Das Ende
Von Pfarrer Nikola Reinartz † 4.8.54


8. Das Ende des Krieges, Dankesprozession und „Vergelt's Gott“

Das abgelaufene Jahr stand einerseits unter dem Zeichen der Schrecken des zu Ende gehenden unglücklichsten aller Kriege und dessen furchtbaren Folgen, andererseits der Befreiung der Kirche von der Gefahr der völligen Unterdrückung durch Nazi-Tyrannei.

Nach der Dezember-Offensive im Westen wurde die Lage hierselbst immer kritischer. Die Zahl der bei uns vor den feindlichen Bomben angegriffen Schutz und Obdach suchenden Flüchtlinge wuchs immer mehr an. Die Kreisverwaltung hatte bereits seit Oktober Dienststellen in das Jugendheim verlegt. Wir selber standen andauernd unter der Androhung der Evakuierung. Der Gottesdienst konnte bei den Tag und Nacht andauernden Fliegerangriffen nur ganz unregelmäßig stattfinden; vielleicht mußten Abendmessen eigelegt werden.

Doch blieben uns die Verwüstungen des Krieges in größerm Umfang erspart. Am 13. Januar wurde das Dach und die Abschlussmauer des Chores der Pfarrkirche von Tieffliegern an zahlreichen Stellen beschossen, doch ohne größern Schaden anzurichten. Am 2. März forderte ein Luftangriff ein Opfer in der Zivilbevölkerung, machte zwei Häuser unbewohnbar und beschädigte andere. Bei dem Endkampf am 5. März erlitt der Turm der Rhederer Kapelle Schaden, wie auch die sinnlose Sprengung der Brücke über den Mersbach, Wohnhäuser, Dächer und Fenster in Mitleidenschaft zog. Mit dem Einrücken der amerikanischen Panzer Dienstag vormittags, den 6. März in Weingarten hatte der Krieg für uns sein Ende gefunden und konnten die meisten von uns nach langer Zeit zum erstenmal wieder sich ungestört zur Ruhe begeben. Der folgende Sonntag Lätare war so recht geeignet, um Gott für die Abwendung der von einem wahnsinnigen Kommando noch in letzter Stunde drohenden Gefahr von ganzem Herzen Dank zu sagen. Ebenso fand eine Dankprozession am Palmsonntag zu dem Kreuz auf dem Burgberge unter großer Beteiligung der Pfarrgemeinde statt.

Der Kampf war zwar zu Ende, aber die Folgen des verheerenden Krieges machten sich schwer fühlbar. Auf berechtigte Beschwerden der Bevölkerung über Drangsalierung und Plünderung mußte man immer wieder hören: „das haben ja Deutsche uns vorgemacht.“ Eine nicht geringe Bedrohung der wehrlosen Bevölkerung waren in den folgenden Monaten die fremden Zwangsarbeiter, welche die Passanten auf offener Straße anfielen, ja am hellen Tage in abgelegene Wohnhäuser raubend und plündernd eindrangen. Allmählich besserten sich jedoch die Verhältnisse, Ruhe und Ordnung kehrten wieder ein. Das anfänglich sehr strenge Ausgehverbot wurde wesentlich gemildert, für die Weihnachtsfeier ganz aufgehoben. Es gab wieder Licht und elektrischen Strom, die Verdunkelungsvorschriften wurden hinfällig, sogar die Straßenbeleuchtung kam gegen Ende des Jahres wieder. Post und Verkehr hoben sich wieder und endlich, aber endlich kamen auch einer nach dem andern teilweise nach harter Gefangenschaft Soldaten heim und trafen auch immer mehr Nachrichten von den noch zurückgehaltenen *) ein. Und es steht zu hoffen, daß die peinigende Ungewißheit über das Los der andern bald schwinden wird, da nun ja auch die in russischer Gefangenschaft befindlichen ihren Angehörigen schreiben dürfen.

