Kriegsschicksale in Kreuzweingarten

Von Dr. Gabriele Rünger


Im 2. Weltkrieg war der Kreis Euskirchen seit dem Bau des Westwalles in das Kriegsgeschehen miteinbezogen. Er war Durchzugsgebiet für Bauarbeiter und Material. Ab Mai 1940 war der Kreis Euskirchen Aufmarsch- und Rückzugsgebiet für den Westfeldzug. Viele Gebäude dienten den Soldaten als Quartier, so z. B. das Kreuzweingartener Jugendheim. Die Soldaten wurden auch in den Familien beherbergt.

Die ersten Bomben im Euskirchener Stadtgebiet fielen im Juni 1940, die Bahnstrecke und alle Industrieanlagen waren seitdem wichtige strategische Ziele für die Alliierten.

Mit dem Vormarsch der Westmächte von Westen im Herbst 1944 nahmen Häufigkeit und Schwere der Bombenangriffe zu. Durch ständige nächtliche Fliegeralarme spielte sich das Leben zum größten Teil in den Schutzkellern ab. Viele durch Bombenabwürfe obdachlos gewordene Familien aus Euskirchen suchten in Kreuzweingarten Schutz. An fast allen lebensnotwendigen Dingen herrschte Mangel.

Das erste Todesopfer in der Zivilbevölkerung Kreuzweingartens war der 58jährige Matthias Hettinger. Er wurde am 29. September 1944 bei der Bombardierung der Eisenbahn in Euskirchen getötet.

Seit Dezember 1944 schob sich die Kriegsfront näher und näher an Euskirchen heran. Ende des Jahres 1944 traf eine Bombe Haus Broich und forderte dort sieben Menschenleben.

Die englischen Bomberverbände überflogen Kreuzweingarten zwar fast jede Nacht,. doch warfen sie hier selten Bomben ab. Pfarrer Reinartz berichtet schockiert über den Anblick der deutschen Truppen, deren Rückmarsch durch Kreuzweingarten führte. Sie boten "i. a. einen kläglichen Anblick; ohne Ausrüstung, hungernd, verlaust, meist ohne Transportmittel, die morschen Fahrzeuge und Kampfwagen vielfach schiebend und ziehend, sollten sie wieder zum Einsatz kommen, obwohl sie alle der verlorenen Sache total überdrüssig waren. Den traurigsten Anblick boten aber die Verwundeten, die, sofern sie noch gehen konnten, mit Armschüssen oder den Arm in Schienen haltend, Splitter in den durchfrorenen Händen, in Marsch gesetzt wurden, sich ein Lazarett zu suchen.“ 1

Am 2. März 1945 fielen zwei Bomben in Kreuzweingarten. Die Häuser Nelles und Hoffmann in der heutigen Weingartenstraße wurden getroffen und völlig unbewohnbar. Die Tochter der Familie Nelles, Margarete, 24 Jahre alt, fand bei diesem Angriff den Tod; sie hatte sich immer geweigert, bei Fliegeralarm einen Schutzraum oder Keller aufzusuchen. Ihre schwerkranke bettlägerige Mutter, die am Morgen noch vom Pfarrer die Sterbesakramente empfangen hatte, blieb unverletzt.



Frau Christine Nelles (Mitte)


Am 6. März rollten die ersten amerikanischen Panzer im Dorf ein und beendeten für Kreuzweingarten somit den Krieg.

Insgesamt waren bis zum Jahre 1945 85 Soldaten der Pfarrgemeinde, also aus den Dörfern Kreuzweingarten, Rheder und KaIkar, in den Krieg einberufen worden.

20 Soldaten aus Kreuzweingarten und jeweils vier aus Rheder und KaIkar fielen im Krieg, die meisten auf den russischen Kriegsschauplätzen. Weitere 13 Soldaten galten als vermißt.

