Sprachverhalten in Kreuzweingarten-Rheder |
Von Hermann Josef
Kesternich |
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- Zur Soziologie eines Dorfes
gehört auch die gesprochene Sprache, die allgemein als
Mundart oder Platt bezeichnet wird. Sie unterscheidet sich von
der Kunstsprache Hochdeutsch vor allem durch ihre Melodie und
häufig durch treffende Verbalisierung von Beobachtungen,
Vorgängen und Feststellungen, für die es im
Hochdeutschen keine entsprechende Vokabel gibt. Welchen
Stellenwert diese Sprache in einem Gemeinwesen hat, das in den
letzten 40 Jahren um mehr als das Dreifache der Bevölkerungszahl
zugenommen hat, sollte eine Befragung ergeben, die 1990/91
durchgeführt wurde. Um möglichst unkompliziert zu
Ergebnissen zu kommen, wurde ein Fragebogen erstellt, der den
Einwohnern bei Veranstaltungen oder Zusammenkünften aus den
verschiedensten Anlässen vorgelegt wurde. Nachteil dieser
Methode ist, daß nur solche Leute befragt werden, die
gemeinschaftsfördernden Angelegenheiten aufgeschlossen
gegenüberstehen. Diejenigen, die sich aus den
Dorfangelegenheiten heraushalten, konnten daher nicht befragt
werden. Wie aus dem Fragebogen ersichtlich, wurden durch die
Befragten auch Auskünfte über Personen erreicht, die
selbst nicht befragt wurden ( z. B. das Sprachverhalten der
Ehepartner, Kinder und Eltern). Die Abgabe der Fragebögen
erfolgte anonym.
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Geschlecht, Alter und Wohnzeit in
Kreuzweingarten und Rheder wurden neben den spezifischen Fragen
zum Sprachverhalten erfragt.
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Konkret befragt wurden die
Mitglieder und Mitarbeiterinnen des Seniorenclubs, die sich
regeImäßig treffen, Mitglieder des Schützenvereins
anläßlich ihrer wöchentlichen Zusammenkunft, die
Feuerwehrmänner, die den Martinszug organisiert hatten, die
Jugendlichen der Jugendschola und die Jungen und Mädchen der
Pfarrei während einer Freizeitaktivität in Jünkerath.
Da es viele Mehrfachmitgliedschaften gibt, sind alle Dorfvereine
gebührend repräsentiert. Vorteile des Verfahrens sind,
daß die Befragung relativ wenig Zeitaufwand erfordert und
daß man nicht der Gefahr erliegt, selektiv vorzugehen und
damit das Ergebnis bewußt oder unbewußt verfälscht.
Für die Kinder wurde ein eigener Fragebogen entwickelt.
Beide Fragebögen hatten gemeinsam die Fragen nach der
persönlichen Fähigkeit, Mundart zu verstehen und zu
sprechen. Eine weitere gemeinsame Frage war, welche
Familienmitglieder Platt beherrschen und mit welchen
Gesprächspartnern die Mundartsprecher sich der Mundart
bedienen. Um die persönliche Meinung zum Stellenwert der
Mundart überhaupt herauszufinden, wurden den Kindern die
Klischees von arm/reich, dumm/klug vorgesetzt, denen sie die
Mundartsprecher zuordnen sollten. Die Erwachsenen wurden gebeten,
ihre Einschätzung über eventuelle Vor- und Nachteile
für Mundartsprecher mitzuteilen.
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- Die Aussage, Mundartsprecher
zu sein, wurde zum Schluß überprüft: die
Teilnehmer hatten Wörter in die Mundart zu übertragen
bzw. aus der Mundart ins Hochdeutsche zu übersetzen. Die
Mundartwörter, die ins Hochdeutsche zu übertragen
waren, wurden mündlich artikuliert, so daß die Länge
der Vokale, ihre offene oder geschlossene Sprechweise den
Befragten vermittelt werden konnte. Dadurch wurde die sich ans
Hochdeutsche anlehnende Schreibweise eindeutig ergänzt und
definiert. Für die Erwachsenen waren es Begriffe, die im
Hochdeutschen kein entsprechendes Wort haben, sondern umschrieben
oder mit einem anderen Wort erklärt werden müssen. Bei
der Übertragung in die Mundart wurden an die Schreibweise
keine Kriterien gestellt. Wenn das Wort nach Klang bzw. in
Anlehnung an das Hochdeutsche geschrieben wurde, galt es als
richtig beantwortet.
