Von der Handweberei


*) ohne Verfasserangabe

Vor den Fenstern stehen die Kinder des Dorfes und schauen in die Werkstatt herein. Auch mancher Fremde unterbricht seine Wanderung, tritt herzu und findet bestätigt, was ihn das laute Schlagen schon vermuten ließ: Handweberinnen sind bei der Arbeit! Erstaunt und gebannt sieht er in die verwirrende Fülle von Fäden. Wie soll hieraus ein geordnetes Gewebe entstehen? Kaum vermag das Auge dem schnellen Lauf des Schiffchens zu folgen. Doch bald erkennt der Betrachtende den sinnvollen Rhythmus der Bewegungen. Vom Kettbaum aus laufen die Kettfäden über den Streichbaum durch Schaftlitzen und Riet zum Warenbaum. In ständigem Wechsel heben und senken sich auch die Kettfäden. In das dadurch entstandene Fach wird nun der Schuß eingetragen. Über die Lauffläche der Lade bringt das Schiffchen den Schußfaden, der von der Spule abläuft. Diese Verflechtung von Kette und Schuß bildet in ihrer Aufeinanderfolge das Gewebe. Mit festem Schlag der Lade schlägt die Weberin Schußfaden an Schußfaden. Was also anfangs so ungeordnet schien, fügt sich zu einem sinnvollen Ganzen.


Vorderseite eines Chormantels - Hierbei wurde Flach- und Hochweberei angewandt

Am Spinnrad bereiten flinke Hände unterdessen aus der losen Wollflocke den Faden und bringen ihn auf die Haspel. Von ihr wird er am Spulrad auf kleine Schußspulen gewickelt. Diese werden dann ins Schiffchen gesteckt und in bunter Folge verwebt, wie es die Musterung verlangt. So erwachsen auf dem Flachswebstuhl in immer neuen Formen und Farben ein Kissen, eine Decke, ein Kleid und ähnliche stoffliche Gewebe.

Im Gegensatz zur fast lauten Lebendigkeit am Flachwebstuhl steht das behutsame und beschauliche Tun am Hochwebstuhl. Hierbei entstehen der Gobelin, ein Bildwerk aus kleinen und kleinsten ineinandergreifenden farbigen Flächen gewebt, und der gewebte oder der geknüpfte Teppich.

Der Hochwebstuhl entspricht der ursprünglichen Form des Webstuhls überhaupt. Vorgeschichtliche Funde von Geräten, die zum Weben benutzt wurden, ermöglichten unserer Zeit die Rekonstruierung des wahrscheinlich ältesten Webstuhls. Über zwei senkrecht in die Erfe gesteckten Pfählen lag eine Querleiste. An diese wurden die Kettfäden angeknüpft und unten mit Steinen beschwert. Der Schußfaden wurde eingeflochten. Als Material dienten dem vorgeschichtlichen Menschen wohl zuerst die „Fäden“, welche die Natur ihm schenkte, wie Binsen und Schilf für die Matten seiner Raumbegrenzungen. Mit fortschreitende Entwicklung kam dann die Verarbeitung von Wolle und später von Flachs hinzu.


Rückseite eines Chormantels - Hierbei wurde Flach- und Hochweberei angewandt

Die Grundform des Hochwebstuhls blieb in Deutschland bis ins hohe Mittelalter als einzige Webstuhlart bekannt. Erst dann tauchte der Flachwebstuhl auf.

