenbild, sondern studierte den "tollen Spuk" - wie er sein Spiel nannte - mit den Spielern selber ein, führte Regie und soufflierte sogar selbst. Ähnlich hatte er es in den Jahren zuvor mit seinem Krippenspiel gehalten, von dem noch die Rede sein wird, aber auch mit anderen Laienspielen. So war 1931 der "Jedermann" aufgeführt worden, zunächst im Dorf und später in Euskirchen.

In der örtlichen Presse veröffentlichte er eigene Übersetzungen von christlichen Autoren aus dem Flämischen und dem Französischen, jedenfalls solange dies möglich war. Am 29. April 1936 teilte nämlich die Schriftleitung des Volksblattes in Euskirchen Becker mit, man habe von einer Veröffentlichung eines "Passionsberichtes" des flämischen Geistlichen Cyriel Verschaeve abgesehen. Begründung: "Kurz vor Ostern wurden uns nochmals genaueste Richtlinien erteilt, nach denen unsere redaktionelle Arbeit sich zu richten hatte", als man von der Veröffentlichung Abstand nahm.



Das Krippenspiel


Ohne sein Krippenspiel wäre Beckers vielfältiger Einsatz für Kreuzweingarten sicher längst in Vergessenheit geraten. Das hat das Treffen älterer Kreuzweingartener - der Kinder von damals, Ende der zwanziger bis Mitte der dreißiger Jahre - zu seinem fünfzigsten Todestag klar gezeigt.

Jeweils im Herbst begann Becker, in seinem Hause die Rollen mit Kindern aus dem Dorf einzustudieren. Frau Passavanti nennt 1927 als erstes Jahr, das älteste erhaltene Manuskript wurde allerdings nicht vor dem Advent 1928 geschrieben. Becker ging mit jedem Satz und jeder Geste der Kinder mit. Wenn nötig hielt er Einzelproben ab und holte erstaunliche Leistungen aus den Kindern heraus.

In den ersten Jahren wurde das Krippenspiel nur am Heiligen Abend im Haus am Burgberg aufgeführt, in der Diele " vor unserer Krippe", wie Becker schrieb. Weil die Heilige Familie auf diese Weise ins Weihnachtsspiel einbezogen wurde, tritt sie dezenterweise nicht selbst auf. Becker besaß eine Münchner Weihnachtskrippe mit bekleideten Figuren, von denen einige aus dem 19. Jahrhundert recht qualitätvoll sind. Im Wesentlichen ist die Krippe dem Haus Hardtberg bis heute erhalten geblieben. Die Diele diente als Bühne, die Treppe und der offene Kamin als Kulisse. Die Zuschauer saßen im Herrenzimmer. Im Anschluß an das Spiel bescherte Becker alle mitspielenden Kinder. Später fand die erste Aufführung mit der Bescherung weiterhin auf dem Burgberg statt, zwei weitere folgten am Zweiten Weihnachtstag und am Dreikönigsfest im Jugendheim. Zu den öffentlichen Aufführungen engagierte Becker für bestimmte Partien einen professionellen Sänger.

In den Jahren 1935 oder 36 übernahm Lehrer Heinrich Gasch nach und nach Einstudierung und Regie, weil Beckers Kräfte infolge seiner Krankheit immer mehr nachließen. Alle drei Aufführungen fanden jetzt im Jugendheim statt. Dazu kamen Zuschauer auch aus den umliegenden Gemeinden und aus Euskirchen.

An allen Erzählungen über das Krippenspiel fällt auf, wie wichtig die Bescherung am Heiligen Abend gewesen sein muß. Becker schenkte den Jungen Tuch für einen Anzug, den Mädchen Stoff für ein Kleid. Einige Kinder erhielten stattdessen Bücher. Beckers eigene Textilfabrik stellte gröberes Tuch her, das sich mehr für Mäntel eignete. Den Stoff für Mädchenkleider aus einer Fabrik ihrer Familie in Rheydt hat in späteren Jahren Elisabeth Walraf gestiftet.



Sozial, kinderlieb, gläubig


Außer den Darstellern erhielten jährlich auch die meisten Kommunionkinder und manche anderen Kinder solche Tuchspenden. Im Dorf war man ihm dafür und auch für den Apfel dankbar, den er jedem Kind schenkte, das im großen Fackelzug an Sankt Martin um sein Haus zog. In den Jahren der Not habe ein Apfel eben einen anderen Wert besessen als heute. Beckers "soziale Ader" sei echt gewesen, sagen die, die ihn kannten. Er muß wohl ein Fabrikant mit ausgeprägtem Sinn für soziale Gerechtigkeit gewesen sein, die er seinem Glauben schuldig war. Ob andere im Ort argwöhnten, daß der reiche Fabrikant nur sein soziales Gewissen beruhigen wollte, ist nicht mehr zu erfahren. Manches geschah auch im Stillen. Dem bereits erwähnten Christoph Klein ermöglichte Becker den Besuch einer Sonderschule für Taubstumme in Brühl. Daß Klein später Gärtner und Hausdiener bei Beckers war, habe ihm nur seine Existenz gesichert. Er gehörte einfach zum Leben im Hause dazu.

