Peter H. Irrgang

Pfarrkirche Heilig Kreuz zu Kreuzweingarten

Kirchenführer und Meditation











Ein Kreuzbild, das ich nicht mag, und ein besonderes Kreuz











Wenn in der Beichtkapelle am Vorabend des Passionssonntages das Missionskreuz verhüllt wird, fragen mich die Meßdiener, die dabei helfen, woher das Kreuz diesen Namen hat. Ich kann es auch nicht genau erklären. Vielleicht wurden die Volksmissionen mit diesem Kreuz abgehalten. Jedenfalls stand es früher auf der Orgelempore, und die Leute rutschten kniend zum Kreuz, besonders am Karfreitag, verehrten es inbrünstig und trugen dem Heiland all ihre Nöte vor. Dieses Kreuz gefällt mir besonders gut.

Es ist nun bald dreihundert Jahre alt und hat die Tränen so vieler Beter gesehen. Nikola Reinartz schreibt dazu: "Daneben wurde aber auch dem heute in der Beichtkapelle befindlichen alten Missionskreuz besondere Verehrung zuteil; vermutlich ist es das nämliche Kreuz, von dem aus dem Jahre 1724 berichtet wird, daß man bei Fiebererkrankungen die Füße des Kruzifixes abzuwaschen pflegte und das Wasser den Kranken brachte, eine Übung, die jedoch von der bischöflichen Behörde korrigiert wurde. Ehedem stand es auf dem Orgelgestühl und verrichteten die Pilger, die Treppe hinansteigend, vor demselben ihre Andacht in getreuer Nachahmung des Golgothahügels in der Grabeskirche zu Jerusalem".











Richtig ist mit Sicherheit, daß von der Darstellung und besonders vom Antlitz des Gekreuzigten eine wundersame Ruhe ausgeht. Dieses Kreuz zieht mächtig an. Mich hat dieses Kreuz von Anfang an fasziniert. Deswegen nahmen wir es bei unseren Jugendtagen sogar mit auf die Hardt zum Hochkreuz. Während wir das Kreuz den Berg hinauftrugen, sangen und beteten wir. Oben am Kreuz setzten wir es ab und lehnten es flach gegen den Sockel des Hochkreuzes. So konnten wir das Antlitz des Heilandes betrachten. Schwieriger war es, das Kreuz hinunterzutragen. Es hat ja doch einige Pfund Gewicht.

Als das Kreuz gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges entstand (so datieren es die Experten), brauchte man ein Kreuz, das die gefühlsmäßige Stimmung der Menschen wiedergab. Ich stehe gerne vor diesem Kreuz.











Heute finden sich die meisten Beter vor dem Kreuz ein, wenn wir es am Karfreitag nach der Liturgie auf die bloßen Altarstufen legen, darunter das violette Tuch, mit dem es in der Passionszeit verhüllt war, dazu eine Dornenkrone, die die Kinder gebastelt haben, eine Kerze und eine Blume. Das ergibt eine sehr friedvolle und friedensstiftende Stimmung, die den Beter -vor allem am langen Karsamstag- ganz gefangen hält.

Schwierig ist nur das Ab- und wieder Aufhängen des Kreuzes. Alleine schafft man das kaum. Aber mit dem Auf- und Abmontieren von Figuren und anderen Dingen haben wir ja Erfahrung und starke Helfer.











Völlig anders ist meine Einstellung zur Kreuzdarstellung auf dem großen Gemälde an der Südwand vor der Orgelempore. Reinartz meint, daß es noch vor 1700 entstanden und van Dyck'scher Art sei. Ich halte das Bild für viel jünger. Es gefiel ihm. So prägte dieses Bild über viele Jahre den Altar. Es hing im Retabel, also mitten im Hochaltar und bestimmte die ganze Atmosphäre der Kirche, obwohl der Altar aus ländlichem Barock ist und zum Gemälde stilistisch überhaupt nicht paßt und auch den genauen Maßen nicht entspricht. Auf alten Bildern sieht man es noch so, und man merkt, daß das Bild später in die Altaraufbauten gestellt wurde. Eigentlich waren alle, die das Bild noch im Hochaltar erlebt hatten, froh, daß es seit den sechziger Jahren an der Seite hängt. Gar zu düster und bitter ist der Gesamteindruck des Bildes. Ein Besucher, der davon etwas versteht, meinte einmal, daß es ein "jansenistisches" Bild sei.

Jansenius (1585-1638) vertrat eine sehr rigoristische und düstere Theologie, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann. Dementsprechend lehnte er eine Funktion der menschlichen Vernunft und der Philosophie in der Theologie ab. Theologie dürfe sich nur an die Schrift und an die Väter halten. Dabei wollte sich Jansenius allein von seiner eigenwilligen Interpretation des hl. Augustinus und seiner Schule inspirieren lassen. Die fortschrittliche Schule des Aristoteles und damit des Thomas von Aquin war ihm absolut suspekt. Folglich waren auch seine moralischen und politischen Schlußfolgerungen düster und für Rom unannehmbar. Schließlich ist der nach ihm benannte Jansenismus papstfeindlich und räumt dem Staat eine fast schrankenlose Souveränität in Kirchenfragen ein.

Die Darstellung des leidenden Herrn auf dem Gemälde unserer Kirche hat diesen negativen Einschlag ganz aufgegriffen. Christus ist der "rebellierende" Hohepriester. Das Wort der Schrift "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" ist zu wörtlich genommen. Die Darstellung Jesu ist zu ablehnend, und eine ganze Schöpfung klagt mit an. Nein, dies ist keine Kreuzigungsdarstellung, wie ich sie mir wünsche. Dann lieber genau umgekehrt: Christus hätte keiner Nägel bedurft, seine Liebe heftete ihn ans Kreuz. Das Erbarmen des Vaters ist unendlich, das Opfer des Sohnes auch. Beides ist in gewissem Sinne identisch.