Das Weben gehört zu den Künsten, die fast vom Urbeginn der Menschheit allen Völkern vertraut sind. Unserer Geschichtsforschung sind Gewebe aus den ältesten Kulturepochen der Menschen bekannt. Den Babyloniern ebenso wie den Phöniziern, den Indern und den Azteken Südamerikas war die Freude am schönen Gebrauchsgut gemeinsam, das sich am Webrahmen oder Webstuhl schaffen ließ. Dies bezeugen die festlichen Tanzkleider oder die Gewänder der Medizinmänner. In ihren Ornamenten kehren die Formen und Figuren immer wieder, die für die gottesdienstlichen Kulthandlungen vorgezeichnet waren. Groteske Darstellungen von Pflanzen und Tieren, im Tanz zu erschreckender Lebendigkeit gebracht, machen in ihrer starken Symbolkraft die Gottessehnsucht der Naturvölker sichtbar. Dem künstlerischen Gestalten kam der Werkstoff sehr entgegen. Während die Plastiken und Graphiken der alten Völker noch eine gewisse Primitivität, ein „nicht Fertigwerden mit dem Werkstoff“ verraten, weisen die Webereien schon einen hohen Grad handwerklichen Könnens und künstlerischen Empfindens für Form und Farbe auf. Kunstvolle Teppiche, Kampfgewänder usw. bringen uns noch heute unsere Forscher und Missionare von den Ufern des Ganges, von den Inseln des Pazifischen Ozeans oder aus den Urwäldern Mittelafrikas, wie sie nur da entstehen können, wo die Menschen sich noch als Geschöpfe einem geheimnisvollen Schöpfer und Erhalter zugeordnet wissen.

An den kostbaren Teppichen der Perser, die in großer Zahl zu uns gelangen, bewundern wir dagegen mehr ihre handwerkliche Vollkommenheit. Sind sie doch nicht in freiem schöpferischen Tun, sondern vielmehr in jahrelanger, ja oft lebenslanger Sklavenarbeit entstanden.

Durch die Jahrhunderte läßt sich die Webkunst so als Kult- und Volkskunst verfolgen. Jede Zeit, jedes Volk hat uns mit ihr, wie mit allen anderen Künsten auch, ein Zeugnis der geistigen Einstellung hinterlassen. Überall klapperte der Webstuhl, in Schweden ebenso wie in Italien, in Belgien wie in Rußland und auf dem Balkan. In den Ornamenten der Gewebe wirken bei den nordischen Völkern die germanischen Sagas nach, bei den Russen und Balten erspüren wir die Sinngehalte des orthodoxen Glaubensgutes, während Griechenland und Italien von Sonne, Licht und unbekümmerter Lebensfreude erzählen.

In ihrer unmittelbaren Beziehung zum Kultischen blieb die Weberei immer als Volkskunst bestehen, wenn auch ihre Bedeutung und Bewertung in den einzelnen Jahrhunderten sehr unterschiedlich war. Mit der Entwicklung des Handwerks wurde auch das Weben in den aufblühenden Städten zum Broterwerb. Nun bemühten sich die ehrbaren Handwerker der Weberzünfte beim Weben des Gebrauchsgutes um das kärgliche Brot, wie uns viele alte Volkslieder singen und sagen. Die künstlerischen Aufgaben der Weberei aber wurden in den Klöstern und an den Fürstenhöfen aufgenommen. Kostbare sakrale Kunstwerke, kirchliche Gewänder, Hungertücher, Bildteppiche u. a. sind uns bekannt, die in der beschaulichen ruhe einer Klosterzelle oder in der Spinn- und Webstube einer Landesfürstin geschaffen worden sind. Und auch im Bauernhof blieb der Webstuhl weiter in Bewegung. In emsiger Winterarbeit der Bäuerin mit ihren Töchtern und Mägden wurde die Wolle der eigenen Schafe sowie der selbstgezogene Flachs versponnen und verwebt. Reizvolle Musterungen in den Trachtenkleidern und im Aussteuergut angewandt, vererbten sich hier von der Mutter auf die Tochter, von Generation zu Generation, oftmals auch Zeugnis vom Wohlstand der Familie und des Hofes ablegend. So war es in Schweden z. B. das Vorrecht, der „großen Bauerntochter“, den dichtgeknüpften Teppich mit in die Ehe zu bringen, während das Mädchen aus kleineren Verhältnissen seinem Teppich nur eine bestimmt Anzahl Knoten einknüpfen durfte.

