Die Kapelle in Rheder
750 Jahre Rheder 1240 - 1990 - von Friederike Kuhl












I
II
III
IV
V
VI

Vorgeschichte, Planung und Bau
Baubeschreibung
Titelbild und Thematik
Veränderungen und Reparaturen
Die Glocken
Aus der Korrespondenz
Schluß
Quellennachweise und Anmerkungen
















VI. Aus der Korrespondenz


Die Korrespondenz, die mit dem Erzbischöflichen Generalvikariat über die Kapelle geführt wurde, bietet über sachliche Informationen hinaus manch Interessantes, was Einblick in die örtlichen Zusammenhänge und in die Vorstellung der Zeit gewährt. Einiges davon soll hier behandelt werden.

Die Korrespondenz beginnt mit dem Bittgesuch Jakob Wolfgartens vom 29. März 1897 aus Keldenich: „Einem Hochwürdigsten Erzbischöflichen General-Vikariat zu Köln erlaube ich mir im Auftrage der Bewohner von Rheder, Pfarre Weingarten, folgendes Bittgesuch aller gehorsamst zu unterbreiten. - Mein Heimatdörfchen Rheder, mit etwa 160 Einwohnern, kath., besaß, vor ungefähr sechzig Jahren, eine kleine Kapelle. Wegen Baufälligkeit wurde sie abgebrochen, eine neue sollte an die Stelle kommen (22). Jedesmal nun, wenn ich die Familie in Rheder besuche, häufen sich die Bitten, zum Neubau der vielbegehrten Kapelle behilflich zu sein.“ Dann werden sieben „Gründe zu Gunsten des Neubaus“ geltend gemacht.
1.) Die Kapelle habe früher bestanden ...
2.) Manche Altersschwache können die Pfarrkirche, die auf einem Berg liegt, nicht besuchen ...
3.) „Ist jemand gestorben in Rheder, so versammelt sich abends der ganze Ort zu einer Totenandacht im Sterbehause. Wie schön dieser Gebrauch an sich ist“, fährt Wolfgarten wörtlich fort, „so hat er auch seine Schattenseiten, welche vermieden würden, wenn eine Kapelle als Versammlungsort diene könnte.“ Unter
4.) heißt es: „Es ist als sicher anzunehmen, daß in der Kapelle von Allerheiligen bis Ostern täglich der Rosenkranz gebetet würde; auch würden gar viele an Werktagen und namentlich am Sonntagnachmittage, nach dem Gottesdienst in der Pfarrkirche gern den Kreuzweg gehen in der Kapelle und vor manchen Gefahren des Sonntags bewahrt bleiben.“ - Die „Schattenseiten“ einer Totenandacht im Sterbehause kann man wohl ahnen, die „Gefahren des Sonntags“ hingegen können aus heutiger Sicht in dem kleinen Voreifeldorf kaum sehr gefährlich gewesen sein. Beides jedoch vermittelt einen lebensvollen Einblick in das religiöse Leben und die moralischen Maßstäbe der zeit. - Unter
5.) heißt es, die Messe solle nur alle 14 Tage an einem Werktage gehalten werden; zugesagt werden ein erhöhtes Stipendium für den Pfarrer, „welcher ja ein 1 km entfernt (schöne Landstraße)“, fügt Wolfgarten hinzu, „wohnt, sowie der Verzicht auf Sonntagsmesse und einen eigenen Kirchhof.“ Unter
6.) fährt er im Auftrag der Bewohner von Rheder dann fort: „Der Zeitpunkt wäre ein sehr günstiger. Manche Bewohner, welche im Alter von 60 - 82 Jahren stehen und entweder unverheiratet geblieben oder keine Kinder haben, sind bereit, reichlich zu geben, sowohl zum Bau als auch zur späteren Unterhaltung der Kapelle. Eine Summe von ca. 12.000 Mark wäre leicht aufzubringen. Der Herr Schorn aus meiner Familie wird allein 5.000 oder 6.000 Mark zum Neubau geben und auch später gern geben, wenn noch zu seinen Lebzeiten (er ist 81 Jahre alt) mit dem Bau begonnen würde.“ Zu
7.) heißt es, die Bewohner von Rheder besuchten alle Segensandachten in der Pfarrkirche, und er nehme nicht an, daß jemand dem Pfarrgottesdienste am Sonntagnachmittag infolge der Kapelle entfremdet würde.

