Der Ringwall von Kreuzweingarten

Das älteste Baudenkmal des Kreises Euskirchen

Von Pfarrer Nikola Reinartz


Wo die Erft die letzten Bergketten der Eifel bei Kreuzweingarten durchbricht, trägt unweit der ehemaligen kurkölnischen Landesfeste der Hardtburg eine vorspringende Kuppe den Namen „Alter Burgberg“. Der Zusammenhang ist klar. Als um die Wende des ersten Jahrtausend nach Christus ein Edeling unter Benutzung der alten Steintrümmer, die die Höhe umsäumten, etwa einen Kilometer nordöstlich im Hardtwalde sich eine neue, vom Wasser umflossene Burg erbaute, da nannten die Zeitgenossen die ursprüngliche Befestigung die „alte Burg“ und aus der Stätte, wo dieselbe vergangen war, wurde im Laufe der Jahrhunderte der „Alte Burgberg“, ein Name, von dem weiter keine Schrift noch Sage etwas meldete.

Erst der „Wissenschaft des Spatens“, einer planmäßigen und sorgfältigen Bodenforschung, die nichts mit dem üblichen „Ausbuddeln“ zu tun hat, sollte die Lösung des Rätsels gelingen. Schon vorher hatte allerdings das geübte Auge unseres verstorbenen Heimatforschers Prof. Hürten, Münstereifel, an dem die ganze Kuppe umziehenden, unter Waldwuchs verborgenen, aber vielfach noch gut erhaltenen Damm und Graben erkannt, daß es sich keineswegs um eine mittelalterliche Burg oder auch römisches Kastell handle, sondern daß die Anlage in eine ältere Zeit hineinreiche, wo man die von den Römern ins Land gebrachte Steinmauertechnik noch gar nicht kannte. Je weiter aber ein Baudenkmal in die Anfänge menschlicher Kultur und Geschichte unserer Heimat hinaufführt, umso wertvoller ist es. 1921 setzte dann die systematische Erforschung seitens des Provinzialmuseums in Bonn ein, die 1923, 1926 und 1929, wie geeignete Stellen durch Abholzung frei wurden, ihren Fortgang nahm. Das Entgegenkommen der Eigentümer, welche durchweg den Ausgrabungen Verständnis und Förderung bewiesen, verdient hier dankbar angemerkt zu werden. Besonders die letzte, zwei Monate unter Heranziehung von Hilfsarbeitern ausgedehnte Grabungskampagne, hat bedeutsame Resultate gebracht, die es gestatten, auf Grund der Berichte in den Bonner Jahrbüchern und eigener Beobachtungen ein Urteil über die Anlage niederzuschreiben.

Schnitt durch Doppel-Wall und Graben (nach einer Zeichnung des Provonzial-Museums)


Auch für das Laienauge heute noch erkennbar, umzieht der Ringwall die Bergkuppe in Form einer unregelmäßigen Ellipse von 300 m Länge und 175 m Breite. Ein mittelalterlicher Holzabfuhrweg, der an der Rückseite nahe bei dem ursprünglichen Eingang in den Wall eintritt, schneidet südöstlich ein Stück ab, zieht dann vorn am Steilhang des Berges der Umwallung nach, bis diese nach Südosten abbiegt und die Ellipse in ihrem weiteren Verlauf schließt. In diesem Gelände des natürlichen Schutzes entbehrt, ist, ebenfalls dem aufmerksamen Beobachter erkennbar, dem Hauptwalle sichelförmig ein Torwall vorgelegt. Es wurden nun im ganzen Umkreis etwa dreißig Quergräben bis auf den gewachsenen Boden durchgezogen und die Aufschichtungen wie die Einschnitte des Terrains genau festgestellt. Dabei ergab sich durchweg, daß vor den beiden Wällen breite und tiefe Spitzgräben eingehauen waren, denen ursprünglich die Erde zur Auffüllung der Dämme entnommen worden, die nachher aber die abrollenden Teile wieder aufgenommen und sich so dem Bodenniveau angeglichen hatten. Über die Bauart heißt es weiter in dem Berichte, B.Jb. 127,279: Die Wälle bestehen hauptsächlich aus Erde ... Zur Festigung war der Erdwall von zwei Futtermauern aus losen aufeinandergelegten Seiten eingefaßt, welche ihrerseits in kräftigen Holzverschalungen auf ihren senkrechten Ansichtsflächen verkleidet waren, die aus starken, senkrechten, mit horizontalen Balken verbundenen Pfosten bestanden. Die äußere und innere Holzverschalung war dann noch durch horizontale, durch den Wall gelegte Holzbalken miteinander verankert, um das Ausweichen der Erd- und Steinfüllungen zu verhindern. Von diesen Holzanlagen haben sich nicht nur die Pfostenlöcher der senkrechten Pfosten erhalten, sondern dank dem Umstand, daß das Ganze einem Brande zum Opfer fiel, sind die verkohlten Balken selbst noch in ansehnlichen Resten erhalten gewesen. Sie waren zum Teil in den Graben hinabgestürzt, zum Teil durchziehen sie als dicke horizontale Kohlenschichten den Erdwall, offenbar die Reste der im Wall verkohlten Verankerung. Die ganze Dicke der Wallmauer betrug 5,50 m.