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Nachdem die ausgefüllten
Zettel eingesammelt waren, wurde die " Übersetzungsarbeit"
mit den Befragten erläutert.
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1. Auswertung der
Fragebögen |
Insgesamt wurden 117
Personen im Alter zwischen 7 und 86 Jahren befragt, eine Zahl, die
etwa 10 % der Bevölkerung in diesen Altersstufen entspricht.
Es versteht sich, daß diese zehn Prozent nicht repäsentativ
sind für die Gesamtbevölkerung des Doppelortes, doch
lassen sich Tendenzen ablesen. |
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- Auffallend ist der hohe
Prozentsatz derer, die angeben, die hiesige Mundart zu.
verstehen; ebenso auffallend ist aber auch, daß die Kinder
und Jugendlichen dabei weit unter dem Durchschnitt liegen, eine
Tendenz, die sich bei den weiteren Fragen bestätigt.
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Es ist nicht ohne Reiz, die
Tabellen 3 und 4 (Fragen 2 und 4) gemeinsam zu betrachten, da sie
Auskunft geben über die Möglichkeit und Fähigkeit,
Platt zu sprechen:
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Frage 2: Spricht man
bei Ihnen/Euch zu Hause Platt? |

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- Die Fähigkeit, Dialekt
zu verstehen und zu sprechen, kurz Dialektkompetenz genannt, hat
nicht zuletzt etwas mit der Dauer der Ortsansässigkeit zu
tun. So geben die seit Geburt in Kreuzweingarten/Rheder wohnenden
Befragten sämtlich an, Mundart zu verstehen und zu sprechen.
Von den 16 Männern und Frauen, die angeben, nicht
dialektkompetent zu sein, wohnen 5 zwischen 1 und 9 Jahren, die
übrigen zwischen 14 und 33 Jahren hier.
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Der Prozentsatz der Familien, in
denen Platt gesprochen wird, ist bei Jungen und Mädchen
ebenso ausgewogen wie bei Männern und Frauen. Im Vergleich
zu den 71 % Mundartsprechern ist der Anteil der Familien, in
denen grundsätzlich oder manchmal Mundart gesprochen wird,
mit 74 % ebenfalls annähernd gleich. Es zeigt sich auch, daß
die Einschätzung, Mundart sprechen zu können, bei den
Männern und Jungen höher liegt als bei den Frauen und
Mädchen.
Die Tabellen 5 bis 7 ermöglichen,
das Sprachverhalten getrennt nach Altersstufen aufzuhellen. Die
Ergebnisse der Altersstufe 7-35 Jahre werden durch die unter dem
Durchschnitt liegende Mundartkompetenz der 7-15jährigen
beeinflußt. Geht man davon aus, daß diese Altersgruppe
vor allem durch Eltern und Schule ängstlich vor der Berührung
mit der Mundart abgeschirmt wurde, so ist das Ergebnis der
Befragung verständlich. |

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Tabelle 8 ist eine
Zusammenfassung der Fragen 5, 6 und 7 des Fragebogens für die
Erwachsenen. Sie gibt Auskunft über den situativen Gebrauch
der Mundart, m. a. w. mit wem die befragten Personen Mundart
sprechen bzw. sich der Standardsprache bedienen. (Bei der
Auszählung wurden nur die Fragebögen der Gewährspersonen
berücksichtigt, die für sich Mundartkompetenz
beanspruchten.) |

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Die Antworten auf
die Frage 6 des Kinderfragebogens sagen aus, daß 9 Kinder
mit dem Vater Mundart sprechen, 10 mit der Mutter, 4 mit den
Geschwistern, 8 mit Freunden, 3 mit Onkel oder Tante, 2 mit den
GroßeItern, 1 mit den Nachbarn. Mit Leuten, die nicht Platt
sprechen (Frage 7), sprechen 9 Kinder nicht Mundart, 6 manchmal;
beim Kaufen sprechen zwei Kinder Mundart, die übrigen nicht.