In diesem Bittgesuch, sowie in einem parallelen persönlichen Gesuch, geht Wolfgarten auf die entscheidenden problematischen Punkte seines Vorhabens ein: Die zusätzliche Belastung des Pfarrers von Heilig Kreuz, die „Entfremdung“ von der Pfarrkirche und die Notwendigkeit, jetzt zu beginnen. In seinem persönlichen Gesuch (23) vom 30.3.1897 formuliert Wolfgarten noch deutlicher: „Schon seit vielen Jahren werde ich gebeten, die Sache in die Hand zu nehmen ,da in Rheder selbst keine geeignete Persönlichkeit vorhanden sei. Ich habe Bedenken gehabt, diesem Wunsche nachzukommen, da die zeitigen Herren Pfarrer von Weingarten fürchteten, neue Lasten für sich und ihre Nachfolger zu übernehmen. Ich halte es überhaupt für höchst unklug, mich zwischen die Bewohner in Rheder und ihren Pfarrer zu stellen; und um dem Drängen einzelner Personen aus Rheder auszuweichen, würde ich Ihnen, Herr General-Vikar, dankbar sein, wenn Sie in wenigen Worten mir Befehl erteilten, der Sache fernzubleiben, um nicht störend in die ruhigen Verhältnisse der Pfarre Weingarten einzugreifen ... Ein gesegneter Kapellenbau kann nur dann zustande kommen, wenn der zeitige Pfarrer von Weingarten die Sache in seine Hände nehmen will ... Wird der jetzige Zeitpunkt verpaßt, so wird wohl nie eine Kapelle zustande kommen. Voraussichtlich sterben in wenigen Jahren mehrere, reichere Familien aus. Z.B. mein Vetter Schorn (81 oder 82 Jahre alt), Familie Franck (ca. 70 Jahre alt), Familie Heimbach, Gilles etc., alle unverheiratet oder ohne Kinder.“

In seiner Stellungnahme zu diesen Fragen schreibt Dekan Uebach aus Geilenkirchen am 7. Mai 1897: „... nur dann mit Rücksicht auf die Gesamtpfarre dienlich, wenn in derselben nur alle 6 - 8 Wochen eine heilige Messe gehalten werden würde ... weil bald die Einwohner von Rheder die Abhaltung von Jahresmessen wünschen werden und auch nur für daselbst Messen gestiftet zu sehen wünschen werden. So würde die Pfarrkirche, da schon in Billig und Kalkar Messen gehalten werden, schließlich auf den kleinen Pfarrort Weingarten allein angewiesen sein, was offenbar nicht dienlich ist.“

Und am 5. November 1902, also nur gut 4 Monate nach der Einweihung der Kapelle, bittet Pfarrer Böhmer von Weingarten in einem Brief an den Kapitularvikar um Festsetzung der Gottesdienstzahlen in Rheder, da vom 29.6. - 5.11.1902 bereits sechs Hochämter bestellt worden waren, das heißt, bereits so viele, wie ursprünglich für das ganze Jahr vorgesehen waren. Vom 12. November datiert ist die Antwort des Kapitularvikars: „Auf Euer Hochwürden Anfrage vom 5. d. Mts. bestimme ich, daß der Pfarrer von Weingarten nicht verpflichtet sein soll, häufiger als acht mal im Jahre in der Kapelle zu Rheder die hl. Messe zu lesen.“ (30)

Die Korrespondenz mit dem Generalvikariat wegen der feierlichen Grundsteinlegung (24) für die Kapelle läßt die Geschehnisse von vor 90 Jahren unmittelbar lebendig werden. Am 16. Juni 1901 bittet J. Wolfgarten das Generalvikariat in Köln von Keldenich aus: „... Pfarrer Böhmer in Weingarten die Fakultas zu ertheilen, die Benediction (Segnung) nach der schönen, im römischen Rituale cap. 26 vorgeschriebenen Form Ritus Benedicendi et Imponendi Primarium lapidem pro Ecclesia Aedificanda am 23. Juni vornehmen zu dürfen.“ (d.h. die Erlaubnis zu erteilen, die Einsegnung nach der schöneren ... Form der Satzung zur Einsegnung des Grundsteines für einen Kirchenbau am 23. Juni vornehmen zu dürfen.)