Die Ehrentafel für die Soldaten des 2. Weltkrieges auf dem Friedhof Kreuzweingarten weist fünfmal den Nachnamen Gemünd aus:

1941 Josef Gemünd, 1943 Johann Gemünd und Peter Gemünd, 1944 Michael Gemünd und unter den Vermißten Matthias Gemünd.

Das tragische Schicksal dieser Familie verdient eine genauere Betrachtung:

Die Familie Gemünd lebte in einem kleinen Haus im Oberdorf. 2 Das Ehepaar Peter Gemünd und Luzia Lingscheid hatte acht Kinder. Ihre älteste Tochter Gertrud wurde 1909 geboren. Im darauffolgenden Jahr der älteste Sohn Johannes. Dann folgte wieder eine Tochter, Agnes, geb. 1912. Ihr viertes Kind, Peter, verstarb als Säugling. Im Jahre 1918 wurde der nächste Sohn Joseph geboren, Michael 1920, Peter 1922 und Matthias 1925.


Stammtafel der Familie Gemünd


Zu Kriegsbeginn waren die ältesten drei Geschwister bereits verheiratet. 3

Johannes und Joseph Gemünd wurden schon zu Kriegsanfang einberufen.

Joseph starb als erster: am 15. November 1941. Er war in Rumänien verwundet worden und starb infolge eines Gehirnsteckschusses im Luftwaffen-Lazarett Bukarest. Er wurde auf dem Soldatenfriedhof "Pro Patria " in Bukarest beigesetzt. 4

Die Brüder Johannes und Peter fielen beide im Jahre 1943 in der UdSSR. Johannes am 6. Oktober 1943, Peter im nächsten Monat, am 27. November 1943, wie sein Bruder Joseph infolge eines Kopfschusses.

Johannes Gemünd hinterließ seine Frau und den siebenjährigen Sohn Peter.


Vater Gemünd als Kirchenschweizer.


Haus der Familie Gemünd in der Antweiler Straße (bis 1973)


Die Truppe des jüngsten Sohnes Matthias befand sich ebenfalls in Rußland. Matthias gilt seit dem 26. April 1944 als vermißt. Dies ist wohl das Datum seiner letzten Nachricht an die Familie. Über seinen Verbleib ist bis heute nichts bekanntgeworden, die Suche nach ihm blieb erfolglos.

Nur der Sohn Michael war noch geblieben. Von ihm war bekannt, mit wie vielen Ängsten er in den Krieg gezogen war, und nach jedem Heimaturlaub verschlimmerte sich seine Verfassung. Der Tod seiner Brüder wird sicherlich dazu beigetragen haben. Ob er wußte, daß sein jüngster Bruder als vermißt galt, bleibt fraglich. Doch auch ohne dieses Wissen ist sein Fluchtversuch im Mai 1944 nachvollziehbar. Michael entfernte sich von seiner Truppe und wollte wohl in die Heimat. Diese Fahnenflucht wurde am 11. Mai 1944 mit dem Tode bestraft. Am 2. Juni wurde der fast 24jährige Michael Gemünd in Konstanza/Rumänien "in Vollzug des Todesurteils " 5 erschossen.

Der Bericht Pfarrer Reinartz über das Kriegsende in Kreuzweingarten erzählt von einem weiteren tragischen Unglück, das auch an dieser Stelle erwähnenswert ist:

Am Weißen Sonntag, Anfang April 1945 hatten in den Abendstunden drei Jungen aus Kreuzweingarten "sich an die noch massenhaft in Feld und Wald umherliegende Munition gegeben, als ein Geschoss explodierte und alle drei schwer verletzte ". 6

Einer der Jungen, der 15jährige Clemens Kurth, starb noch in der Nacht an einer inneren Blutung, die man zunächst gar nicht erkannt hatte. Der 13jährige Alfons Benden, dem beide Hände abgerissen worden waren, "starb nach 8 Tagen bewußtlosen Tobens" 7

Der dritte Junge überlebte.


Anmerkungen

1) N. Reinartz, Das Ende, S. 1
2) heutige Antweilerstraße. Das Haus der Familie Gemünd stand an der Stelle, an der sich heute die Parkplätze an der Kirchenmauer befinden.
3) vgl. Stammtafel
4) Auskunft der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin
5) Auskunft Deutsche Dienststelle
6) N. Reinartz, Das Ende, S. 6
7) ebenda, S. 6


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


Texte und Veröffentlichungen Kreuzweingartens ©

Zurück zur Indexseite
© Copyright woengede