- In honore Sante
											Cruxcis
 - 
											Anno Domini MCCCXLVIII
  
									 
								 
							 
						 
					 
				 
				- 
				
 
				 
				- Zu Ehren des H. Kreuzes, im
				Jahre des Herrn 1348. So lesen wir auf der kleinsten Glocke der
				Pfarrkirche zu Kreuz-Weingarten. In feierlichem Geläute wird
				sie im Verein mit ihren beiden, auch aus Altväterzeit
				herstammenden Schwestern am Sonntag den 29. Mai 1927 ihren
				ehernen Mund öffnen und weithin in das alte Prümer St.
				Petertal ihre Freudenrufe erschallen lassen. Und wozu dieser
				frohjauchzende Gesang! Die altseßhaften christlichen
				Bewohner zu Füßen des Kalvarienberges wissen es zu
				deuten und zu sagen. Sie verstehen die Sprache ihrer metallenen
				Zunge. Sie ruft auf zr Feier des H. Kreuzes. Soll doch kommenden
				Sonntag die Stätte, wo der Priester täglich das
				unblutige Opfer des Neuen Bundes darbringt, durch Bischofsband in
				feierlichster Weise seiner hehren heiligen Bestimmung übergeben
				werden.
 - 
				
 
				 
				- Doch oben in luftiger Höhe,
				entrückt allem Lärm des grauen Alltags, thront sie
				schon seit vielen Jahrhunderten. Könnte sie sprechen,
				erzählen! Was würde sie nicht alles zu plaudern haben!
				Eine mühsame Heimatforschung währe wohl kaum noch
				notwendig. Geschlechter sah sie kommen und vergehen. Alle hat sie
				begleitet von der Wiege bis zum Grabe, sah frohe und von Schmerz
				gebeugte Menschen von ihrer Höhe herab, sah fromme
				Pilgerscharen von nah und fern heranwallen, um dem Hl. Kreuze
				ihre Huldigungen zu bezeigen, erlebte ruhige und vom Kriegslärm
				durchtobte Zeitläufe. Aber unbekümmert um alles
				irdische Geschehen, richtet sie ihren Blick gegen Himmel, treu
				ihrer Pflicht gedenkend, die in die Worte gekleidet ist:
 - 
				
 
				 
				
					- Vivos voco: Lebende ruf'
					ich,
 - 
					Murtuos plango: Tote beklag'
					ich,
 - 
					Fulgaro trango: Blitze brech'
					ich.
  
				- 
				
 
				 
				- Doch Sonntag wird sie die
				Lebenden zu einem Freudenfeste zusammenrufen. Es ist nicht der
				gewöhnliche Klang ihrer Stimme, der zu andächtigem
				Gebete einladet, sondern ein ganz feierlicher, im Munde des
				Volkes "beiern" genannt.
 - 
				
 
				 
				- Versuchen wir kurz, uns den
				Inhalt, den Sinn dieses Wortes klar zu machen. "Beiern"
				liegt der Begriff "schlagen" zugrunde. Vergleiche
				hierzu das französ. baye = Mai - Tür usw., - Oeffnung,
				oder entl.: bay = Bai Bjucht, anschlagen.
 - 
				
 
				 
				- Im Ndl. bedeutet "beier"
				soviel wie Glockenspiel. Es ist also eine besondere Art des
				Läutens, welche durch Anschlagen des Klöppels an die
				Glocken verursacht wird (n. Duden.) und als festliches Läuten
				vor hohen Festtagen, so Ostern, Pfingsten, Fronleichnam usw.
				dient, um insbesondere die Festesstimmung zu heben. Prof. A.
				Wrede bezeichnet es in seiner "Rheinischen Volkskunde"
				auch als Kirmesläuten. Auch hier diente es bis zur
				französischen Besatzungszeit um die Wende des vorletzten
				Jahrhunderts zum Einläuten des Kirchweihfestes und später,
				als selbiges untersagt wurde, des Kirchenpatronatsfestes, mit
				welchem die Kirmes verbunden wurde.
 - 
				