Der 23. Juni war ein Sonntag. Die Post und das Generalvikariat arbeiteten damals schnell, denn schon vom 18. Juni datiert ist die Stellungnahme, die der Generalvikar auf den Rand des Briefes schrieb: „... mit dem Ersuchen, Pfarrer Böhmer möge gefälligst den Titel der zu erbauenden Kapelle angeben!“ Dieses „Ersuchen“ des Generalvikars traf dann wohl am 20. Juni in Weingarten ein, dam Donnerstag vor dem angestrebten Sonntagstermin, und hat seine Wirkung nicht verfehlt. Denn nun drängte die Zeit, und man konnte sich -bei aller Zuverlässigkeit- der Post nicht mehr anvertrauen. Pfarrer Böhmer hat sich am Freitag, dem 21. Juni 1901, offenbar selbst auf den Weg nach Köln machen müssen, denn sein Schreiben mit der Angabe des Titels für die zu erbauende Kapelle mit: „B.M.V. de bono cosilio“ und der Bitte, die feierliche Grundsteinlegung vornehmen zu dürfen, trägt das Datum des selben Tages wie das Genehmigungsschreiben des Generalvikariats, welches, zu der ihm eigenen Würde zurückgekehrt, nun in feierlichem Latein die Genehmigung erteilt, die Grundsteinlegung nach der genannten Form vornehmen zu dürfen: „21. Juni. Parocho in Weingarten concedimus facultatem benedicendi et imponendi primarium lapidem pro nove scello titulo B.M.V. de bono consilio in loco Rheder aedificando, dummodo servet formam in Rituali Romano descriptam.“ (Dem Pfarrer in Weingarten erteilen wir die Erlaubnis, den ersten Stein für die neue Kapelle mit dem Namen der Mutter vom Guten Rat, die in Rheder gebaut werden soll, zu segnen und einzusetzen unter Einhaltung der im Rituale Romanum genannten Form.)

Zur Erklärung: die übliche Abkürzung „B.M.V. de bono consilio“ bedeutet: „Beata Maria Virgo de bono consilio“, und heißt wörtlich übersetzt: Selig Jungfrau Maria vom Guten Rat. Der offizielle Titel Mariens: B.M.V. wird im deutschen Sprachgebrauch jetzt aber für gewöhnlich mit „Gottesmutter“ oder „Mutter“ wiedergegeben. Und bei den Glockeninschriften (s.S. 105 u. 106) heißt es auch lateinisch: Mater Boni Consilii - Mutter vom guten Rat.

Den Schriftverkehr mit der Erzbischöflichen Behörde wegen der notwendigen Genehmigungen hat J. Wolfgarten von Anfang an von Keldenich aus selbst geführt. Der Gemeindepfarrer Böhmer wurde nicht, wie Wolfgarten „für einen gesegneten Kapellenbau“ gewünscht hatte (s.S.110) (23), für den Fortgang des Baugeschehens aktiv. Als zuständiger Gemeindepfarrer hatte er die Amtshandlungen aber persönlich vorzunehmen, von der feierlichen Grundsteinlegung bis zur Glockenweihe.

