Kreuzweingarten - ANNO MDCXXXVIII (1638)

Von Fritz Müller

„Ruhmlich, christlich, auch köstlich ist -
daß man zu keiner Zeit vergißt
der alten, lieben Vorfahren,
die vor uns in dem Leben waren.“


Kreuzweingarten - Gehöft Jakob Schlösser (Hofansicht nach Zeichnung v. J. 1899)

Die Inschrift der beiden Balken lautet:
ERBAVT DVRCH EBERHART SCHMID VND
BARBARA KESELS . ANNO 1710 . DEN 7 APPRILI .
DIESER BAV STEHET IN GOTTES HANDT
GOTT BEVT MICH FVR FEVR VND BRAND

Alte Fachwerkhäuser in unserem Dorfe führen uns den Weg zurück in vergangene Jahrhunderte. Über dem Eingang eines unter Denkmalschutz stehenden Hauses steht die Jahreszahl 1659. Zuweilen scheint das Eichengebälk zu reden: Seht, nun bin ich schon über dreihundert Jahre alt und habe gute und weniger gute Zeiten durchgestanden. Mein Erbauer benötigte über ein Jahrzehnt, um die Schrecknisse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu vergessen.


Gehöft Wilhelm Klein

Nun ruht unser Blick auf einem Balkenstück, das sichtbar über dem Hoftorbogen eines Bauernhofes eingemauert ist und die Inschrift trägt: Ao MDCXXXVIII. Dieses Balkenstück und eine Münze mit dem schwedischen Königswappen und der Aufschrift „Gustav Adolf“ aus dem Jahre 1628 sind vor Jahren im Brandschutt dieses Gehöftes gefunden worden. Die Schießscharten in einem Teilstück der aus Bruchsteinen errichteten Umfassungsmauer - „Schwedenschanze“ genannt - lassen uns Zeit und ort unserer dörflichen Schutzwehr gegenwärtig werden. Sind es doch unsere Vorfahren, die sich schützen mußten gegen eine wilde Soldateska, gegen ein „gottlos und tirannisch“ Kriegsvolk, das „nit wie Menschen sonder wie wütende Teuffelen oder Teuffelskinder“ sich gebärdet hat. Wir wissen ,daß damals Truppen der vereinigten Hessen, Weimarer und Franzosen in Euskirchen und Münstereifel Quartier bezogen und Not und Tod auch über unser Dorf gebracht haben.

Unser Weg hat uns zum Friedhof geführt, Hier ruhen sie aus, unsere alten, lieben Vorfahren. Uralte, teils aus dem 16. Jahrhundert stammende Grabkreuze längs der Kirchenmauer sprechen ihre eigene Sprache. Eines dieser Kreuze ist uns leider nicht erhalten geblieben, von dem vor Jahren der alte Dorfküster noch zu berichten wußte, daß es lange Zeit Kunde gegeben habe von einem unserer Vorfahren, der „von den Hessen grausam zu Tode gebracht“ worden war. Solche dorfgeschichtlichen Gegebenheiten - es gibt deren in unserem Dorfe nicht wenige - führen zuweilen dazu, von früheren Zeiten zu erzählen, und es bereitet Freude, aufmerksame Zuhörer zu haben.

Es mag - so nehmen wir an - Niklas, des Ermordeten Sohn gewesen sein, den das damalige Kriegsgetümmel als jungen frischen Bub von zu Hause wegschleppte, um ihm nach Tagen furchtbaren Erlebens sein elterliches Besitztum nur noch als Trümmerstätte zurückzugeben.


Das Unglück des Jahres 1638

An einem heißen Sommernachmittag in dem für unser Dorf denkwürdigen Jahre 1638 brach das Unglück herein. Bauern schafften „Op de Heed“ in mühevoller und kärglicher Feldarbeit, die sich schon seit Jahren nicht recht lohnte - zwei Jahrzehnte mußte der Krieg schon den Krieg ernähren -, als sie aus dem Euskirchener Ortholz dumpfes Trommelschlagen vernahmen. Dies war das Zeichen des Aufbruchs zu neuem Raumzug. Voller Aufregung flohen die Bauern durch die Pfaffenhardt ins Dorf, Niklas mit seinem Vater gleich zum Glockenturm, aus dem allsogleich Glockenschläge die Schreckenskunde ins Dorf trugen. Als beide kurz danach den Kirchweg hinabeilten schnurstracks auf ihr Gehöft, den Schulzenhof, kam ihnen schon eine Gruppe junger Männer entgegen. Es war die Turmbesatzung, der unser Dorfschulze in Eile noch einige Anweisung gab und die dann unverzüglich in der Kirche verschwand. Ihre Aufgabe bestand darin, von innen sämtliche Türen zu verriegeln, in die Turmstube zu steigen, die Leiter - die einzige Aufstiegsmöglichkeit - hochzuziehen und den Schutz des Gotteshauses zu übernehmen. Alles ging wie geübt vor sich, denn es war fürwahr nicht das erstemal, daß sie von oben Schreckliches hatten ansehen müssen.

