Ausgewählte Artikel aus:
650 Jahre Stadt Euskirchen
1302 - 1952
Festschrift zum Stadtjubiläum



Euskirchener Mundart in Vers und Prosa

Theodor Nießen
Mundart und Heimatdichtung



Mit Mundart und auch Dialekt bezeichnet man die ererbte Umgangssprache des schlichten Volkes. In unserem Heimatgebiet ist sie zurückzuführen auf die ripuarischen Franken, die unsere Gaue nach der Verdrängung der Römer besiedelten. Die altfränkische Heimatsprache ist um sehr viele Jahrhunderte älter als die später geformte Hochspache. Die von den Ahnen übernommene Heimatsprache hat bis heute den Kampf mit dem Hochdeutschen bestanden. Es gab eine Zeit, in der die Mundart geringschätzig behandelt und von neuen Zeitgeiste bisweilen diffamiert wurde. Anderseits erkannten aber auch große Geister den volkhaften Wert dieses Erbgutes. Goethe bezeichnete die Volkssprache als das „Element, aus dem die Seele des Volkes ihren Atem schöpft“.

In der Mundart erklingt das Heimatbewußtsein. Der vertraute Klang geht schneller zum Herzen des Volkes und stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Menschen ihrer Heimat. Die innersten Gefühle kommen lebendiger zum Ausdruck. Wie der Heimatort, seine Umgebung und Landschaft, so ist auch die Heimat-Mundart der Erwecker und Erhalter der Heimatliebe, ein starkes Bindeglied an jene Landschaft, in der die Wiege gestanden.

Mundart und Heimatdichtung sind allzeit aber auch Freudebringer für die Volksseele gewesen, wenn es der Heimatdichtung gelang, diese Freudenquellen im rechten Geiste zu erschließen und gleichzeitig auch Spenderin des Volkshumors zu werden in christlichem Geiste, ohne das Gesetz der Liebe zu verletzen; denn das ist der Prüfstein jeder echten Volksdichtung.

Zur Jahrhundertfeier unserer Heimatstadt sei daran erinnert, daß die Pflege des Heimatgedankens, der Heimaterzählung, Heimatdichtung, Wiederbelebung und Förderung der Mundart in gebundener und ungebundener Sprache durch die Bürger der Stadt in verstärktem Maße seit der Jahrhundertwende sich bemerkbar machte. Eine kleine Auslese vaterländischer Mundartproben erscheinen in diesem Kapitel.


Os Mottesproch

Die schönnste Sproch bliev doch os Platt,
Wie mié he oddeniére;
En ose gode ahle Stadt
Ös Platt noch huh en Ihre.

De Sproch, wie se os Motte song
En ose jonge Johre,
Os glöcklich en de Uhre klong,
Zitt dat mié sen geboére.

Wie ös se ahn Gedanke rich,
Wie deht se os su wärme,
Wie nemmp dä Ton gefange glich
De Riche on de Ärme!

De Sproch, de os Zesammekitt,
De hält os all verbonge,
Weil os de Sproch am Hözze litt,
Dä Ahle wie dä Jonge.

On doröm daasch em Börgestand
Os Plattdütsch niemols stärve!
Treu sollt Ihe heh em Hematland
De Mottesproch verärve!


Däé decke Tuén



Zur Aufnahme der Gedichte von Theodor Nießen bei woenge.de: Theodor Nießen ist auch ein Stück Kreuzweingarten. Mit seinem „Os Dörpche“ hat er sich in die Herzen der „Wöngedere und Rhedere“ geschrieben und ein Teil von Nießens Herz hat dem alten Weingarten gehört.

Wer erinnert sich noch daran, daß man in den Zeiten des Aufkommens der Montorisierung und Wirtschaftswunders zu einem kleinen „Sonntags- oder Feiertags-Tüüürchen“ aufbrach. Nicht selten führte dabei der Weg am „Dicke Tünnes“ oder „Decke Tünn“ vorbei, um dort vielleicht in Anbetracht einer drohenden Gefahr, die man einst überstanden, aus Dankbarkeit und Freude dem Hl. Antonius eine Kerze anzündete. Überhaupt wurden dereinst solche Schutzheilige, wie der „Hl. Antonius“, der „Hl. Christopherus“ oder die „Heilige Jungfrau Maria“ angerufen und ihnen voller Dankbarkeit eine Kerze angezündet, wenn man eine Gefahr, wie ein überstandenes Gewitter auf dem Feld, einen Sturz vom Erntewagen oder bei Glatteis, heil überstanden hatte.

Der von Theodor Nießen beschriebene „Decke Tuén“ ist jedoch nicht der „Decke Tünn“. Ich hatte nur diesen zum Verwechslung ähnlichen Namen gelesen und beschlossen, das Gedicht mit aufzunehmen. Also wurde der Irrtum erst festgestellt, nachdem bereits die Editionen begonnen hatten. Ich ging davon aus, daß es um das Schutzkapellchen bei Münstereifel handelt, wenn man in Richtung Effelsberg fährt. Jetzt bleibt das Gedicht erstmal bei woenge.de. Solche „Verwechslungen oder Irrtümer“ sind allerdings Teile unserer rheinischen Natur oder Kultur. Zum Beispiel: „Partisan“ (Gedicht „Däé decke Tuén“) nannte man die Offizierspicke mit kleinem Wimpel, eine Art Hellebarde mit schwertartiger Spitze, darunter Flügelspitzen. Der Träger oder Inhaber dieser Waffe hieß im allgemeinen „Partisan“. Dieses Wort hatte also früher nicht die Bedeutung, die wir heute damit verbinden.


Aus „650-Jahre Euskirchen“ - Jean Spessart

Edition H.K. Sept 2002



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