Von kunsthistorischem Interesse schließlich ist der Briefwechsel, der 1933 wegen der Ausmalung der Kapelle geführt wurde (25). Am 9. November 1922 hatte der Architekt Karl Colombo, der zu dieser Zeit mit Arbeiten für die Renovierung der Pfarrkirche Heilig Kreuz in der Gemeinde tätig war, 2 Skizzen mit Entwürfen für die Ausmalung der Kapelle vorgelegt, und dieser Entwurf ist offenbar damals auch bezahlt worden, wie aus einem Brief von Pfarrer Reinartz vom 2..9.1933 hervorgeht (26). Aber die Inflation und die Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren haben die weitere Durchführung der Pläne verhindert. Erst 1933 griff man sie wieder auf, wie einem Kostenanschlag zur Ausmalung der Kapelle Rheder zu entnehmen ist, den der Kirchenmaler W. Kelzenberg aus Viersen am 26.8.1933 anfertigte (26). Darin wird berechnet: „Reichhaltige Stilmalereien: Deckenrosetten, Gewölbezwickel, Sockelmalereien, Triumphbogen; ohne Gold. Holzwerk natur eichen lackiert.“ Die Kosten sollten 1.106,50 RM betragen. Die Kosten für die Vergoldung des Altars und andere Goldmalerei sowie für den Anstrich des Gitters hatte Wolfgarten selbst übernommen (27).

Bei diesem Kostenanschlag befindet sich im Archiv auch ein „Vertrag der Kirchengemeinde mit Kirchenmaler W. Kelzenberg, Viersen, entsprechend dem eingereichten Kostenanschlag und dem Entwurf von Architekt K. Colombo, die Kapelle in Rheder auszumalen ... Nur bestes Material darf verwendet werden.“ Ferner wird eine Garantie für 10 Jahre verlangt, die Garantiesumme von 100 RM werde auf der Kreissparkasse hinterlegt; für die Beschaffung der Gerüste trage die Gemeinde selbst Sorge.

Die alten Pläne sollten nun also verwirklicht werden, und man hatte die notwendigen Schritte bereits unternommen, als Pfarrer Nikola Reinartz am 2.9.1933 einen Brief an den Erzbischof von Köln, Se. Eminenz Carl-Josef Kardinal Schulte, schrieb: „Eminenz! Herr Dr. Schumacher wird Ihnen den vom Kirchenvorstand einstimmig gutgeheißenen Plan zur Ausmalung der Kapelle in Rheder vorlegen. Derselbe entspricht wohl nicht ganz mehr der zu Zeit vorhandenen Geschmacksrichtung, dürfte aber meines Erachtens gewiß nicht als unkirchlich oder unkünstlerisch bezeichnet werden. Darum bitte ich Ew. Eminenz recht sehr um die oberhirtliche Genehmigung. Aus dem besonderen Grunde, weil der aus Rheder stammende ehrwürdige Priestergreis Msgr. Ehrendechant Jakob Wolfgarten so sehr dafür ist. Er schreibt wörtlich: „ich bin ungemein erfreut über die schöne Zeichnung, welche sicherlich allen gefallen muß.“ Der in seinem Heimatdörfchen sehr verehrte Priester ist der Erbauer der Kapelle, als Dotation vermacht. So ist denn auch die einstimmige Meinung in Rheder, daß der Wunsch des alten Herrn erfüllt werde. Derselbe, eben 83 Jahre alt geworden, möchte gar zu gerne noch die Ausmalung der vor 30 Jahren von ihm der Gottesmutter erbauten Kapelle erleben ...“ Ein neuer Entwurf würde Zeitverlust und Kosten bedeuten, der vorliegende sei bezahlt.

