HÖRZU zu Besuch in Woengede

Ich will zu Fuß nach Kölle gehen

HÖRZU MAGAZIN - Nr. 23 vom 31. 5. 2002


Auf den Spuren antiker Ingenieure: HÖRZU-Reporter Walter Karpf wanderte entlang des Römerkanals gen Rhein


Der Abschied vom Alltag vollzieht sich in drei Schritten. Zuerst mal meldet sich das Handy ab: „Netzsuche“. Ich bin allein mit der Natur. Dann beginnen die Füße zu schmerzen. Das lässt auch die Landschaft in den Hintergrund treten. Und schließlich kommen die Lieder, kleine Tonfolgen, oft verschüttet seit Kindertagen, die sich hartnäckig im Rhythmus der Schritte wiederholen und bald selbst diesen Rhythmus vorgeben: „Sag, wer mag das Männlein sein, das da steht im Wald allein, sag, wer mag ...“ - jetzt ist das Ziel erreicht. Der Wanderer und das Wandern sind eins geworden, ein magischer, meditativer Zustand. Ich bin angekommen ...

Aufgebrochen bin ich in Nettersheim in der Eifel, „Römerkanal-Wanderweg“ heißt meine Route. 110 Kilometer bis Köln - und immer verbunden mit großer Geschichte: Um das Jahr 100 nach Christus haben hier römische Legionäre eine der längsten Fernwasserleitungen des römischen Imperiums gebaut: 95,4 Kilometer lang (der Wanderweg führt nicht immer parallel und ist etwas länger), frostsicher in die Erde gelegt, Täler wurden per Aquädukt überbrückt, Wasserscheiden überwunden. Die Leitung ist eine der großen Ingenieurleistungen der Antike.

Ein Fest für das Auge: blühender Raps am Weg zwischen Nettersheim und Mechernich

Eine Holztafel am Weg ruft zur inneren Einkehr. Als ob die Natur nicht herrlich genug wäre ...

Fernsicht: Bei Kottendorf kann der Blick weit über die sanften Hügel der Eifel schweifen

Zeitzeichen am Wegesrand: ein steinernes Kreuz im Wald und ein Teil des römischen Aquädukts - willkommener Anlass zur Rast

Nur kein gepolstertes Pflaster!

Damals hatte die heute so verschlafene Nordeifel noch weltpolitische Bedeutung. Denn ohne das exzellente Trinkwasser aus ihren Wäldern hätte das römische Imperium die Stadt Köln, Hauptstadt der Provinz Niedergermanien, nicht halten können. 20.000 Kubikmeter am Tag strömten in die Stadt, fast 200 Jahre lang, bis ums Jahr 300 fränkische Terroristen die Leitung irgendwo im Wald zerstörten. Aus war's fürs Erste mit dem römisch-kölschen Klüngel. Später übernahm der Papst aus Rom und sandte seinen Bischof Maternus, Köln wurde katholisch.

Nach etwa 15 Kilometern stellen sich beim Gehen die ersten Wehwehchen ein. Nichts Schlimmes: Eine Ferse beginnt zu drücken - sofort mit einfachem Leukoplast abkleben. Gepolstertes Pflaster macht die Sache nur noch unangenehmer. Der Rücken schmerzt - nur die Gurte vom Rucksack korrigieren und schon ist's wieder gut. Und doch: Als ich mich am Abend im Gasthof zum Essen hinsetzte, komme ich hinterher kaum wieder hoch, stocksteif und voller Muskelkater. Wie freue ich mich da auf ein schönes, weiches Bett!





Auch das Gehirn findet Ruhe

Gerade hier, zwischen Mechernich und Lessenich, ist die Landschaft zauberhaft. Der Waldweg weich, wie gemacht zum Gehen. Durch den Mischwald scheint die Sonne und zeichnet bewegte Flecken auf den Boden. Keine Pause jetzt: Eine leichte Steigung ist geschafft, der Körper ein- und warmgelaufen wie ein Diesel.

Ein neues Lieder huscht vorbei: „Isch mööt zu Fooß nach Kölle jon“, ins Hochdeutsche übersetzt, „ich möchte zu Fuß nach Köln gehen“, die Heimweh-Hymne der Domstädter - und so etwas wie das Motto dieser Tour.

