Des Weingarten Gründung und Geschichte

Von Pfarrer Nikola Reinartz


„... zweifelsohne ist auch ebenda der Weinbau versucht worden, von welchem der Ort seinen schönen Namen ererbt hat.“ - Katzvey, Geschichte Münstereifels und der nachbarlichen Ortschaften, § 926.


Unter den ältesten Orten im oberen Erfttale findet sich Weingarten im Jahre 893 zum erstenmal erwähnt, und zwar indem für die ganze Eifelgeschichte grundlegenden Güterverzeichnis der Abtei Prüm. Dieses Kloster war bekanntlich im Herzen der Eifel von den Ahnen des Herrscherhauses der Karolinger wohl nicht ohne die Absicht der Urbarmachung des abseits der römischen Fernstraßen wilden Waldgebietes gegründet und als Familienstiftung mit Grund und Gütern, sei er aus dem Erbbesitz des Hauses, oder aus ehemals römisch-fränkischem Fiskalgut, königlich ausgestattet worden. Letzteres dürfte bei Weingarten das wahrscheinlichere sein, da es bereits zur römischen Zeit, wie sich aus der in der Ausdehnung von 65 Meter erstreckenden Luxusvilla, vermutlich der Wohnung eines höheren Offiziers, in Verbindung mit der Lage in unmittelbarer Nähe des Römerkanals und des Alten Burgberges mit seinem Ringwall ergibt, eine bedeutsame Siedlung darstellt. Aber weder den Namen dieser vom Mühlbach umschlossenen, zu beiden Seiten der Münsterstraße an den Berg sich anlehnenden römischen, noch den einer am Fuße des alten Keltenwalles zu vermutenden vorrömischen Niederlassung - gehört ja die Arloffer Mulde zu einem der am frühesten besiedelten Gegenden unserer Heimat - kennen wir heute mehr. Dagegen ist die durch den gut deutschen Namen Weingarten (Wingarden) charakterisierte Siedlung am nordwestlichen Abhange des Münsterberges der Mersbach entlang durch die folgenden Angaben des Prümer Urbar ins helle Licht der Geschichte gerückt. Es heißt dort:

Die alte Ortsmitte mit B 51, dahinter die Bahnhofstraße - Foto: Hans Regh


Von Wingarden.


In Wingarden befinden sich 10 Anwesen. Ein jedes ist in Zins und aller Dienstbarkeit gehalten wie die anderen von Ivernesheym. Von den Anwesen hat Huothilar zwei und Tetgar eins, und von diesen sind zwei nicht zur Spende des Ferkels verpflichtet. Es befinden sich daselbst ein Weingarten zu neun Fuder, Wiesen zu sechs Fuhren Ertrag, ein Wald zur Mast für 20 Schweine und zwei Mühlen.

In einer Anmerkung vom Jahre 1222 heißt es noch: " Vingarden besitzen die Stiftsherren von Münstereifel von der Abtei zu Lehen." Daß bereits die Römer den Weinbau an Mosel, Nahe und Ahr betrieben haben, lehren Funde von Winzergärten und aufgedeckte Weinbauanlagen. Spätlateinische Schriftsteller des 5. und 6. Jahrhunderts preisen die Rebenhänge an der Mosel im Gegensatze zu dem wogenrauschenden, vom Kriegslärm umtosten Rheine. Hierhin und wohl auch in die nördliche Eifel wurde der Weinstock erst in der frühkarolingischen Zeit durch die Königsgüter und die Klöster gebracht. So schreibt sich der Weinbau im nahen Kastenholz gewiß von der villa regia Flamersheim her, der des oberen Erfttales bis hoch in die Eifel hinein von der Abtei Prüm. Nach Hürten sollen Flurbezeichnungen in Eicherscheid und Schönau an früheren Weinbau erinnern. Urkundlich wird derselbe im Prümer Urbar für Hospelt und Lind drei Stunden oberhalb Münstereifel in 450 Meter Meereshöhe bezeugt. Wissen wir doch auch, daß in ähnlicher Höhenlage auf dem Kermeter vom Kloster Maria-Wald der Weinbau bis in die neuere Zeit gepflegt worden ist. Bedeutend war derselbe in Iversheim. Dort werden Anlagen mit einem Gesamtertrag von 30 Fudern erwähnt, die als Annex des Prümer Hofes im Besitz der Abtei geblieben sind.