Vom 5. September 1933 datiert ist sodann ein Schreiben des genannten Dr. Schumacher, des Erzdiözesankonservators, mit folgender Stellungnahme: „Seiner Eminenz ehrerbietigst vorgelegt 2 Skizzen zur Ausmalung der Kapelle zu Rheder. Die beiden Skizzen gehören nach Ansicht des Unterzeichneten zum Schlechtesten und Schlimmsten, was ihm während seiner Amtstätigkeit eingereicht wurde: Zusammenstellung der unreinen Farben, die Unruhe infolge der zahlreichen Details, die starke Verwendung von Schablonenarbeit, endlich die ganze Komposition des Triumphbogens und der Chorpartie machen es unmöglich, die Entwürfe zu verbessern. Nun wünscht nach Mitteilung von Herrn Pfarrer Reinartz, Kreuz-Weingarten, Herr Prälat wolfgarten, Keldenich, diese Ausmalung und keine andere. Herr Prälat Wolfgarten hoffe, noch die Ausmalung der von ihm gestifteten Kapelle seines Geburtsortes zu erleben ... Herr Prälat Scholl (ebenfalls Erzdiözesankonservator, d. Verf.) bezweifelte vor seiner Abreise die Korrektheit der Angaben des Herrn Pfarrer Reinartz, der höchstwahrscheinlich Herrn Prälat Wolfgarten diese Skizzen vorgeschlagen habe. Herr Prälat Scholl warnte ausdrücklich vor Herrn Pfarrer Reinartz, mit dem sehr vorsichtig verhandelt werden müsse. Bei einer Ablehnung könnte ihm mitgeteilt werden, der Erzdiözesankonservator sei gern bereit, beratend und helfend zur Seite zu stehen, damit der Wunsch des Herrn Prälaten Wolfgarten baldigst in Erfüllung gehe. Schumacher.“

Wir kennen die Entwürfe des Architekten Colombo von 1922 zur Ausmalung der kapelle nicht, können aber Rückschlüsse ziehen aus den Angaben im Kostenanschlag des Kirchenmalers Kelzenberg: „Reichhaltige Stilmalerien: Deckenrosetten“ usw. (s.S. 112), aus der Bemerkung des Konservators: „Die starke Verwendung von Schablonenarbeit, ... zahlreiche Details“ usw. „(s.o.) und dem was Pfarrer Reinartz schreibt:

„... derselbe entspricht wohl nicht ganz mehr der z.Z. vorherrschenden Geschmacksrichtung, dürfte aber unkünstlerisch bezeichnet werden.“ Aus diesen Angaben läßt sich entnehmen, daß es sich wohl um eine Ausmalung im neugotischen Stil handelte, wie sie der Architektur der Kapelle entsprochen hätte.

Noch in den Jahren des 1. Weltkrieges wurden fast nur neugotische Kirchenbauten genehmigt, der Entwurf von Colombo mag 1922 ein spätes neugotisches Nachspiel dargestellt haben. Aber 1933 waren inzwischen neue, ganz andere Stilbestrebungen ins Land gegangen. So erklärte sich die ungewöhnlich heftige, ablehnende Stellungnahme „zum Schlechtesten und Schlimmsten“ des Erzdiözesankonservators aus dem Stilverständnis, das zur jahrzehntelangen völligen Ablehnung neugotischer Architektur und Kunst werke führte, der vor allem viele Inneneinrichtungen von Kirchen noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, und die erst in letzter Zeit einer Wertschätzung und Toleranz gewichen ist. Schumacher meinte, aus dem neuen Kunstverständnis heraus 1933 den Entwurf von 1922 nicht mehr gutheißen zu können.