Als dann in England der erste mechanische Webstuhl aufgestellt wurde, als die Weber noch glaubten, sich und ihr Handwerk dadurch retten zu können, daß sie diese Stühle entzweischlugen, da wurde der Handweberei gleichzeitig eine ganz neue Aufgabe zuteil. Zunächst eroberte sich natürlich das neue, billigere Gewebe den Markt. Ja, heute würden wir unseren Bedarf an Tuchen und Stoffen ohne die Leistungen der Maschinen überhaupt nicht mehr befriedigen können. Und trotzdem noch Handweberei? Sicher ist in den aufblühenden Wirtschaftsjahren um und nach der Jahrhundertwende in Deutschland kaum mehr ein Handwebstuhl betätigt worden. Aber dann kamen die Jahre der Not, und jetzt erinnerte sich wohl manche Frau des Spinnrades und des Webstuhles, die vergessen und verstaubt in irgendeiner Speicherecke standen. Mit dem Weben des dringend nötigen Gebrauchsgutes fing man wieder an. Junge Menschen schauten zu und erkannten bald, daß der selbstgewebte Rock allen anderen gekauften Stoffen in seiner Eigenart überlegen war. Die Schaffensfreude wurde geweckt, schöpferische Kräfte wurden frei. Manches Mädchen kam vom Webstuhl nicht mehr los und erwählte sich das Weben zum Beruf. Die Volkskunst fand einen neuen Anfang.

Überall in bäuerlichen Gegenden tauchten wieder kleine Webstuben und Werkstätten auf. So auch in unserer Eifelheimat, in Schalkenmeeren und in Rupperath, in Münstereifel wie in Kreuzweingarten, in Blankenheim und Kronenburg. War die Weberin auch vielfach eine Zugewanderte, so blieb sie im Dorf doch keine Fremde. Sie fand willig helfende Hände. Aus Überliefertem durfte sie schöpfen und ihre eigene Art bereichernd hinzubringen. Dem Bauern war ihre Arbeit vertraut. Gar mancher Vater schaute mit lebendiger Anteilnahme zu, wie das Kleid für seine Tochter unter den Händen der Weberin erstand, das Kleid aus der Wolle der Schafe, die auf dem eigenen Hof aufwuchsen und gepflegt wurden.

Während uns dann die Maschinen erneut die Gebrauchsgüter zu schenken begannen, konnte die Handweberin sich wieder anderen Aufgaben zuwenden. Und ihre Arbeiten fanden bereite Aufnahme bei so vielen Menschen, die ihr Heim verloren hatten und nun das Bedürfnis verspürten, im neuen Heim die persönliche Eigenständigkeit zum Ausdruck zu bringen. In ihrem Zuhause möchten sie sich an Dingen erfreuen, die nicht in Massen von der Maschine erzeugt sind. „Ihre“ Decke wollten sie haben oder den Wandbehang, bei dessen Entstehung sie selbst zuschauen durften, dem noch der würzige Geruch der Pflanzen anhaftet, mit denen die Wolle in vielen feinen weichen Farbtönen gefärbt ist. Farben, die ihn an den herbstlichen Wald erinnern, die nie mit künstlichen Färbemitteln erreicht werden können.

Auch die vielen zerstörten und wieder aufgebauten Gotteshäuser brauchen Gewand und Schmuck - vornehmste Aufgabe der Handweberin!

Jedes Unternehmen aber, welches die Gesetze des natürlichen Wachstums mißachtet, der Handweberei die Methoden des Geschäftsgeistes und der Technik aufnötigen will, ist entweder zum Scheitern verurteilt - wie das Unternehmen „Eifelland“ in den Kriegs- und Nachkriegsjahren - oder aber es verliert den Anspruch, „Handweberei“ zu sein. Die Handweberin kann unserer Eifelheimat keinen klingenden Wohlstand bringen, sie kann sich nur in das Bild des Ganzen einfügen.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1958

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*) Edition Mai 2003 - Ohne Verfasser