 
				 
				- Über die Technik des
				"Beierns" plaudert Th. Nießen in: "Unsere
				Heimat im Wandel der Zeit" (Eusk. Volksbl Jahrg. 1924 S.
				104).
 - 
				
 
				 
				- Auch in übertragenem
				Sinne wird "beiern" gebraucht. Glaubt jemand, dauernd
				von einer Sache reden zu müssen, oder beklagt er sich immer
				in ein und derselben Weise, so "beiert" er. Auch in
				Zusammensetzungen, wie "ausbeiern" ist es in der
				rheinischen Mundart bekannt und heißt hier so viel wie
				"eine Bekanntmachung ausschellen", oder: Der "Beiermann
				beiert im Beier-(Glocken)haus".
 - 
				
 
				 
				- Dem gemütstiefen
				rheinischen Volke ist es eigen, sein Empfinden, Fühlen und
				Denken sogar auf leblose Gegenstände zu übertragen.
				Alles gewinnt für sich Leben, sei es ein Berg, ein
				rauschender Wald, ein murmelndes Bächlein, oder sei es der
				Ruf der Vertreter der heimischen Vogelwelt. Es ist daher auch gar
				nicht verwunderlich, daß das fein empfindliche Volksgemüt
				auch die feierliche Glockensprache zu deuten sucht und ihren
				Tönen Wort und Bedeutung beimißt. "Die fast
				zauberhafte Einwirkung des Glockenschlages auf das menschliche
				Gemüt entlockt dem Volke wertvolle Eingeständnisse über
				Lust und Leid, Hoffnungen und Wünsche, auch über recht
				alltägliche Dinge". 1) "Beiersprüche"
				nennen wir die mehr oder weniger kurzen Reime, in denen es
				glaubt, den Ruf der Feierglocken vernommen zu haben.
 - 
				
 
				 
				- Hören wir nun, was der
				Bewohner des nördlichen Eifelvorlandes aus dem Klang der
				Beierglocken heraushört. Ich möchte nun nicht regional
				vorgehen und die Beiersprüche nach Kirchdörfern
				geordnet einzeln bringen, sondern will versuchen, sie bezügl.
				ihres Inhaltes und in ihren Beziehungen zueinander
				zusammenzustellen.
 - 
				
 
				 
				- Was die Glocken beiern
 - 
				
 
				 
				- 1) Die Feierglocken preisen
				den Kirchenpatron.
 - 
				In Kirspenich verehrt man den hl.
				Bartholomäus. Die Beierglocke singt:
 
					- 
					"Bartholomeies es ene gode
					Mann, 
					
 - 
					ä soreg och füe dä
					ärme Mann":
  
				- 
				
 
				 
				- ebenso in Satzvey:
 
					- 
					Pantaloon es ose Patron,
 - 
					Et ös en geweß möt
					senge Hoß."
  
				- 
				
 
				 
				- 2) Die Glocke wird gepriesen.
 - 
				Mit Stolz erzählt der
				Kerpener von seinen Glocken und zu Ostern beiern sie:
 
					- 
					"Bim, bom, dei,
 - 
					"Bim, bom, dei,
 - 
					"Spetzche, Böllche
					rongk öm et Ei!"
  
				- 
				
 
				 
				- 3) Recht häufig ist
				festzustellen, daß der Beiermann (Küster, Offermann)
				gelobt wird, oder daß er in sonst eine Beziehung zu seiner
				Tätigkeit gebracht wird. Dies ist besonders der Fall, wenn
				er die Kunst zu "beiern" gut verstand, wie Hubert
				Becker genannt Huckebäetes, auch Wichterich. So sangen die
				Glocken in Bessenich:
 
					- 
					"Et ös keene Mann däe
					beiern kann,
 - 
					Als däe Weechterige
					Beiermann."
  