Nun ist zwar bekannt, daß wissenschaftliche und künstlerische Kontoversen unter den Kontrahenten oft zu wenig schönen Umgangsformen führen, aber wenn Pfarrer Reinartz den Entwurf eines Architekten einreicht, ist eigentlich nicht einzusehen, weshalb man vor ihm „ausdrücklich waren“ muß und den Entwurf nicht nur sachlich als schlecht beurteilt, sondern darüber hinaus moralisch wertend „zum Schlimmsten“ zählt. Wurde Neugotisches zum Kitsch gerechnet? Daß Pfarrer Reinartz den Entwurf Jakob Wolfgarten vorgelegt hatte, kann ihm nicht angelastet werden, zumal er gewiß den -damals zwar nicht mehr modernen- Stilempfinden des alten Ehrendechanten und dem Charakter der Kapelle entsprach. Der einzige Vorwurf, der Reinartz gemacht werden könnte, wäre doch der, einen alten Mann nicht von der Notwendigkeit des damals modernen Kunstverständnisses überzeugt, sondern ihm einen sozusagen reaktionären Vorschlag vorgelegt zu haben. Daß Reinartz in Fragen der Kunstgeschichte durchaus kompetent war, steht außer Zweifel; aber gerade das war es wohl, was ihn den Erzdiözesankonservatoren unbequem machte. Ich nehme an, daß sie sich wohl durch sein tatkräftiges Vorgehen in dieser Sache, noch bevor die Genehmigung dazu eingeholt war, ins Abseits gestellt fühlten; daher das eilige Hilfeangebot, um eigene Vorstellungen zu verwirklichen, denen dann sogar der alte Leuchter weichen mußte (s.u.S. 116), und um die eigenen Leute ans Werk bringen zu können. Außerdem mußten sie sich wohl durch Reinartz' zusätzlichen Brief anden Erzbischof übergangen fühlen, obwohl, wie aus den Briefen klar hervorgeht, Reinartz sich auch auf dem Dienstweg an den Konservator gewandt hatte. Nach der Entscheidung des Erzbischofs, der sich der fortschrittlichen Meinung des Konservatoren anschloß, erhielt Pfarrer Reinartz einen Einschriebbrief vom 8. September 1933 mit folgendem Inhalt: „Die Ausmalung der Kapelle zu Rheder nach den hier eingereichten Entwürfen von Architekt Colombo vom 9.11.1922 kann nicht genehmigt werden. Se. Eminenz hat jedoch Herrn Erzdiözesankonservator Dr. Schumacher angewiesen, Ihnen in der Angelegenheit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, weshalb Sie sich mit Herrn Schumacher umgehend ins Einvernehmen setzen wollen. Entwürfe zurück.“ Herr Dr. Schumacher nahm die Verbindung mit Pfarrer Reinartz am 11. Sept. 1933 von sich aus auf und fragte, wann er die Kapelle mit Reinartz besichtigen könne. Am 3.10.1933 billigte der Kirchenvorstand, „die Ausmalung gemäß dem von der Erzbischöflichen Behörde genehmigten Entwurfe des Kirchenmalers Vincenz Hertel aus Köln-Junkersdorf und dem von selbem eingereichten Kostenanschlag für die Summe von 1.100 RM demselben zu übertragen“. Reinartz schickte die Entscheidung des Gemeindekirchenrates knapp formuliert an den Erzdiözesankonservator zusammen mit den entwürfen: „Zwecks Nachsuchung des Placet Sr. Eminenz. Anerbieten zur Hilfe anerkannt. Reinartz.“

Schumacher setzte also seine Vorstellungen durch, und in der vom 14. November 1933 datierten Genehmigung heißt es: „Die Ausmalung der Kapelle zu Rheder Pfarre Kreuz-Weingarten nach den Angaben des Erzdiözesankonservators Dr. Schumacher durch den Kirchenmaler Vincenz Hertel wird genehmigt. Ein Wiederaufhängen des Kronleuchters kann nicht empfohlen werden. Er ist durch eine einfache, nach unten strahlende Lampe zu ersetzen.“ (vergl.S.102) (21)

Die Ausmalung wurde im Winter 1933/34 zügig fertiggestellt. In diesem Zusammenhang wurde mir von verschiedenen älteren Bewohnern erzählt, während der Arbeiten sei einmal „eine Dame im Wagen“ gekommen, habe sich die Arbeiten an gesehen und sei wieder abgefahren, ohne mit jemand zu sprechen; niemand habe sie gekannt, und man nahm an, daß es sich um eine edle Spenderin gehandelt habe.

Wenn die ursprünglichen Pläne verwirklicht worden wären, sähe der Innenraum der Kapelle heute also ganz anders aus. Das könnte den künstlerischen Stellenwert des Kirchleins im Sinne eines Gesamtkunstwerkes aus heutiger Sicht wohl eher heben als schmälern, aber damals war es für die zuständige Behörde ausgeschlossen, einen Entwurf zu genehmigen, der der veränderten Kunstauffassung nicht mehr entsprach.


Schluß


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