Nach einer knappen Stunde, während im Dorf ein aufgeregtes Hin und Her zu beobachten war, wurde Pferdegetrappel hörbar. Ein Reitertrupp ritt ins Dorf. Die Bewohner versteckten sich in ihren Häusern, in Ställen und Scheunen, einige meist Frauen mit Kindern, hatten schon vorher das Dorf verlassen in Richtung der Waldung auf dem Burgberg, wo sie nun das Kreuz umstanden, schutz- und hilflos Gebete stammelnd. In Abständen war immer wieder zu hören: „Durch Dein heiliges Kreuz erlöse uns! Wir bitten Dich, erhöre uns!“ Unten im Dorf hatten inzwischen Väter, Söhne und Knechte unter Führung des Schulzenbauern, dem Niklas nicht von der Seite wich, das Gehöft dicht am Mühlenbach, so gut es ging, in Verteidigungszustand gesetzt, während die Kriegsknechte in die Nachbarhöfe eingeritten waren. Ein ganzer Troß machte eben in der Dorfmitte halt. Soldaten, denen das langjährige Kriegshandwerk im Gesicht geschrieben stand, zerrten einiges Vieh, das ängstlich brüllte, aus den Ställen auf den Dorfplatz. Während der Anführer dem Schulzen seine Forderungen entgegenschrie, drangen andere in die Häuser ein, zerschlugen Geschirr, stopften Brot, Butter und Schinken in ihre Schnappsäcke, bis nichts mehr hineinpaßte. Jahrelange Not ließ den Schulzen die Forderungen abschlagen; aber damit war das Unglück für die Dorfbewohner nicht mehr aufzuhalten. In den Kammern wurden die Truhen erbrochen und der Rest des selbstgesponnenen Leinens herausgerissen. Gespartes Geld oder Silberschmuck wurden nicht gefunden, da dies längst irgendwo im Garten vergraben lag.

Wie konnte sich Hannes Munster auch nur so zur Wehr setzen? Nachdem seine brauchbare Habe über die Mühlenbachbrücke zur Straße geschafft worden war, züngelten bereits die ersten Flammen aus den Fenstern seines bisher so stattlich aussehenden Fachwerkhauses.

Aber welch fürchterliches Geschrei dringt da plötzlich vom Schulzenhof zu uns herüber? Die Turmwächter wandten ihre Blicke ab, als der Anführer der Soldatenhorde wutentbrannt Befehl gab, den Schulzen zu binden und in den Mühlenbach zu werfen, nachdem rohe Fäuste den Bauer schon halbtot geschlagen hatten. Was alles gefordert wurde? Es war bei bestem Willen nicht mehr beizuschaffen. Die wenigen Anwesen des Dorfes brachten zum eigenen Unterhalt nur noch das Notdürftigste auf. Das Durcheinander im Schulzenhof wurde entsetzlich. Wäre doch nur die Magd vorhin mit den Frauen geflüchtet! Jetzt war es zu spät. Beim Versuch, durch ein Kammerfenster zu entkommen, wurde sie im Garten von einem Rohling gepackt, gezerrt und zu Boden gestoßen. Ihr Gestöhn lockte immer mehr Soldaten herbei, gröhlend einige in maßloser Trunkenheit.

Wo war Niklas in dem Gewühl geblieben? Dem Vater hatte er nicht beistehen können. Wie versteinert hockte er neben dem Herd zu Füßen seines fast achtzigjährigen Großvaters, der ihm in ruhigen Tagen von seinen Jagderlebnissen in der Hardt und dem Jagdherrn von der Burg erzählt hatte. Fassungslos wurde er nach draußen gezerrt, als sich die wilde Horde endlich zum Abzug bereit machte. Noch ahnte er nicht, was ihn erwartete.

Dem Hauptmann war nicht entgangen, daß Niklas, als seinem Vater Gewalt geschah, wie von Sinnen wurde. So gedachte der Tyrann das Maß der Unmenschlichkeit voll zu machen. Man ließ ab vom Schulzenbauer, aber den Bub riß man von seiner Seite. Nach Stunden, im Ortholz, fand sich Niklas allmählich wieder. Die Dämmerung ließ alles nur unklar erkennen. Um ihn herum ein wüstes Gelage: Pferde, Wagen, Flüche, Lachen und Wein. Niklas Kräfte aber reichten nicht, in der Dunkelheit nach Hause zu entkommen.


Kirchhof in Kreuzweingarten

Es brauchte Tage und Wochen und in der Schulzenfamilie viele Tränen, bis die Bauern dieses schrecklichen Ereignisses allmählich wieder Herr wurden. So gründlich hatte die Horde gehaust, daß es sich lange Zeit nicht gelohnt hätte, wiederzukommen. Der Schulzenhof bot nun auch kaum mehr Schutz, weniger, weil das Gemäuer mehr und mehr zerfiel, sondern weil der Bauer kurze Zeit nach dem Unglück an den Marterfolgen und aus Leid um seinen verschleppten Niklas gestorben war. „... von den Hessen grausam zu Tode gebracht.“

Niklas kam zurück, um Jahre älter geworden, getrieben von Heimweh und Sehnsucht nach seinem Elternhaus und seinem Heimatdorf Weingarten.

Während der Schilderung seiner mehrmals unternommenen Fluchtversuche läutet vom Kirchturm herüber die Glocke zu Mittag. Wir finden uns zurückgerufen in unsere Zeit, gerufen von der größten unserer drei alten Kirchenglocken. Sie trägt in einer lateinischen Inschrift die Jahreszahl ANNO 1649. Ein Jahr also nach Beendigung der damaligen Kriegswirren erklang über dem Dorfe die neue Friedensglocke, deren Ruf wir auch heute immer noch vernehmen ...

In Freude? - - Im Leid?
Es wechselt - - wie die Zeit.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1962

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