				- 
				
 
				 
				- Im Volksmunde hieß er
				auch Kuck und in seinem Heimatdorfe mußte er sich einen
				kleinen Spott gefallen lassen:
 
					- 
					"Bimmele, bimmele bom,
 - 
					Dä Kuck es fromm."
  
				- 
				
 
				 
				- Genannter Hub. B. Kam auch
				zur Kirmes nach Kreuz-Weingarten und beierte dort, und man hörte
				es sehr gern, wenn er den Glocken Stimmen verlieh, Überhaupt
				habe ich festgestellt, daß er in den Ortschaften seiner
				engeren Heimat ein gern gesehener Beiermann war.
 - 
				
 
				 
				- In Mechernich beierten die
				Glocken:
 
					- 
					"Et ös keene Mann dä
					beiere kann,
 - 
					Als dä Dottele Liemann."
  
				- 
				(Leierkastendreher aus Dottel bei
				Mechernich.)
 - 
				
 
				 
				- In Stotzheim an der Erft:
 
					- 
					"Et jitt keene bessere
					Beieschmann,
 - 
					Als Lompeningels Jan."
  
				- 
				
 
				 
				- In Weilerswist besorgte
				früher ein Einwohner mit Namen "Grätes" nebst
				seinem Sohne Anton das Beiern. Man sang:
 
					- 
					"Bille , bille, bom; bille,
					bille, bom,
 - 
					Grätes senge Son hesch
					Anton."
 - 
					
 
					 
				 
				- Ein Mitbürger jüdischer
				Konfession schien nicht sehr beliebt zu sein und bald lautete der
				Reim, der auch heute noch gebräuchlich ist:
 
					- 
					"Bille, bille, bom,
 - 
					Jütt Schinn es kromm,
 - 
					Grätes senge Son hesch
					Anton."
 - 
					
 
					 
				 
				- In Liblar (Oberdorf) war man
				um den Beiermann Hempel sehr besorgt:
 
					- 
					"Hempel, häß du
					keene Stohl,
 - 
					Setz dech op däe Stämpel
 - 
					Lange Hempel."
  
				- 
				
 
				 
				- Die Gymnicher hatten einen
				Spruch, der wenig christlich lautete:
 
					- 
					"Bimmele-bom,
 - 
					Kromme Bätes es kromm."
 - 
					
 
					 
				 
				- Zur Andacht stimmte auch
				nicht das Beiern, wenn es vom niederen Turme klang:
 
					- 
					"Hengerm Böisch
 - 
					Do höpp de Möisch."
 - 
					
 
					 
				 
				- In Kerpen schlug der Glöckner
				Bär die Glocken recht unsanft und dann beierten sie:
 
					- 
					"Dä Bäe, dä
					bromp,
 - 
					Dä Bäe, dä bromp,
 - 
					Dä Bäe, dä Bäe,
					dä Bäe, dä Bäe dä bromp."
 - 
					
 
					 
				 
				- 4) In den Beiersprüchen
				dürckt das Landvolk manchmal seine Sorgen und Wünsche
				aus, obgleich selbige mitunter recht naiv oder materialistisch
				sind:
 - 
				
 
				 
				- Großvernich:
 
					- 
					"Sebbe, sebbe Säu, en
					eenem Stall,
 - 
					On eene decke Pönn drop."
 - 
					
 
					 
				 
				- Ein Bauernbursche preist
				seine Schwester an zu Holzheim:
 
					- 
					"Utsch, menge Fenge, menge
					Elleboge,
 - 
					Kriß du meng Schwester,
					beß du net bedroge"
 - 
					
 
					 
				 
				- oder in Kalkar, wo er sich
				einen Schwager wünscht. Die Beierglocken verkünden in
				Frauenberg und Kalkar die Sorgen des Ehemannes um seine erkrankte
				Frau:
 
					- 
					"Ninge, ninge, ning, meng
					Frau ös krank,
 - 
					Ninge, ninge, ning, wat fählt
					ie dann,
 - 
					Ninge, ninge, ning, e Schöppche
					Weng,
 - 
					Ninge, ninge, ning, at kann net
					senn."
  