In unserer Gegend war die holländische Variante des Jansenismus einflußreich. Wilhelm Emonds erzählte mir, daß er von seinem Vater gehört habe, daß dessen Großvater erzählt hätte, wie dieses Kreuzbild entstanden sei. Vor vielen Jahren, etwa Ende des 18. Jahrhunderts, sei ein niederländischer Künstler gekommen und habe sich eine zeitlang im Dorf aufgehalten. Dabei habe er das Bild gemalt. Wir kennen jedoch die genauen historischen Zusammenhänge nicht. Es lebe die mündliche Überlieferung!

Ein anderes Faktum ergibt sich aus der Verbindung zwischen dem Jansenismus und seiner politischen Schiene, die auch Konsequenzen hatte in Bezug auf die Loyalität zu Rom. Kurz erklärt: Die theologischen Streitigkeiten hatten auch hier wieder politische Konsequenzen. Schließlich war in vielen Ländern die Bewegung zu nationalem Kirchentum unübersehbar: Gallikanismus (Frankreich), Febronianismus (Deutschland), Josefinismus (Osterreich) etc. Der Staat versuchte, sich der jeweiligen Kirchen zu bemächtigen (stabilisierender Faktor für die "absoluten" Herrscher). Theologen der jeweiligen Kirchen wollten im Schutz ihrer jeweiligen Staaten und der von ihnen geprägten Gesellschaft von Rom unabhängig sein (eine in der Geschichte der Kirche sich wiederholende Versuchung). Daß sie dadurch in die totale Unfreiheit schlitterten, weiß jeder, der sich mit diesen historischen Zusammenhängen befaßt. Wenn der Staat oder die manipulierte "Öffentlichkeit" einmal in die "Sakristei" hineindirigiert, ist es mit der Freiheit der Kirche vorbei, und die "Leute von Einfluß" werden klerikal und antikirchlich. Nicht umsonst sprach der Alte Fritz (König von Preußen) von seinem Vetter, dem Sakristan, und meinte Kaiser Josef II. (Kaiser von 1765-1780), der durch staatliche Verordnungen sogar die Zahl der Kerzen bestimmte, die je nach Tag und Fest zu entzünden seien. Ja, die Freiheit der Kirche war gerade in den "katholischen" Ländern sehr gefährdet. In Österreich war es unter Kaiser Josef so schlimm, daß sogar der Schriftwechsel der Bischöfe mit dem Papst der staatlichen Aufsicht unterworfen war. Die Preußen verhielten sich allerdings ebenso wenig zimperlich gegen die katholische Kirche, aber Preußen war ja auch nicht katholisch. Das tat deshalb nicht so weh.

Nicht umsonst hatten alle kommunistischen Länder dieses Jahrhunderts einen Religionsminister. Sie waren nicht weniger klerikal und antikirchlich wie ihre freimaurerischen Vorbilder in Form der vorgeblich katholischen Kirchenminister des 18. Jahrhunderts.

Wen wundert es bei diesem Chaos an kirchlicher und weltlicher, gläubiger und gottloser Verwicklung, daß der Jesuitenorden, der doch so energisch den Jansenismus bekämpft hatte, im Jahre 1773 sogar vom Papst verboten wurde! Erst nach dem gewaltsamen Ende des Absolutismus durch eine nicht unbedingt kirchenfreundliche Zeit (französ. Revolution, Napoleon, Wiener Kongreß) erlangte die Kirche relative Freiheit. Das Verbot gegen die Jesuiten wurde 1814 aufgehoben. Rückblickend kann man auch über diese Zeit sagen: Wie gut, daß der Hl. Geist die Kirche lenkt! Wir Menschen hätten sie längst zerstört.

Der angesprochene Febronius wiederum war Weihbischof in Trier und vertrat ein deutsches Nationalkirchentum. Auch seine Thesen wurden verurteilt. Sein echter Name jedoch war nicht Febronius, sondern von Hontheim. Besagter Weihbischof von Hontheim aber hat uns die Kreuzesreliquien 1804 besiegelt, die in unserer Kirche sind und die wir so andächtig und mit Recht gläubig verehren. Kam damals auch dieses Kreuzigungsbild zu uns? War der damalige Pfarrer von Kreuzweingarten in die "Szene" geraten? Jedenfalls war er ein gelehrter und belesener Mann. Von ihm, Pfr. Joan Josef Müller, stammt unsere auf Pfr. Ackermann zurückgehende erste Auflistung der Pfarrer von Kreuzweingarten. Von ihm ist auch seine beträchliche Pfarrersbibliothek erhalten. Wie dem auch sei, Müller und von Hontheim haben miteinander Kontakt gehabt, sonst wäre die Kreuzreliquie nicht hier.

Und das Kreuzigungsgemälde kommt nicht mehr in den Altar zurück, es bleibt aber in der Kirche. Wir sind doch keine Bilderstürmer. Wir haben auch keinen Grund, uns unserer so spannenden Pfarrgeschichte zu schämen. Sie ist so menschlich und deshalb ein Schatz, auch in dieser Darstellung. Nur, andächtig beten kann man vor dem Bild nicht, oder?

Oder vielleicht doch! Ein Stoßgebet geht immer. Etwa so:

Herr, bewahre deine Kirche vor Verfolgung und Unfreiheit!

Aber dann blicke ich bereits in die Beichtkapelle zum Missionskreuz. So bleibt es nicht bei einem Stoßgebet.











... Wort des lebendigen Gottes











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