Anders bei Weingarten. Wenn schon dieser echt deutsche Name in seiner Bedeutung klar ist, so bedarf er doch noch einer näheren Begründung, warum denn gerade die hiesige Siedlung vor so manchem anderen Weinorte ihre Benennung vom Weinbau erhalten hat. Wir dürfen diese zunächst einmal in der stattlichen, geschlossenen Anlage erblicken, da uns nur in bevorzugten Weinbaugegenden am Rhein und Ahr Anlagen mit mehr als neun Fuder = 900 hl ( ?) begegnen. Die Bedeutung derselben tritt noch mehr hervor, wenn wir sie in Beziehung zu den anderen Wirtschaftsfaktoren der von jeher kleinen Ansiedlung setzen. Wo dieser dann dem ganzen Dörfchen seinen romantisch schönen Namen gebende Weingarten gelegen hat, unterliegt keinem Zweifel. Es sind die terrassenförmig ansteigenden Gärten des heutigen Oberdorfes am linken Ufer der Mersbach, die sich vor dem Straßenbau wohl bis zur Erft hin ausdehnten, ein Gelände, das auch heute noch teilweise "im Wingert" heißt. Hier bot trotz einer Höhe von 210 Meter die altverwitterte schiefrige Grauwacke an dem von rauhen Nordwinden geschützten, den ganzen Tag von der Sonne beschienenen Hängen der Pfaffenhart die besten Bedingungen zum Anbau des edlen Gewächses. Es mag sein, daß auch in dem sehr geschützt gelegenen Burgtal und weiterhin an den Stufen des Bölzberges auf Kirspenich zu, wie eine örtliche Überlieferung erzählt, Weinbau betrieben worden ist; es ist das sogar wahrscheinlich. Fest steht aber, die ursprüngliche für die ganze Zukunft so bedeutsame Planung lag an angegebener Stelle in der Nähe des alten Münstereifeler Kapitelhofes. In einem Pachtbriefe von 1564 wird unter den Gütern desselben auch aufgezählt "der bongert oever die (mers)bach, welcher wingert plach (pflegte) zo syn". Dieser örtliche Zusammenhang gibt uns einen weiteren wertvollen Fingerzeig für die Entstehung des Namens Weingarten, reicht ja doch der Umstand der Größe, des Ertrages usw. der Pflanzung nicht zu einer befriedigenden Erklärung der Namensübertragung auf die Siedlung. Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir dieselbe mit der Begründung der Filiale von Prüm, dem Neuen Münster in der Eifel in Beziehung setzen. Weingarten gehörte nicht erst seit 1222 zur Dotation desselben, sondern von Anfang an: hier haben die ersten Benediktiner von Münstereifel ihres Klosters Weingarten gepflanzt, der dann dem ganzen Orte Charakter und Namen prägte. Huothilar (Vothilar), der eine der beiden ältesten uns bekannten, vor mehr als 1000 Jahren hierselbst siedelnden Männer, der meistbegüterte von ihnen, besaß auch Weinberge am Rhein zwischen Unkel und Oberwinter; sollten wir in ihm den Begründer Weingartens begrüßen dürfen?

Wir müssen schon manches Jahrhundert überspringen, bis wir wieder Kunde vom Weinbau erhalten. Da ist es zunächst bemerkenswert, daß in einem dem Statutenbuch des Stiftes Münstereifel - Staatsarchiv Düsseldorf - angefügten Zehntverzeichnis von 1448 einzig bei Billig, das stets zur Pfarre Kreuz-Weingarten gehörte, ein Weinzehnt von ½ Fuder angeführt wird, was einer Produktion von fünf Fuder auf Nicht-Klostergrund entspräche. Von besonderem Interesse ist jedoch eine Urkunde ebenda vom Jahre 1458 über die Neuanlage der alten Pflanzung des Stiftes selber durch den Pastor Richard Struyß in Weingarten 1455-1478 und seine "Gesellen". In derselben bekennen sie: " ... dat wir geleent hain widder die ehrbaren Heren Dechen ind gemeyn Capittell des goitzhuyß tzo Monster eyffel alsulchen vell gelegen tzo Wyngarden an deme berghe hynder Hencken Nusgins hovericht, dat vurtzyden Wyngart ys gewest myt synen wyden ind breydden neyt dae ayn uyßgescheyiden, eyne jairzale lanck myt namen eyn ind vuuffzich jair ... ind sullen dat selve velt ... flislich van stont tzo Wyngart proffen plantzen ind nutzlich besetzen ind buwelich halden as gueder lude gewoynheit ys ind auch hand-haven ... Ind die heren sullen uns yn den selven wyngart ycklichs jairs layssenvolgen uyß yrme hove tzo Wyngarden eicht redeliche ins gewonliche wayn voll mystes ... Vortme darum dat wyr der kost ind arbeit dahaß moegen zo komen, die wyr da yn ader ain sullen legen, so sullen wir des wyngartz gebruchen vur uns ... vier jair lanck indes anderen herfftß ... Dan kunnen dieselve heren ... yrs deille vortan ind ickliche jaire an unser ycklichem ind syne deille gesynnen, dat ys mit nemen des dritten drufen, so wie die allda wassent, ... ind gentzlich angehyndert dragen ..." Wir sehen den Wandel der Zeiten; anstelle des nicht mehr lohnenden Eigenbaues des Stiftes durch hofhörige Leute ist der Teilbau im freien Erbvertrage getreten; die Gesellen des Pastors, die Hencken Nusgin, Cornelis Tyletsch, MicheIl Kruysboeme von Weingarten sind jetzt nicht mehr Schutzhörige des Klosters, sondern freie Bauern, die die "dritte Traube" gleich dem Pastor als Pacht und Entgelt für Dung an den Grundherrn abliefern.