				- 
				
 
				 
				- Die Not eines Dörflers,
				der zur Kirmeszeit recht knapp gestellt ist, beierten die Glocken
				in Lessenich bei Satzvey:
 
					- 
					"Ke Bruut, keene Weck
 - 
					On och keenen Fladem."
 - 
					
 
					 
				 
				- Die Floisdorfer sind sehr
				besorgt um die Pilger, welche zur Verehrung des hl. Pankratius
				ihrer Kirche zuwallen. Die Glocken rufen:
 
					- 
					"Hat e och Kaffeebonne bei
					öch."
  
				- 
				
 
				 
				- 5) Mehr noch als heute waren
				früher die Bewohner benachbarter Dörfer sich nicht
				recht zugetan. Die Beierglocke mußte nun helfen, Neckreime
				zu verkünden.
 - 
				
 
				 
				- Frauenberg:
 
					- 
					"Bimmelebomm,
 - 
					Schöve (Dürscheven)
					litt em Lauch,
 - 
					Promme Oelsig."
  
				- 
				
 
				 
				- In Euskirchen beierte der
				Küster Koch:
 
					- 
					"Schöve (Dürscheven)
					litt em Lauch,
 - 
					Dat beiert dä Kauch."
  
				- 
				
 
				 
				- Die Besucher der
				Frühjahrskirmes (genannt Lämmgeskermes) zu
				Kreuz-Weingarten, wollten früher hören:
 
					- 
					"Spinatejemöß on
					Geeßefleesch"
 - 
					und heute beiern sie:
 - 
					Em Wöngede Lauch han sie
					Morre gekauch,
 - 
					De ganze Weich möt eene
					Knauch."
  
				- 
				
 
				 
				- 6) Die Glocken teilen dem
				Wanderer auch besondere Eigentümlichkeiten des Dorfes mit,
				wodurch selbiges mitunter berühmt wird. Früher standen
				um das Dorf Elsig herum viele Pflaumenbäume:
 
					- 
					"Promme, Promme Oelsig"
  
				- 
				oder
 
					- 
					"Kiesche, Kiesche, Belleg"
					(Billig.).
  
				- 
				
 
				 
				- Der Lückerather (bei
				Mechernich) Beierspruch singt ein Lob auf das gute Bier des
				Brauereibesitzers Pünder:
 
					- 
					"Dä Bönde, dä
					Bönde,
 - 
					Dä braut jot Bie."
  
				- 
				
 
				 
				- Den Worten der Glocken
				mancher Heimatkirche haben wir gelauscht. Ihre ehernen Stimmen
				aber mögen weitersingen zum Preise desjenigen, zu dessen Lob
				und Ehre sie geschaffen sind. Und du christliches Volk der Pfarre
				Kreuz-Weingarten, und du Wanderer, der du vorbeiziehst, wenn
				heute die Glocken vom Kalvarienberge her erschallen, halte ein
				und richte deinen Blick hinauf zum hehren Zeichen unserer
				Erlösung, welches weithin über Berg und Tal aufragt und
				vernehme dann die Worte, die einst dem großen Kaiser
				Konstantin vor der Schlacht an der milvischen Brücke (312 n.
				Chr.) entgegenstrahlten: "In diesem Zeichen wirst du
				siegen!"
 - 
				
 
				 
				- Anmerkung der Redaktion: Es
				ist Neuland, das der Verfasser dankenswerter Weise bearbeitet
				hat; merkwürdig, daß die Heimatforschung sich mit
				diesen Äußerungen lebendigen Volkstums noch wenig
				befaßt hat. Mögen die Ausführungen dazu helfen,
				daß die anmutige alte rheinische Sitte des Beierns in
				unserer Heimat als Kunst wieder mehr gepflegt werde.
 - 
				
  
				 
			 
			1) Wrede; Rhein. Volkskunde, I
			S. 78.  |