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Zur Seligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaria Escrivá







Scheu vor dem Schema
Von Cesar Ortiz




An welche Persönlichkeitsmerkmale erinnert sich jemand, der Josemaria Escrivá aus nächster Nähe kannte? Cesar Ortiz traf den Gründer zum ersten Mal 1945. Seitdem hatte er häufig mit ihm zusammengearbeitet. Von Hause aus Architekt, gehörte Ortiz acht Jahre der zentralen Prälatur-Leitung in Rom an, bevor er 1983 von Papst Johannes Paul ll. die Priester-Weihe empfing und in Deutschland das Amt des Regionalvikars übernahm.

In der Erinnerung gerinnt die Person eines Verstorbenen nach einer Weile zur festen Form. Es wird immer schwieriger, dessen Denken und Handeln in seinem Werden zu gewärtigen. Man neigt dazu, vom Ergebnis her zurückzusehen und nimmt nur noch jene Spuren des Menschen wahr, die auf direktem Weg zu diesem Ergebnis hinzuführen scheinen. Das ist eine Beschränkung, von der ich mich gerne befreien würde, wenn ich über den Gründer des Opus Dei nachdenke, wenn ich mir die Jahre ins Gedächtnis rufe, in denen ich ihn in Spanien und Rom aus nächster Nähe begleitet habe.

Josemaria Escrivá ist ja eigentlich ein Musterbeispiel dafür, wie sehr uns die Erinnerung täuscht, wenn sie uns glauben machen will, da sei einer nur seinen zuvor planvoll abgesteckten Lebensweg ausgeschritten. In Wirklichkeit ist er drauflosgegangen, ohne am Anfang das Ziel, geschweige denn den Weg zu kennen. Er bat um Licht wie es der Blinde im Evangelium tut: "Domine, ut videam", Herr, laß mich sehen. Gottes Pläne wollte er unter keinen Umständen mit irgendwelchen fixen Ideen verstellen. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß sich sein Lebensgefühl dem menschlich allzu Vorgefaßten zutiefst widersetzte. Was heute manch einem wie der systematische Vollzug einer ausgeklügelten Strategie erscheinen mag, die weltweite Ausbreitung des Opus Dei, war doch vor allem ein immer wieder neues Eingehen auf Gottes Eingebungen, die nicht selten dem ursprünglich Ausgedachten zuwiderliefen. Das meinte der Gründer, wenn er sich als Architekt des Werkes mit einem Kind verglich, das mit Holzklötzchen spielt. "Und der Vater sagt: Leg diesen Klotz hierhin und den anderen dorthin und den roten weiter hinten obenauf... Und am Ende steht ein Schloß da."

Psychologisch verblüffend

Auch wenn Don Josemaria bewußt kein Aufhebens davon machte, so ließ er doch keinen Zweifel daran, daß die Entwicklung des Opus Dei zuweilen von außergewöhnlichen Eingriffen Gottes begleitet war. "Aber ich wünsche euch solche Eingriffe nicht", pflegte dieser ganz und gar nicht wundersüchtige Priester hinzuzufügen. "Denn wem Gott diese Gnade schenkt, von dem verlangt er viel." Wie bei anderen Gestalten der Kirchengeschichte ist auch bei Josemaria Escrivá eine eher abwehrende Haltung gegenüber der spektakulären Gotteserfahrung zu beobachten; er sehnt sie nicht herbei, entzieht sich 'aber auch nicht der mit ihr verbundenen Verantwortung.

Das spielende Kind sah es jedenfalls nicht auf die außergewöhnlichen Machtbezeugungen seines Vaters ab, sondern suchte den Anschluß an Gottes Willen in der Normalität des täglichen Betens. Hier wurde die Rückkoppelung und gegebenenfalls die Änderung der eigenen Vorstellungen immer wieder aufs Neue vollzogen. Daß ein so willensstarker und sicher auch leidenschaftlicher Mensch zeitlebens nicht die Bereitschaft verlor, sich von anderen korrigieren zu lassen, ist für mich eine psychologisch zunächst verblüffende Tatsache. Ich erkläre sie mir mit der umgestaltenden Kraft, die das Gebet auf sein dominantes Temperament ausgeübt haben muß.