Man gewinnt allerdings den Eindruck, als habe auch die Pflanzung des Pastors Strauß keinen allzu langen Bestand gehabt; 1564 ist ja bereits die Rede von einem "bongert", also einem Obstgarten, der, wenn auch vielleicht nur teilweise wieder den Weingarten ersetzt hatte. Immerhin muß der Anbau der Rebe in der Weingartener Gemarkung sich wenigstens noch ein weiteres Jahrhundert erhalten haben. Im Pfarrarchiv befindet sich ein Bildchen des hl. Donatus aus der ersten Zeit nach der Übertragung der Reliquien um das Jahr 1660 mit einem von Pfarrer Adam Ackermann, in Weingarten 1651-1688, geschriebenen Gebete zu Ehren des Heiligen, in dem Gottes Segen erfleht wird über "unsere Häuser, Acker, Weinstöck, Wiesen, Gärten und Baue". Zum Opfer ist der Weinstock dann gefallen hier wie allenthalben in der Voreifel, wie auch Rhein abwärts Bonn, weniger veränderten klimatischen als wirtschaftlichen Verhältnissen. Anstatt der Reben kultivierte man Obstbäume, Beerensträucher, Kartoffeln. Das gab sichere Erträge und im Kartoffelschnaps hatte man billigen Ersatz für Wein gefunden. Aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts wird von auffallend vielen Schnapsbrennereien in der Gemeinde Weingarten- Rheder berichtet. Diese wie eine inzwischen eingegangene Bierbrauerei sorgten hinreichend für die durstigen Kehlen in der Gemeinde und außerhalb derselben; bis in unseren Tagen Münstereifeler und Euskirchener Großbrauereien diese Aufgabe übernahmen - Wandel der Zeiten!

In diesem Zusammenhang mag es von Interesse sein, eine Aufzählung der zwölf verschiedenen Weingarten im deutschen Sprachgebiete anzuschließen, die zugleich eine Übersicht über die Verbreitung des Weinbaues in früheren Zeiten bietet. Außer unserem Kreuz-Weingarten und den ebenfalls im Kreise Euskirchen bei Commern gelegenen Weingartner Höfen (im Volksmund ebenfalls " Wöngede" genannt) findet sich 3) ein Weingarten in Baden mit 4500 Einwohnern, 4) die Stadt Weingarten, von der Verehrung des Hl. Blutes auch Blut-Weingarten genannt, in Württemberg mit 7200 Einwohnern; in Bayern gibt es allein drei Weingarten, und zwar das 5) in der Pfalz mit 1020 Einwohnern, das 6) in Oberfranken mit 290 Einwohnern und das 7) auch Groß- Weingarten genannt, in Mittelfranken, mit 770 Einwohnern, ferner zwei kleinere 8) in Thüringen, 130 Einwohner und 9) in Westpreußen, 120 Einwohner; sodann das 10) in Ungarn mit 2100 Einwohnern; endlich noch zwei in der Schweiz, das 11) im Kanton Bern, 160 Einwohner und das 12) im Kanton Thurgau in einer Höhe von 496 Meter mit 200 Einwohnern. - Infolge dieser vielen gleichnamigen Ortschaften waren Irrläufe nach allen Himmelsrichtungen und Fehlbestellungen im Postverkehr zum großen Nachteil der Betroffenen eine alltägliche Erscheinung, so daß auch aus praktischen Erwägungen die Einführung der eindeutigen Ortsbezeichnung Kreuz-Weingarten freudig begrüßt wurde.


Neue Ortsmitte nach Begradigung der Kurve


Aus: Kreuzweingarten - Rheder - Kalkar, 1969, Zeitbiografischer Verlag, Kreuzweingarten


Texte und Veröffentlichungen Kreuzweingartens ©
Das Dorfbuch Kreuzweingarten - Rheder ©
Religion und Kirche in der Kirchengemeinde Kreuzweingarten-Rheder ©

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