So haben wir allen Grund, Gott für seine gnädige Führung im abgelaufenen Jahre von herzen zu danken, zumal wir es ja auch so eindrucksvoll erleben durften, wie wieder einmal der Ansturm der Hölle wider den Felsen der Kirche zu nichte geworden ist. Die dem Kinde nach dem Leben trachtenden sind nicht mehr. Wir erfreuen uns wieder religiöser Freiheit. Die kirchlichen Feiern wie Ostern und Frohnleichnam konnten wieder wie von altersher zur Freude der Pfarrgemeinde gehalten werden, auch die Prozession nach Münstereifel und Michelsberg. Zu einer außerordentlichen Glaubenskundgebung und Willenskundgebung gestaltete sich die feierliche Übertragung des ehrwürdigsten Zeichens des Christentums, der heiligen Kreuzes in die Schule an unserem Pfarrfeste Kreuz-Auffindung. Es war ein sonnig warmer Maientag. Die allgemeine Festfreude fand ihren Ausdruck in der Beflaggung der Häuser, wo anstelle des blutrünstigen Hakenkreuzes wieder die alten prächtigen Fahnen und Fähnchen in buntem Farbenwechsel erschienen, in dem Schmuck das Schulgebäudes und der großen Beteiligung an der Prozession, in welchen hinter dem das Kreuz tragenden Pfarrer die Gemeindevorstände schritten. In der Schule angekommen, nahmen diese das Kreuz wieder in Empfang und erhielt dasselbe nach sechsjähriger Entfernung aufs neue seinen alten Ehrenplatz. Die bedeutsame Feier wurde eingerahmt von Vorträgen der Schulkinder und Darbietungen des Kirchenvorstandes und schloß mit Te Deum dem sakramentalen Segen in der Kirche. Auf konfessioneller Grundlage wurde dann auch alsbald der so dringend erforderliche Schulunterricht zunächst Dank der Bereitwilligkeit der Lehrpersonen fakultativ dann auf Anordnung der Schulbehörde obligatorisch.

Auch die von den Nazis gesperrte und arg geplünderte Borromäusbibliothek konnte wieder eröffnet werden und fand dankbaren Zuspruch.

Im neuen Jahre werden uns noch manche und harte Entbehrungen auferlegt werden, die uns heiligen können, wenn wir sie inder Nachfolge des Kreuztragenden Heilands auf uns nehmen. Die größten Schäden an den Wohnhäusern sind jedoch bereits beseitigt und günstige Witterung hat die Bestellung der Wintersaaten gefördert. So wollen wir denn mit christlicher Geduld, Mut und Gottvertrauen weiter an die Arbeit gehen. Mit Gottes Hilfe werden vereinte Anstrengungen und die nun nicht mehr gehinderte harmonische Zusammenarbeit von Kirche und Gemeinde auch schwierige Aufgaben wie die Beseitigung von Notständen, Flüchtlingsfürsorge, Jugenderziehung erfüllen.

An Gottes Segen ist freilich alles gelegen. Darum wird die vordringlichste Aufgabe des nächsten und der kommenden Jahre sein, die Beseitigung der tiefgreifenden Schäden auf religiös-sittlichem Gebiete durch die sechs Jahre Krieg und die vorhergehenden 6 Jahre neuheidnischer Propaganda, die Neubelebung des christlichen Geistes in Familien und Volksleben, die Zurückführung aller in den wirren und wilden Strudel des krieges hineingerissenen zu einer christlichen Tages- und Lebensordnung, die Wiedergewinnung der abseits Stehenden, kurz das „eine Notwendige“. Ob eine allgemeine Mission in diesem Jahre möglich sein wird, ist ja fraglich. Jedenfalls wollen wir baldmöglichst mit religiösen Wochen oder Einkehrtagen für die einzelnen Stände beginnen. Eine wesentliche Bedeutung werden mehr noch wie in der Vergangenheit die kirchlichen Standesvereine oder Kongregationen gewinnen. Nachdem ihre Entfaltung im Kriege und schon vorher vielfach gehemmt war, wird jetzt wieder die Möglichkeit geboten werden, durch Heranziehung auswärtiger Kräfte und durch Anschluß an Bruder und Schwestervereine ihre segensreiche Tätigkeit neu zu beleben. Eine Neuwahl der Vorstände dürfte allgemein zu empfehlen sein. Zum Schlusse darf ich es nicht unterlassen, allen denen, die auch im verflossenen Jahre wieder in so freigebiger Weise kirchliche und charitative Zwecke unterstützt haben - es sei dabei auch besonders unserer auswärtigen Gäste gedacht - ein herzliches „Vergelt's Gott“ zu sagen.

*) unleserliche handschriftliche Anmerkung Reinartz (ließen im Ganzen nach)?

Das Ende des Naziregimes - Ein unveröffentlichter Bericht von Pfarrer Nikola Reinartz
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