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650 Jahre Stadt Euskirchen
1302 - 1952
Festschrift zum Stadtjubiläum



Reiner Keller
Beziehungen Euskirchens zu den Landschaften zwischen Börde und Eifel


Der verschiedene Inhalt der Börde- und Eifellandschaften hat auch im Wirtschaftsleben der Stadt Euskirchen einen Niederschlag gefunden. Von den beiden hervorragenden Industriezweigen der Stadt Euskirchen basiert die Zucker- und Konservenindustrie mit ca. 350 Beschäftigten (1949), - nur die Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten wurden erfaßt - auf dem bedeutenden Zuckerrübenanbau in der Börde. Der zweite wesentliche Industriezweig, die Textilindustrie mit ca. 900 Beschäftigten, geht in ihren Anfängen auf die Wolle der ausgedehnten Eifeler Schafzucht zurück. Außerdem ist die Tonindustrie, deren Zentrum in der Antweiler Senke schon beschrieben wurde, in der Stadt Euskirchen mit ca. 200 Beschäftigten vertreten und die Metallindustrie mit ebenfalls 200. Alle anderen Industriegruppen (Chemie, Glas, Papier, Holzverarbeitung, Lebensmittel-Industrie) haben in der Stadt Euskirchen nur eine kleinere Kapazität.

Es zeigt sich demnach besonders in den Hauptindustrien die enge Beziehung der Stadt Euskirchen zur Börde und zur Nordeifel. Die Zuckerindustrie faßte im Jahre 1879 durch die Firma Pfeifer & Langen in Euskirchen Fuß. Gleichzeitig wurde im Kreise Euskirchen der Zuckerrübenanbau eingeführt, und heute ist der Kreis Euskirchen eines der bedeutendsten Zuckerrübenanbaugebiete der Rheinlande.


Die Euskirchener Zuckerfabrik ist für eine Verarbeitung von täglich 20.000 dz Zuckerrüben eingerichtet. In der Kampagne 1950/51 wurden an 112 Tagen 2,3 Mill. dz Rüben verarbeitet. Dazu sind große Wassermengen erforderlich, und es fallen fast ebenso große Abwassermengen an. Die Abwasser der Fabrik werden in der großen Euskirchener Erftniederung in neuester Zeit auf etwa 110 ha ungedräntes Grünland gebracht (H. Billib, 1952). Infolge des hohen Dungwertes dieser Abwasser steigen die Grünlanderträge erheblich an. Wenn sich diese Maßnahmen auf die Dauer bewähren, dann ist nicht nur eine vorbildliche Abwasserreinigung gelungen, die im wasserarmen Erftgebiet von großer Bedeutung ist, sondern es würde auch die Futterbasis in dem grünlandarmen Euskirchener Land merklich verbessert.


Die Tuchindustrie hatte in früherer Zeit an der oberen Erft in und um Münstereifel ihr Zentrum. Im Münstereifel bestand schon im Jahre 1339 eine Wollenweberzunft. Die Mönche des im Jahre 1618 gegründeten Kapuzinerklosters förderten dieses Gewerbe sehr und versorgten den ganzen Orden mit selbstgefertigten Tuchen (M. Schneider, 1948). Mit der Aufhebung der geistlichen Niederlassung in Münstereifel durch Napoleon erhielt auch die Tuchindustrie an der oberen Erft einen schweren Rückschlag, während Euskirchen mit seiner günstigeren Verkehrslage mehr und mehr das Erbe der alten Münstereifeler Industrie übernahm. Insbesondere als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Textilindustrie einen großen Aufschwung nahm und der gleichzeitige Rückgang der Eifeler Schafzucht den Bezug ausländischer Wolle notwendig machte, war es für das verkehrsmäßig günstiger gelegene Euskirchen leichter, sich auf Importwolle umzustellen. Nach M. Schneider stammten um 1870 etwa 70 % der in Euskirchen verarbeiteten Wolle aus den Kap-Kolonien. Diese eignete sich infolge ihrer guten Filzfähigkeit und Haltbarkeit besonders zur Herstellung von Militärtuchen - ein Erzeugnis, das Euskirchen viele Jahrzehnte hindurch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht hat. Zur Herstellung von Ziviltuchen bevorzugte man Wolle aus Argentinien. Heut hat sich die Industrie mehr und mehr auf die Herstellung von Ziviltuchen mit meist feinsten Kammgarn- und Streichgarnstoffen umgestellt.

Die Textilindustrie und die meisten anderen Industrieunternehmen bevorzugen die Lage am Veybach, an der Erft oder östlich der breiten Erftniederung am Mühlenbach. In früheren Zeiten mag dazu die Versorgung mit Wasserkraft und die Wasserversorgung überhaupt Anlaß gegeben haben. Heute spielt vielfach noch die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung eine Rolle, während die Wasserkraftversorgung durch Elektrizität und Wärmekraftmaschinen ersetzt wurde. Am Mühlenbach liegen von Stotzheim über Kuchenheim bis Großbüllesheim Fabriken und Mühlen aufgereiht. Die Textilindustrie allein beschäftigt in diesen Orten mehr als 450 Arbeiter, und die Papierindustrie, die im Rheinland sehr oft mit der Textilindustrie verbunden ist, weil sie neben Holz und Stroh auch Abfallstoffe der Textilindustrie verarbeitet, beschäftigt in diesen Orten etwa 250 Arbeiter. Andere Papierfabriken, die in erster Linie auf Stroh als Rohstoff basieren, liegen in Sinzenich und Zülpich.