Mit Klassenkameraden sprechen 7 manchmal Mundart und 7 nicht. |
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- Während der
Erwachsenenbogen die Gewährspersonen über den
Stellenwert der Sprache in der Gesellschaft befragte, sollten die
Kinder über die Mundartsprecher selbst eine Aussage machen:
26 Erwachsene betrachten das Sprechen von Mundart als
gesellschaftsfähig, 61 halten die Mundart für ihre
Muttersprache, niemand hielt Mundart für die Sprache von
Ungebildeten. -
4 Kinder meinten, Leute, die
platt sprechen, wären eher dumm, 8 arm. 15 Kinder vertraten
die Ansicht, Mundartsprecher seien klug, 3 reich. Bei dieser
Frage waren zwei Möglichkeiten zum Ankreuzen gegeben; einmal
wurde kommentiert "Platt sprechen hat mit diesen Wörtern
nichts zu tun: je einmal wurden alle vier Adjektive
angekreuzt bzw. jedes Adjektiv mit Fragezeichen versehen.
Die
Meinung der Erwachsen über Vor- und Nachteile für
Mundartsprecher in Schule, Beruf und Öffentlichkeit:
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2. Folgerungen aus
den gewonnenen Erkenntnissen |
- Unter Berücksichtigung
der eingangs erwähnten Vorbehalte (Fragebogen wurde nur von
Gewährspersonen ausgefüllt, die am dörflichen
Gemeinschaftsleben teilnehmen, nur 10% der Gesamtbevölkerung
wurden gefragt) können Tendenzen zur Dialektkompetenz, zum
Sprachgebrauch nach Alter und Geschlecht und zu den
Sprechpartnern gemacht werden.
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Dialektkompetenz besitzen
vornehmlich im Ort oder in der näheren Umgebung Geborene.
Lange Ortsansässigkeit ist nicht immer ein Kriterium für
die Beherrschung des Ortsdialekts. Geschlechtsspezifisch kann
festgestellt werden, daß Männer/Jungen gegenüber
Frauen/Mädchen in der Dialektkompetenz einen leichten
Vorsprung haben.
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Die Ergebnisse der verschiedenen
Altersstufen zeigen deutlich, daß die schulpflichtigen
Kinder weit unter Durchschnitt Mundart verstehen und sprechen.
Die Dialektkompetenz der übrigen Altersstufen liegt bei fast
vier Fünfteln der Befragten.
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In diesem Zusammenhang ist der
Widerspruch zu sehen, daß fast zwei Drittel der Männer
und Frauen, aber nur ein Fünftel der Kinder angeben, daß
bei ihnen zu Hause Platt gesprochen wird.
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Ob der Mundartsprecher seine
Zweisprachigkeit ausspielt, hängt von verschiedenen Faktoren
ab, die mit den von M. Grömping in Mutscheid gemachten
Erfahrungen übereinstimmen :
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- Bei einer funktionalen
Verteilung von Dialekt und Standardsprache ist der
Dialektgebrauch der ,zweisprachigen' Dialektsprecher durch
folgende Merkmale gekennzeichnet :
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- dialektale Sprechweise des
Gesprächspartners;
- Privatheit, Informalität; -
vertraute Umgebung. -
Für die Wahl der
Standardsprache sind folgende Merkmale bedeutend:
-
hochsprachliche Sprechweise des Gesprächspartners;
-Fremdheit; - Distanz zum Wohnort; - funktionales
Beziehungsverhältnis. 1
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Es ist
schwierig, eine Prognose über die Zukunft der Mundart in
Kreuzweingarten/ Rheder zu machen. Einerseits werden die Neubürger
nur selten Zugang zum Ortsdialekt finden und der Trend der Eltern,
mit ihren Kindern Standardsprache zu sprechen, wird sich
fortsetzen. Andererseits sind gerade Jugendliche an Musikgruppen
aus dem Kölner Raum interessiert, die vornehmlich
Mundarttexte singen. Doch bringt dieses Interesse die Gefahr mit
sich, daß die Ortsmundart von fremden Dialekten überlagert
wird.
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- 1) M. Grömping: Dialekt
und Standardsprache in einem Eifeldorf
-
in: Volkskultur an Rhein und Maas
1/90, S. 33
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Entnommen: 1100 Jahre
Wingarden - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993 |
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