Mit diesem Ausgrabungsbefund vergleiche man, was Caesar De bello gallice VII, 23 gelegentlich der Belagerung von Avaricum (Bourges) über das Befestigungssystem der alten Gallier oder Kelten schreibt: Alle gallischen Mauern haben etwa folgende Einrichtung: Auf dem Boden werden gerade Balken aus einem Stück der Länge nach nebeneinander und mit zwei Fuß Abstand voneinander gelegt. Die Balken werden inwendig gehörig verklammert und dann alles mit Erde bedeckt; in der Front aber werden die Abstände zwischen den Balken mit großen Steinen völlig ausgefüllt. Ist diese Schicht verlegt und verbunden, so kommt die zweite Lage der Balken mit demselben Abstand darauf, aber so, daß nicht Balken auf Balken trifft, jeder von seinem Steinlager genau in demselben Zwischenraum fest zusammengehalten wird. So wird das ganze Werk Lage für Lage zusammengefügt, bis es die verlangte Höhe der Mauer erlangt hat. Der regelmäßige Wechsel der nach geraden Linien geschichteten Balken und Steine gibt dem Werke ein gefälliges und harmonisches Aussehen, ist aber auch von wesentlichem Nutzen für die Stadtverteidigung, weil gegen den Brand der Steinbau, gegen den Widder aber das Holzwerk schützt, welches aus Balken von wenigstens 40 Fuß Länge und inwendig gehörig verklammert, weder durchbrochen noch auseinandergerissen werden kann ... Man wird die Übereinstimmung der Technik nicht verkennen können, wenngleich zu betonen ist, daß hinsichtlich der Ausführung sich naturgemäß große Unterschiede zwischen einer hauptstädtischen Befestigung - Avaricum wir als die stärkste und schönste Burg wohl von ganz Gallien gerühmt - und einer mehr ländlichen Gau- oder Volksburg ergeben werden.

Kelten beim Bau einer Fliehburg. Links die Doppelumwallung vor dem Eingang ins Innere


Damit stehen wir schon in der Erörterung der Zweckbestimmung unserer Anlage. Gehen wir von dem durch die gleiche Bauart nahegelegten Vergleich mit der gallischen „oppida“ aus - die Keltenherrschaft hat sich in vorrömischer Zeit weit über den Rhein ausgedehnt -, so lesen wir bei Caesar BG. VIII, 3 ferner, wie die ländliche Bevölkerung von der plötzlich hervorbrechenden römischen Reiterei überrascht und überwältigt wurde, ehe sie sich in ihre Fluchtburgen hatten zurückziehen könne, und BG. VII, 15, daß die Gallier an einem Tage zwanzig solch kleinerer Burgen verbrannt hätten, damit sie nicht mit den Vorräten den Römern in die Hände fielen. Als ein solches oppidum (Fliehburg), das ausdrücklich bei Caesar von Dorf und Wohnhaus unterschieden wird, haben wir uns auch den Ringwall von Kreuzweingarten zu denken, eine Zufluchtsstätte, wohin sich zu Zeiten der Gefahr die Umwohner mit Weib und Kind und Habe zurückzogen, um hinter sicherer Umwallung den Angriff der Feinde, wenn es dazu kam, abzuwehren. Und es dürfte mit den damaligen Angriffswaffen nicht gerade leicht geworden sein, diese Feste zu erstürmen. Hatte der Feind auch unter dem Hagel der Wurfgeschosse - zu einem solche mag auch das Stück eines alten Mühlsteins aus Basaltlava, das außerhalb der Umwallung oben am Berghang gefunden wurde, schon gedient haben - den steilen und spitzen Graben zurückgelegt, stand er vor der Wallmauer, die wir uns nicht einmal sehr hoch vorzustellen brauchen - ein Centurio ersteigt die Mauer von Gorgovia, von drei Soldaten hochgehoben, und zieht dieselben nach sich -, wohl aber breit, so daß an der bedrohten Stelle die Verteidiger, gedeckt durch Pallisaden und Schanzwerk, sich zu Haufen sammeln und, wenn es zum Nahkampfe kam, an der Brustwehr den Gegner zurückwerfen konnten.

