Das
Ende
Von Pfarrer Nikola Reinartz
4.8.54
6. Nikola Reinartz Fahrt zu
seinem Elternhaus Kall-Heistert und die dortigen Nöte.
Vigil von Peter und Paul. Endlich ist es mir möglich geworden, die Heimat zu besuchen mit einer Ermächtigung von dem amerikanischen und dann englischen MG und dem von unserm Quartiergast Frau Engels gestifteten Benzin. Der offizielle gebilligte Grund war: to see to the farmhouse of his parentage and to help the wounded peoples. Es war allerdings ein furchtbares Bild der Zerstörung, das meine Geburtsort bot. Mein Elternhaus und Billas lagen platt am boden; es kostete mich Mühe, mich in dem Trümmerhaufen zurecht zu finden; ein Wunder das die Familie Matthei mit dem Leben davon gekommen war, da der sorgfältig abgestützte gewölbte Keller gehalten hatte trotz der Risse im Mauerwerk. Leider war Pünders Keller nicht abgestützt worden, obwohl das Holz bereit gelegen hätte, so sind denn zwanzig tote unter den Trümmern begraben worden und noch sollen nicht alle gefunden worden sein. Kätchen mein Patenkind soll erst nach ein paar Tagen gefunden worden sein. Der Tag des Unglücks ist der Sonntag nach Dreikönigen gewesen; die Tageszeit gegen ½ 12 Uhr. Am Morgen sind alle von der Familie zur Hl. Kommunion gegangen. Auch sonst bietet Heistert wohl das vollständigste Bild der Zerstörung dar, das ich sah. Die Kapelle steht noch, von den alten Familienstammhäusern Tümmler und die Front von Huttenjans. Frau Pauly und Assmann sollen noch in Rolandseck sein; von Erhard hörte ich lieder nicht viel Gutes. Er soll seinen Trost im Alkohol gesucht haben und ein betrunkener Mund spricht seines Herzens Grund: Ich bin ein fieser Nazi und bleib einer. In Kall habe ich dann die Exequien für Hubert Schlemmer bestellt, dessen Todesfall am Tage nach seiner Einlieferung in die Heil- und Pflegeanstalt 3. bzw. 4. Januar war, wie wir nach vielen Bemühungen erst jetzt in Erfahrung brachten.
Weiterhin besuchte ich noch die Familie in Lückerath und Kommern. Ich hatte eine gute und eine böse Nachricht zu überbringen. Die gute war die Befreiung von Hermann Pünder, die ich Sonntag den 17. ds. Monats gleich zu Beginn der Sendung der BBC für Katholiken vernommen hatte, wo gesagt wurde, daß H.P. aus dem KZ Dachau durch die Amerikaner befreit worden sei und von Capri aus vom Hl. Vater in Audienz empfangen worden sei. Damit war ein Gegenstand schwerster Sorge von mir genommen, da ich von Weihnachten an ohne Nachrichten über H. War und mir jeder auch der schlimmsten Todesart rechnen mußte. Und die böse Nachricht! Als im Dezember v. J. die Offensive im Westen begann und wir damit rechnen mußten, daß die Entscheidung diesseits des Rheines fallen werde, glaubte ich, unsere Familienakten, die alten Schöffenbücher, die Unterlagen für meine Arbeiten, Totenzettel und die Originaltafeln über den Rhein in Sicherheit bringen zu sollen und hatte sie an zuverlässige Familien in Mühleip, meiner frühern Stelle in drei Kisten gesandt. Nach langer Ungewißheit erhielt ich nun die Mitteilung, daß von den drei Kisten nur eine aus den Flammen bei den Kämpfen in Lindscheid gerettet worden sei. Ein Munitionswagen, der trotz der Bitten der Frauen des Dorfes in eine Scheune gestellt worden war, ging in Brand, zwei Scheunen und das Wohnhaus der Familie Limberg wurde eingeäschert und die unersetzlichen Werte, die zwei, drei und mehr Jahrhunderte überdauert hatten, eine Arbeit von zwei Jahrzehnten, alles war vernichtet. Auch eine Kiste mit dem nötigsten Bettzeug und Wäsche, die ich für den Fall der Räumung hierselbst hinübergeschickt hatte, war mitverbrannt. Erhalten geblieben sind nur das gedruckte Quellenmaterial für meine Arbeiten, das allerdings auch wertvoll ist und die Vorarbeiten, die in der zweiten Kiste sich befanden. Es tut mir sehr leid um das mir zu treuen Händen überlassene Aktenmaterial der Familie, mienen persönlichen Verlust will ich als mein Kriegsopfer zur Sühne tragen. Ein Glück ist ja, daß etwa ein halbes Dutzend Kopien der Tafeln angefertigt wurden, die in den Händen der Familie wohl erhalten geblieben sind, wenngleich die zahlreichen Nachträge des Originals endgültig verloren sind.
Das Ende
des Naziregimes - Ein unveröffentlichter Bericht von Pfarrer
Nikola Reinartz
Texte
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