Ob andere beim Wandern auch solche Erfahrungen machen? Lieder klingen mir in den Ohren und geben meine Schritte vor, alte Freunde tauchen auf, an die ich seit Jahren nicht gedacht habe. Oder ich schreibe Briefe, fertig formuliert, inklusive Datum und Anrede - alles nur im Kopf. Ob der Körper sich damit in Trance versetzt, um die Anstrengung zu verleugnen? Vielleicht ist es nur ein Zeichen, dass auch das Gehirn endlich Ruhe vor dem alltäglichen Kleinkram findet.

Hektisches Hufgetrappel schreckt mich auf, als ich in der Abendsonne am Waldrand hinter Flamersheim entlanggehe. Die Reiterin auf ihrem scheuen Tier sagt: „Könnten Sie sich bitte umdrehen, mein Pferd hat solche Angst vor Ihrem roten Rucksack. Komm, Schatz, der Rucksack tut dir doch nichts.“ Wenn du wüsstest, Pferd, was ich für meinen Rucksack gegenwärtig empfinde: 7,5 Kilo nur, plus das Gewicht von Kamera und Wasserflasche, die schmeißt man sich morgens noch mit einer Hand auf den Rücken. Aber nach allem bergauf und bergab im Lauf des Tages wird das Ding immer schwerer. Und nach der letzten Rast am späten Nachmittag streift man sich die Gurte lieber im Sitzen über.




Wenige Kilometer unterhalb von Nettersheim beginnt der Römerkanal-Wanderweg und führt über 110 Kilometer an einer der längsten Fernwasserleitungen des römischen Imperiums entlang nach Köln. Ein Vorteil: Fast immer sind ein Dorf oder eine Straße in der Nähe - wer Blasen an den Füßen hat, kann den Marsch jederzeit abbrechen. Leider ist der Anteil asphaltierter Wegstücke recht hoch, auch ist der Weg nicht immer gut ausgezeichnet - eine Wanderkarte empfiehlt sich: 14,20 € beim Eifelverein (Tel. 02421 - 131 21)

Römerkanal

Es ist eine uralte Kulturlandschaft, die ich durchwandere. Hügelig, von Wegen durchzogen. Vor 6000 Jahren schon haben sie in Nettersheim den Wald gerodet und Felder bebaut, im Jahrhundert vor Christi Geburt Eisenerz gefördert.

Der Ringwall von Kreuzweingarten stammt aus dem ersten Jahrhundert vor, der Heidentempel aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus.

Bei jeder Scherbe am Ackerrain überlege ich, ob sie vielleicht aus der Römerzeit stammt - im Zweifel ist es doch nur moderner Bauschutt.

Alte Lieder und Erinnerungen an die Kindheit: HÖRZU-Reporter Walter Karpf


Auf den Spuren der Römer





Der Weg wird flacher. Hinter Rheinbach gibt es zwei Wanderstunden lang nur brettebene Felder und eisenharte Asphaltwege. Die Füße schmerzen, in mir wächst Ärger: Ich hätte für diesen Abschnitt ein Taxi nehmen sollen. Wandern soll Vergnügen sein, nicht Qual. Kurz vor Buschhoven setze ich mich auf eine Bank unter einen alten Baum und lege die Füße hoch. „Alina + Klaus“ haben sich hier mit Herzchen eingeschnitzt. Auch „Patrik + Vanessa“. Soll ich „Walter“ in der Bank schnitzen? Nö, lass ich bleiben.

Der Kottenforst oberhalb von Bonn gehört zu den schönsten Abschnitten des Römerkanal-Wanderwegs. Es beginnt zu regnen, aber alte Laubbäume halten die Tropfen für eine Weile ab. Die Wasserleitung ist hier nur noch als Rinne erkennbar, denn nach ihrer Zerstörung wurde sie nie mehr neu in Betrieb genommen. Stattdessen diente sie als Steinbruch, Häuser Kirchen und Klöster wurden aus ihrem Material gebaut. Die ganze Gegend hier ist den Römern zu Dank verpflichtet.

Den Rhein kann ich nicht sehen, als ich bei Bornheim wieder aus dem Wald ins Freie komme, denn es regnet noch immer. Ein paar Kilometer noch, dann beschließe ich, ein kluger Wanderer zu sein und nicht ganz bis nach Köln zu laufen. Bei Brühl steige ich ins Rheintal ab und setze mich in die Bahn. Hochzufrieden.

Ich summe ein Lied. Das Telefon funktioniert jetzt wieder.





Text & Fotos >> Walter Karpf, HÖRZU
Sammlung Elke Schulte-Brünnigmann







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