Kelten beim Bau einer Fliehburg


Besonders gefährdet und besonders geschützt war natürlich der Eingang. Daß hier Wall und Graben verdoppelt, somit auch eine doppelte Toranlage war, haben wir bereits erwähnt. Das Außentor rechts von der jetzigen Einfahrt wurde genauer untersucht. Über das Ergebnis berichtet das Bonner Jahrbuch 134, S. 144: „Der Wall war dort unterbrochen und die Wallköpfe waren mit Holzverschalungen eingefaßt, deren Pfostenlöcher noch vorhanden waren. Zwei mächtige Pfosten von 52 bzw. 58 cm Durchmesser, die 2,55 m voneinander entfernt standen, flankierten offenbar den Eingang. Eine Menge unregelmäßig stehender kleiner Pfosten in dem Zwischenraum rührten vermutlich von einer Verrammung des Eingangs her. Der Graben lief zwar vor dem Eingang durch, war aber dort erheblich schmäler und seichter als sonst und muß überbrückt gewesen sein. Ein Pfostenloch in der Grabensohle kann von der Überbrückung herrühren.“ Die Verteidigungsstellung wurde noch dadurch gestärkt, daß die beiden Tore nicht in einer Flucht, sondern rd. 75 m auseinander lagen. Der eindringende Feind mußte also diese ganze Strecke zwischen den beiden Wällen unter den Geschossen der Belagerten, dabei dem Gegner die ungeschützte rechte Seite darbietend, zurücklegen, ehe er vor dem inneren, noch deutlich erkennbaren Tore stand. Dichte Dornhecken im Inneren mögen ebenfalls als Schutzhecken gedient haben, während wir im allgemeinen uns den Platz wohl auch früher mit jenen 1 - 2 m dicken Eichen bestanden denken dürfen, von denen man heute noch im Orte erzählt, und deren Standlöcher sich noch an vielen Stellen abzeichnen.

Ist somit durch die Untersuchung der Verteidigungscharakter der ganzen Anlage klar herausgestellt, so ist die weitere Frage, ob dieselbe auch ständig bewohnt gewesen, nicht mit Sicherheit zu beantworten. Aus der Spärlichkeit der Funde innerhalb der meisten bisher erforschten Ringwälle schließt man auf eine nicht ständige Besiedlung. Auch bei uns fanden sich beim Walle selbst nur geringe Topfscherben. Ein anderes Ergebnis brachte aber die letzte Untersuchung im Innern.

Etwa 60 m vom nördlichen Wall entfernt trägt eine große, wenig bewaldete Fläche die Bezeichnung „Köhlager“, offenbar weil an dieser Stelle das Vieh, das in den Wald getrieben wurde, seine Rast hielt. Dieser Name und der für die Lagerstätte sehr geeignete Platz regten zu einer Nachgrabung an. Der Humusboden wurde abgetragen, und tatsächlich fanden sich in einer Tiefe von 40 cm eine Menge bearbeiteter Feuersteine, kleine und größere Bachkiesel, die z.T. wohl auch als Werkzeug gedient haben, vor allem aber ein ganzes zusammenhängendes System von Pfostenlöchern und Wohnbautengräbchen, die sich infolge der durch die Vermoderung des Holzes veränderten Erdfarbe deutlich abzeichneten. Leider konnten diese Grabungen noch nicht zum Abschluß gebracht werden; fest steht aber, daß in altersgrauer Vorzeit hier oben Menschen bereits ihre Hütten gebaut haben.

Burgberg mit Wallanlage


Waren diese auch die Erbauer des Ringwalles? Waren es die, welche auf dem bei Kalkar aufgeschlossenen, noch nicht veröffentlichten Urnenfelde ihre Toten verbrannten und die Asche in meist wenig kunstvollen, mit eingeritzten Zickzacklinien bezeichneten Töpfen mit geringen Beigaben, etwa eines Bronzeringelchens, einer eisengeschmiedeten Spange, bargen, diese dann mit einer umgestülpten Schüssel bedeckten und wenig unter der Oberfläche beisetzten? Ich wage es nicht, diese Fragen zu entscheiden, möchte aber nicht unterlassen, auf die sicher für die Anlage des Ringwalles maßgebende vorgeschichtliche Straße hinzuweisen, welche von Südwesten kommend bei Arloff die Erft überquerte, dann unweit derselben vorbeiziehend über Miel zum Rheine führte.

Prof. Dr. Lehner, der gleichfalls bezüglich der Zeit der Anlage 1922 noch Vorsicht geboten hielt, schrieb immerhin damals: „Es dürfte schon sicher sein, daß es sich um eine Anlage der letzten vorrömischen Periode, des letzten Jahrhunderts vor Christus handelt.“ Auf diese Zeit weisen allerdings auch die Grabfunde von Kalkar hin. Will man Namen haben, so hindert nichts, an das tapfere Volk der Eburonen zu denken, das damals die Nordeifel bewohnte. Diese waren es bekanntlich, die Caesar die größte Niederlage, die der Eroberer im Gallischen Kriege erfuhr, beibrachten. Anderthalb Legionen wurden vollständig aufgerieben und der Imperator schwor, nicht eher sich Bart und Haare schneiden zu lassen, bis die Schmach gesühnt sei. Mit dem Aufgebot seiner gesamten Streitmacht durchzog er 53 und nochmals 51 v. Chr. die Lande zwischen Maas und Rhein, alles mit Feuer und Schwert verwüstend, in der ausgesprochenen Absicht, das Eburonenvolk auszurotten und seinen Namen zu vertilgen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß damals auch der Ringwall von Kreuz-Weingarten in Flammen aufging.


Entnommen: Kreuzweingarten - Rheder - Kalkar, 1969, Zeitbiografischer Verlag, Kreuzweingarten


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