In früherer Zeit hatte auch die Lederindustrie in Euskirchen Bedeutung (Zimmermann, 1926). Es kamen die aus dem Viehbestand der näheren und weiteren Umgebung anfallenden Häute zur Verarbeitung. Als Gerbstoff diente hier, wie z.T. heute noch in den kleineren Gerbereien der zentralen Eifel (Prüm, Waxweiler, Bitburg u.a.), Eichenrinde, die in Euskirchen aus den zahlreichen Lohschälereien des Erftquellgebietes stammt. Im Jahre 1864 wurden inder Gerberstraße in Euskirchen noch 14 Gerbereien betrieben. Heute bestehen größere Unternehmen dieser Branche im Kreisgebiet nur noch in Flamersheim (Ledererzeugung), in Obergartzem und Zülpich (Lederverarbeitung) und zwei kleinere Gerbereien in Münstereifel. Der Rückgang dieses einst blühenden Industriezweiges wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Einfuhr des südamerikanischen (argentinischen) Quebrachoholzes als Gerbstoff veranlaßt.

Die blühende Euskirchener Industrie war vor etwa 20 Jahren von einer schweren Krise bedroht, als die Wasserversorgung Schwierigkeiten machte. Weniger die Wassermengen als vielmehr die Wasserqualität, an die besonders die Textil- und Ledererzeugung sowie die Papierindustrie hohe Anforderungen stellten in Bezug auf geringe Härten, Eisen- und Manganfreiheit, war nicht mehr ausreichend. Der Veybach hatte immer schon mehr als 10 deutsche Härtegrade, da er aus der Sötenicher Kalkmulde wesentliche Wassermengen erhält. Durch den Mechernicher Bleiberbgau und durch die allgemeine Wassernutzung am Ober- und Mittellauf des Veybaches wurden diesem so viele Abwasser zugeführt, daß im Mündungsgebiet bei Euskirchen eine lohnende Aufbereitung nicht mehr durchführbar war. Stadt und Kreisbehörden von Euskirchen entschlossen sich zwecks Behebung der Wassernot zu einer für die weitere Entwicklung der Industrie bedeutsamen Maßnahme, zum Bau von Talsperren.


In der Schiefereifel südöstlich von Euskirchen ist für Talsperren ein günstiges Gelände, da die geologischen Verhältnisse nur geringe Wassermengen dem Sicker- und Grundwasser zuführen. Außerdem bieten der nährstoffarme Boden und das kalkarme Gestein ein für die Euskirchener Industrie außerordentlich günstiges Wasser mit weniger als 5 deutschen Härtegraden (Keller - Haffennegger, 1951). Die Talsperren machen ferner die Wasserversorgung der Industrie von den klimatisch bedingten Schwankungen des Fluß und Grundwassers unabhängiger, insbesondere von den betriebshemmenden Einwirkungen der Niederigwasserzeiten.

Die Steinbachtalsperre, die 1936 erbaut wurde mit einem Stauraum von 1,2 Mill. cbm, bewahrte die wirtschaftliche Entwicklung Euskirchens und einiger nachbarorte vor ernsten Rückschlägen. Eine weitere Talsperre, die Madbachtalsperre, mit einem Fassungsvermögen von 300.000 cbm, sollte zunächst der Berieselung von Ackerflächen bei Kuchenheim dienen. Vorläufig steht dieses Wasser aber noch vollständig der Versorgung von Bevölkerung und Industrie zur Verfügung.

Die Erftlandschaften gehören zu den wasserärmsten Flußgebieten Westdeutschlands. Nichts könnte das besser kennzeichnen als die Tatsache, daß aus der Geißenbachtalsperre (340.000 cbm Stauinhalt), die die jüngste Talsperre des Euskirchener Gebietes ist, Wasser aus dem Flußgebiet der Ahr über die Wasserscheide durch Rohrleitungen in die Steinbachtalsperre geleitet wird.

Die Wirtschaftsgeographie des Euskirchener Landes zeigt beispielhaft, daß zu den natürlichen Bedingungen die Tatkraft der Menschen und ihr Pioniergeist hinzutreten müssen, um eine leistungsfähige Wirtschaft zu schaffen und zu erhalten. Um die Industrie gruppieren sich zahlreiche Unternehmen von Handel und Gewerbe, und so wurde die Stadt Euskirchen auch zu einem Einkaufszentrum für das Euskirchener Land und für die Zentraleifel. Von der 55 km entfernten Industrie- und Eisenbahnsiedlung Jünkerath kommt man nicht nur zum Einkauf, sondern auch zu den Schulen nach Euskirchen. Die zentralen Funktionen der Stadt wurden wesentlich gefördert durch die Durchbruchtäler, denen Straßen und Eisenbahnen folgen, durch die Euskirchener Kreisbahn, die Industrie und Bevölkerung in der Antweiler Senke, im Zülpicher Land und in der Börde an die großen Verkehrslinien anschließen, und durch die Bahnlinie Bonn - Meckenheim - Rheinbach - Euskirchen - Düren - Aachen, welche die Stadt am Nordrand der Eifel verbindet.



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Edition H.K. September 2002




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