Der Habitus des Hinhorchens prägte auch sein herzliches Verhältnis zu den Menschen. Wenn ihn jemand bei größeren Zusammenkünften um einen konkreten Lebensrat bat, erklärte er sich nicht selten für inkompetent: "Ich kenne deine Umstände zu wenig, als daß ich dir hier auf die Schnelle sinnvoll antworten könnte." Patentlösungen mißtraute er grundsätzlich, besonders aber in der Seelsorge. "Menschen sind nicht wie Flüsse, die immer nur in eine Richtung fließen", hörte ich ihn öfters sagen. Die Frömmigkeitsübungen, die er den Gläubigen empfahl, wollte er keineswegs als starres Schema verstanden wissen; "wie ein Gummihandschuh" sollten sie sich vielmehr den Bedingungen des einzelnen anschmiegen. Auf der anderen Seite hielt er nichts davon, den Umgang mit Gott nach dem Prinzip von Lust und Laune zu regeln. Er sprach von "compromiso de amor", von einer Bindung aus Liebe, die dann auch schon für die nötige Ernsthaftigkeit bürge.

Die Scheu vor dem Schema machte den Gründer, was die Leitung des Opus Dei anging, zu einem Dezentralisten, der die letzte Entscheidung stets den Verantwortlichen vor Ort überließ. Das rückhaltlose Vertrauen, das er seinen Mitarbeitern entgegenbrachte, machte die Fähigkeit zu delegieren so wirksam. Mir kam sein Arbeitsplatz in Rom gelegentlich wie ein brodelnder Ofen vor, der das gesamte Heizungssystem mit Energie versorgt. Eingebunden in den nahezu immer gleichen Tagesablauf entfaltete er eine innere Vitalität, die der Ausbreitung des Werkes in aller Welt zugute kam

Seine Art, die oft sehr monotone (Akten-) Arbeit zu bewältigen, gehorchte dem Vorsatz des "hodie et nunc", des Hier und Jetzt. "Tu das, was du sollst, und sei ganz in dem, was du tust", hatte er geschrieben und zugleich sich selbst gesagt. Ich erinnere mich, daß die Arbeitsgespräche mit ihm stets kurz und intensiv waren, was ohne gute Vorbereitung kaum möglich gewesen wäre. Es ging ihm darum, jeden Vorgang so konzentriert und sorgfältig anzugehen, daß man ihn nicht später zur Nachbesserung noch einmal auf den Tisch nehmen mußte. Dem Herrgott, dem Don Josemaria selbst die Kleinigkeiten des Tagewerks widmete, wollte er nun einmal keine Schlampereien anbieten. Natürlich wußte auch der Gründer, daß das Beste der Feind des Guten ist.

"Ohne Freiheit kann man Gott nicht lieben" - der Satz enthält das Programm seiner Seelsorge. Der Vater, wie ihn nicht nur die Mitglieder des Werkes oft nennen, kam sich häufig wie ein Verkäufer vor, der mit dem Glauben zwar die wertvollste Ware anzubieten hat, sie aber eben nur anbieten kann. Ob und wie das Angebot aufgenommen wird, das legte er von vornherein in die Hände Gottes. In Anlehnung an die Sentenz eines bekannten Aufklärers nahm er gegenüber Nicht- oder Andersgläubigen gerne folgende Haltung ein: "Ich glaube zwar, daß ich es bin, der in der Wahrheit steht - sonst trüge ich nicht diese Regenschirmhülle hier als Soutane -, aber ich würde, wenn nötig, mein Leben dafür einsetzen, daß man dich deiner Überzeugung gemäß leben läßt." Nicht umsonst wurde das Opus Dei die erste Einrichtung in der katholischen Kirche, die auch Nichtkatholiken als Mitarbeiter aufnimmt.

Sprachliches Kunstwerk

Auch die Schriften des Gründers lassen bei aller Eindeutigkeit der Lehre nie den Respekt vor der Freiheit der Gewissen vermissen. So haben sie ihre Leser denn auch längst nicht nur bei überzeugten Katholiken gefunden. "Der Weg" etwa ist ein sprachliches Kunstwerk, das mit weit über drei Millionen Exemplaren inzwischen den Rang eines geistlichen Klassikers einnimmt, auch wenn der Gründer dieses Buch ausdrücklich als ein Jugendwerk betrachtete, es also nicht etwa zu einer Art "Fibel des Opus Dei" stilisiert sehen wollte. Im Vorwort schreibt er: "Erinnerungen möchte ich wachrufen in dir und Gedanken wecken, die dich treffen, damit dein Leben anders wird und du Wege des Gebetes und der Liebe aufnimmst." Prägnanter wüßte ich das Anliegen seines Lebens nicht zusammenzufassen.




Quelle: Zur Selligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaria Escrivá
© Copyright „Notizen“ Hrsg. Informationsbüro der Prälatur Opus Dei in Deutschland, Köln 1992
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