Die Schilderungen lassen freilich nur ahnen, was Bernhard Becker im Inneren bewog, sich lange Zeit hindurch derart intensiv dem Krippenspiel zu widmen, daß es ihm fast zum Lebensinhalt wurde. Zur Freude am Laienspiel und seiner "sozialen Ader" kam wohl, daß Becker sehr kinderlieb war und darunter litt, daß er selbst keine Kinder hatte. Umso mehr kümmerte er sich um anderer Leute Kinder, etwa die zehn des Stationsvorstehers Kurth, denen er Berge von Butterbroten mitbrachte. Schließlich - und vielleicht vor allem - bekunden die hinterlassenen Unterlagen, daß Becker ein tiefgläubiger Mensch war. Die Texte des Spieles machen deutlich, daß er Spieler wie Zuschauer an das heilige Geschehen der Weihnacht heranführen wollte.



Sechs Text-Fassungen


Da das Spiel in Kreuzweingarten nur in seiner letzten Fassung bekannt ist, mag es von Interesse sein, kurz die Textgeschichte nachzuzeichnen, wie sie sich aus sechs Manuskripten im Archiv von Haus Hardtberg ergibt.

Zunächst schrieb Becker ein " Weihnachtsspiel fürs Haus nach alten und neuen Weisen", das in einer hand- und einer maschinenschriftlichen Fassung erhalten ist. Das kann nicht vor Dezember 1928 geschehen sein, denn Becker begann auf der Rückseite eines Kalenderblattes vom 28. November zu schreiben. Offenbar sollen diese kurzen, noch rein hochdeutschen Szenen um die Herbergssuche vor allem zur aufgebauten Hauskrippe hinführen und dann zur Bescherung überleiten. Nur in diesem ersten Spiel treten Maria und Joseph auf. Becker spielte offenbar auch selbst mit, denn der Herbergsvater trägt seinen Spitznamen "Benbek".

Im Jahre 1931 liegt bereits ein Einakter vor mit dem Titel "Der Hirten Verkündigung" .Das nächste Heft enthält erstmals Hirtenszenen in Mundart und ist überschrieben: "Ein Spiel vor der Krippe im Hause am Burgberg zu Kreuz-Weingarten 1932". In dieser Zeit beschäftigt sich Becker besonders intensiv mit dem Krippenspiel: Die Zahl der Mitspieler wird erhöht, der Text erheblich erweitert; auch der endgültige Aufbau in drei Akten liegt mit der Version von 1932/33 fest.

In der nächsten Fassung, einer bearbeiteten Reinschrift der vorigen, stellt Becker dem Ganzen noch einen " Vorspruch" und ein Vorspiel voran und ändert den Titel: "Das Kreuz-Weingartener Krippenspiel. Ein Spiel vor der Krippe von Bernhard Becker". Dieser maschinengeschriebene Text, wieder mit der Jahresangabe 1932, wurde in blauem Karton gebunden und an die Spieler ausgegeben. Er hat sich daher in mehreren Exemplaren erhalten. Eines davon diente Hermann Josef Kesternich als Grundlage für seine Bearbeitung und Aufführung von 1984/85. Beckers Arbeitsexemplar im Archiv weist vielfältige Korrekturen und die erweiterte Jahresangabe ,,1932/35" auf.



Wieder Ärger


Wohl 1934 kam es zu einem Zusatz in der Vorrede: " Wir grüßen das deutsche Vaterland und den, der es führt mit starker Hand (deutscher Gruß)". Nach dem, was 1984 in Kreuzweingarten zu erfahren war, ist dieser Zusatz ein mühsam ausgehandelter Kompromiß gewesen, um das Krippenspiel in der Nazizeit überhaupt noch spielen zu dürfen. Grete Passavanti, geb. Spilles, die von 1929 bis 1935 mitspielte, ergänzt: Lehrer Gasch habe Becker geraten, vorsichtshalber den Zusatz einzufügen. Bereits Weihnachten 1933 habe der NSDAP-Ortsgruppenleiter Gerhards Bernhard Becker gemahnt, bei der Bescherung der Kinder solle ein Weihnachtsmann auftreten. Becker antwortete, er kenne keinen Weihnachtsmann, er kenne nur den heiligen Mann (so wird im Rheinland der heilige Nikolaus genannt) und das Christkind.

Beckers Nichte und Haustochter Elisabeth Walraf wurde seine Nachfolgerin am Burgberg und machte sich durch die Handweberei einen Namen, die sie viele Jahre dort führte. Sie setzte die Tradition eines Hauses der Treffen und Gespräche fort.


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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